Es hat ein bisschen gedauert, aber am Ende haben sich Biologen dann doch noch zu Wort gemeldet. Ihr erinnert Euch. Im November war der Vortrags-Mitschnitt des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke aufgetaucht, in dem er auf die angeblich unterschiedlichen Reproduktionsstrategien von Europäern und Afrikanern verwies (um zu begründen, warum Europa Afrikaner draußen lassen sollte).
Verständlicherweise Aufregung und Empörung. Nur von denen, die das mit den r- und K-Strategen am besten hätten erklären können (und die Höcke explizit angesprochen und vereinnahmt hatte), war nichts zu hören. Meinem Frust hatte ich an dieser Stelle Ausdruck verliehen, weil ich finde, dass sich Wissenschaftler in solchen Fällen in die Diskussion einmischen sollten (was natürlich auch nicht jedermanns Sache ist).
Aber wer, wenn nicht die, die es wissen müssen.
Erfreulicherweise fühlte sich durch meinen Blogpost der Neurowissenschaftler Benjamin de Haas spontan bereit, einen erklärenden Text zu Höckes rassistischem Unsinn zu schreiben, der dann auf Spiegel Online verlinkt wurde (“(…) es ist nich einmal wissenschaftlich richtig.”).
Dann blieb es ruhig.
Erst als sich der Staub vollends verzogen hatte, passierte doch noch was. Nur fürchte ich, es hat keiner wirklich mitbekommen, (was in Zeiten des Internets aber vielleicht auch gar nicht so schlimm ist, solange dann beim nächsten Mal jemand darauf verweisen kann oder auffindbar ist, sobald jemand danach sucht; ganz nach der These: Die Info sucht sich ihre Leser).
Durch Zufall stieß ich letzte Woche auf einen Beitrag der AG Evolutionsbiologie, einem Zusammenschluss von Biologen, die das Ziel verfolgen, Evolutionsbiologisches in der Öffentlichkeit verständlich zu erklären und zu verbreiten.
(Einige kenne Sie vielleicht, weil der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera Mitglied ist, der sich einerseits unermüdlich gegen Kreationisten stemmt, andererseits auch mit seiner Kritik an Gender-Forschung für Unmut sorgt (siehe etwa auch zuletzt hier beim Kollegen Joseph Kuhn). AG Evolutionsbiologie mit AK Evolutionsbiologie verwechselt (dank an Joseph Kuhn).
Ein anderes Mitglied der AG ist Andreas Beyer, Professor für Molekulare Biologie an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen/Recklinghausen. Und er erläutert in einem Artikel “Evolution, Kulturen, Fortpflanzung, Björn Höcke und die AfD” auf der Webseite der AG, warum Höckes Ideen von den r- und K-Strategien beim Menschen Quatsch sind.
Im Fazit fasst er es so zusammen:
“Höckes Ideen sind in der Sache unhaltbar, schlichtweg weil sie mit den Tatsachen nichts zu tun haben. Erstaunlich ist, dass Höcke als Gymnasiallehrer etliche dieser Fakten kennen müsste; z.B. der “demographische Übergang” ist Stoff der Mittelstufe. Und wenn er sich in seiner Rede auf die Biologie beruft (“etwas, das jeder Biologe nachvollziehen kann”), so hätte ihn eine simple Nachfrage bei seinen Lehrer-Kollegen aus der Biologie eines Besseren belehrt. Interessant ist, wie Höcke hier Fakten, Halbwahrheiten, verdrehte Tatsachen und Falschaussagen grob vermixt. Dies sowie seine in der Sache völlig ungerechtfertigte Berufung auf die Wissenschaft sind Merkmale pseudowissenschaftlicher Argumentation, wie man sie regelmäßig bei den verschiedensten Gruppen findet, die aus weltanschaulichen Gründen etablierte Wissenschaft ablehnen, also Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Kreationisten, Leugnern des Klimawandels etc.”
Der Text stammt vom 8. Februar 2016, ging also rund zwei Monate nach dem großen Aufruhr online. Jetzt kann man sich natürlich fragen, warum so etwas erst so spät kommt. Man kann aber auch über jeden Wissenschaftler froh sein, der sich zu Wort meldet, ganz im Sinne Sascha Lobos, der in seinem “Hilferuf an die mindestens durchschnittlich Begabten” verzweifelt schrieb:
“Bitte, mindestens durchschnittlich Begabte, kommt zu uns ins Netz! Diskutiert mit, redet mit, zeigt euch! Lasst uns nicht allein mit den stumpfen Horden. Kommt! Wir halten nicht mehr lange durch im digitalen Stalingrad der Vollidiotie.”
In Momenten wie Höckes Bio-Blödsinn zeigen sich die Nachteile einer in der digitalen Kommunikation hinterherhinkenden Wissenschaft. Wenn Wissenschaftler in aktuellen Fällen von den Medien nicht angesprochen werden (wie es etwa bei Sarrazzins Buchveröffentlichung von “Deutschland schafft sich ab” (2010) teils geschah), liegt es an den Forschern selbst, sich in die Debatte einzuschalten. Am einfachsten geht das mit einem Blog. Jeder ist froh, wenn kompetente Stimmen einem die Zusammenhänge erklären.
Das geht natürlich auch auf die alt hergebrachte Weise, etwa ein Buch. Das dauert dann aber auch bisschen länger: Im Fall des Buchs “Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz: Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik” hat es zum Beispiel gut eineinhalb Jahre gebraucht. Der Optimist sagt dann: “Gut, dass es das gibt und in dieser Ausführlichkeit”. Der Pessimist mault: “Viel zu spät, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden.” Der VBIO (Verband Biologie, Biowissenschaften, Biomedizin) hat 2012 eine Seiten zu Sarrazin auf der Verbandsseite online gestellt (“Sarrazins Missverständnisse“), weist aber auch darauf hin:
“Der VBIO hat sich bereits 2010 entschieden gegen jede politische Instrumentalisierung biologischer Fakten durch Thilo Sarrazin und andere Teilnehmer der medialen Debatte verwahrt.”
(Das passieret dann wahrscheinlich auf Journalistenanfragen. Auf der Webseite zumindest stammen die einzigen Einträge zu Sarrazin aus dem Jahr 2012.)
Ich mag beide Varianten, die schnelle kurze und die langsame ausführliche, und finde beide wichtig. Angesichts der beschleunigten Diskussionen wäre es indes zunehmend wichtiger, wenn Wissenschaftler auch von sich aus an der Diskussion teilnehmen (mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die das natürlich wieder mit sich bringt). Ansonsten überlassen sie denen das Feld, die unsere Unwissenheit ausnutzen und immer mehr Menschen mit dumpfen Parolen, Scheinzusammenhängen und Plazebowahrheiten auf ihre Seite ziehen.
Wissenschaftler sind nicht nur Wissenschaftler, sie sind auch Bürger.
(Und das mit den Scheinzusammenhängen und den Plazebowahrheiten oder gar kompletter Ignoranz gegenüber Wissenschaft ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal der AfD, das gibt’s auch in anderen Parteien, nur fällt es bei der neuen Partei gerade besonders auf. In den Kommentaren werden die entsprechenden Beispiele sicher genannt.)
(Und noch eine letzte Anmerkung: Dass man diese Reaktionen auf Webseiten präsentiert, die ein wenig altbacken aussehen, mag einen gewissen Charme haben, ob es zielführend ist, kann man sicher diskutieren, ist vielleicht aber auch das geringste Problem an der ganzen Thematik. Und überhaupt: So richtig modern sehen die Scienceblogs-Seiten ja auch nicht aus ;-) )
Nachtrag 2.6.16: Martin Niggeschmidt, einer der beiden Herausgeber des Buches “Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz (…)”, weist mich auf ein weiteres Buch hin, dass hier den ein oder anderen interessieren könnte und das 2015 erschien: “Erblichkeit der Intelligenz | Eine Klarstellung aus biologischer Sicht”, auch hier wird nochmal auf Sarrazin, aber auch andere Bezug genommen.
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Artikel zum Thema:
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