Weil wir gerade vom Placebo sprachen, diesem Ding, dass so viel verspricht, aber vielleicht gar nicht so viel halten kann. Wer sich ins Thema einlesen will, dem empfehle ich eine aktuelle Veröffentlichung der Bundesärztekammer.

Die hat im März eine Stellungnahme zum Thema “Placebo in der Medizin” herausgegeben. Bei einer Organisation wie der Bundesärztekammer fällt eine ‘Stellungnahme’ gerne mal etwas länger aus. Das ist in dem Fall erfreulich, denn auf diese Weise erhält man eine 150-seitige Abhandlung zum Thema, das auf dem aktuellen Stand der Forschung ist:

“(…) hat der Vorstand der Bundesärztekammer den Wissenschaftlichen Beirat im Juli 2007 damit beauftragt, einen Arbeitskreis „Placebo” einzurichten. Nach knapp zweijähriger Arbeit einer interdisziplinär zusammengesetzten Expertengruppe liegt nun eine umfassende Stellungnahme vor, die beide Bereiche des Einsatzes von Placebo, Klinische Studien, und alltägliche therapeutische Praxis, gleichermaßen berücksichtigt.”

Besonders praktisch finde ich das Glossar und eine Tabelle, in der einzelnen Begriffe wie ‘reines Placebo’ oder ‘Nocebo’ noch mal ganz kurz erklärt werden.

Hilfreich ist auch der Literaturüberblick, der zu jedem Kapitel mehrere Seiten umfassen kann. Praktischer wäre es allerdings gewesen, die einzelnen Titel auch zu verlinken.

Wer sich, in deutsch, ins Thema einlesen will, für den ist die Stellungnahme der Bundesärztekammer ‘Placebo in der Medizin’ sicher ein guter Einstieg.

Dass die Autoren eines so offiziellen Dokumentes durchaus auch über den Tellerrand geschaut haben, beweist zumindest der Einstieg in das Dokument, das mit einem Auszug aus einem Platon-Text beginnt (gefolgt von einem Dialog aus Donizettis Liebestrank):

“Doch als er mich fragte, ob ich das Mittel wider das Kopfweh wisse, antwortete ich nicht ohne Mühe, ich wisse es. Worin besteht es nun? fuhr Charmides fort. Und ich erwiderte, daß es ein Blatt sei, zu dem Mittel aber noch ein Spruch gehöre, und daß, wenn jemand diesen spreche, beim Gebrauch von jenem das Mittel durchaus gesund mache; ohne den Spruch aber sei das Blatt nichts nütze.”

Platon, Charmides 155C/156A, übersetzt von L. Georgii

(via GWUP)

Nachtrag:
Im Ärzteblatt gibt es ein Interview mit Robert Jütte, Vorstand des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. Er ist übrigens kein Mediziner, sondern Professor für Medizingeschichte.

(via Stationäre Aufname)

Kommentare (25)

  1. #1 vsnfd
    24. Juli 2010

    Danke für den Link. Spannendes Thema

  2. #2 Heilender
    24. Juli 2010

    …na endlich

  3. #3 Ulrich Berger
    24. Juli 2010

    Ein interessanter und sehr umfassender Text. Leider konnte der dabei “federführende” Hahnemann-Liebhaber Prof. Jütte es sich nicht verkneifen, ein paar Absätze hineinzudrücken, in denen betont wird, wie “offen” doch angeblich die Frage der spezifischen Wirksamkeit von Homöopathie sei. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

  4. #4 Marcus Anhäuser
    24. Juli 2010

    Ah, daher kenne ich den Namen, irgendwie dachte ich, na, da war doch was …

  5. #5 Ender
    25. Juli 2010

    (Der erste Link führt Besucher zur SB-Anmeldung und beim Tellerrand fehlt ein ‘geschaut’.)

    Interessante Sache, wird es bei Plazeboalarm noch Beiträge über den Inhalt dieses Dokumentes geben?

  6. #6 Marcus Anhäuser
    25. Juli 2010

    danke, habs gefixt.

    Ob ich darüber schreibe, kann ich noch nicht sagen. Ist einfach eine Frage der Zeit.

  7. #7 ttom
    25. Juli 2010

    Die im Interview erwähnte Kurzfassung der Stellungnahme, erschienen im Deutschen Ärzteblatt, gibt es hier. (Bonus: html statt PDF)

  8. #8 Physiker
    28. Juli 2010

    Danke für den Artikel/Kurzfassung (@ttom) und vielen Dank an Ulrich Berger für die kritische Anmerkung. Ich möchte in meiner Kritik noch einen Schritt weiter gehen:
    Wie kann es sein, dass jemand der Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft studiert hat (Prof. Jütte) “federführend” bei der Erstellung von Empfehlungen/Richtlinien zur Placebo-Gabe außerhalb der medizinischen Forschung ist?

    Das ist ein Skandal!

  9. #9 Physiker
    28. Juli 2010

    Laut Interview unterrichtete der Historiker (Prof. Jütte) das Fach „Placebo“ für Ärzte in der Weiterbildung „Allgemeinmedizin“. Wie kann das sein? Da können wir ja gleich Theologen über Quantenmechanik dozieren lassen…

  10. #10 Dr. E. Berndt
    28. Juli 2010

    @Physiker
    Kommt drauf an, was der Herr Prof. Jütte vortrug.
    Andere Perspektiven bedeuten mitunter eine Erweiterung, solange es nicht unwissenschaftliche Woodoo-Perspektiven sind.

  11. #11 Physiker
    28. Juli 2010

    @ Dr. E. Berndt:
    Entweder Prof. Jütte trug genau das vor womit er prahlt (was einer Kompetenzüberschreitung gleichkommt) oder er verschweigt den Lesern des Ärzteblatts dass es sich um eine Vorlesung mit einer ganz anderen (z.B. historischen) Perspektive handelte (womit er im Prinzip die Leser belügt). Beides finde ich skandalös (völlig ungeachtet dessen was er in der Vorlesung den angehenden Medizinern beigebracht hat).
    Darüberhinaus ist es extrem skandalös, dass ein Historiker Empfehlungen/Richtlinien für Ärzte erstellt – egal wie sinnvoll diese sein mögen. Ich erwarte (zurecht) von meinem Arzt, dass dieser sich an Empfehlungen/Richtlinien orientiert die von Medizinern/Naturwissenschaftlern erstellt wurden. Seit wann bitteschön lassen wir Historiker Entscheidungen treffen, welche medizinische Behandlung sinnvoll ist?

  12. #12 Dr. E. Berndt
    28. Juli 2010

    @Physiker
    Womit prahlt Prof. Jütte

  13. #13 Marcus Anhäuser
    29. Juli 2010

    Herr Jütte, hat das ja nicht allein verfasst (wenn er überhaupt als Autor tätig war. Er scheint mir eher eine Herausgeberrolle zu haben, genau wie der Präsident Herr Hoppe und Herr Scriba, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates der BÄK (der aber auch im AK dabei war). Da haben ja einige Leute dran mitgearbeitet (siehe Anhang, S.149/150).

    Skandalös finde ich das jetzt nicht.

  14. #14 Physiker
    29. Juli 2010

    Im naturwissenschaftlichen Bereich ist es üblich, dass der Erstautor (Jütte) das Dokument oder zumindest den größten Teil verfasst hat; wie das in der Medizin ist, weiß ich nicht. Was “federführend” heißen soll, ist mir auch schleierhaft (wahrscheinlich bezieht sich das nur auf den Arbeitskreis). In der Danksagung werden jedenfalls keine Autoren aufgeführt und als Autoren werden (mehr oder weniger klar) Jütte, Hoppe und Scriba (in dieser Reihenfolge) genannt. Dem Spezialgebiet Jütte “Geschichte des Placebos” ist nur ein sehr kleines Kapitel gewidmet – in der Zusammenfassung bleibt das komplett unerwähnt.

  15. #15 Marcus Anhäuser
    29. Juli 2010

    Wie wäre es, wenn Du einfach mal nachfragst bei der BÄK? Sonst können wir noch lange spekulieren

  16. #16 Physiker
    29. Juli 2010

    Danke, ich verzichte auf eine solch kleinliche Anfrage und ziehe diesen “Sakandal”-Vorwurf zurück. Ich wundere mich aber nach wie vor, wie ein Historiker so federführend medienwirksam die Belange von Medizinern vertreten kann, ohne dass diese sich auf den Schlips getreten fühlen.

    Übrigens, es gibt eine Online-Petition zur Homöopathie:
    https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=13042

  17. #17 Physiker
    29. Juli 2010

    Hoppe’s Meinung zur Homöopathie:
    https://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=42002

  18. #18 Joseph Kuhn
    30. Juli 2010

    Vielleicht von Interesse, ein Beitrag im aktuellen Ärzteblatt:
    https://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=heft&id=77721

  19. #19 Dr. E. Berndt
    30. Juli 2010

    @Joseph Kuhn
    Diese und derartige Ausagen von Ärztevereinigungen sind immer die gleichen.
    Es gibt keine Interessenvertretung, die nicht die Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Bei diesen Interessen geht es um Einkommen und nicht um Patientenschutz und anderes.
    Nur wenn arzt den Mund aufmacht, erklärt arzt, daß arzt nur die Interessen der Patienten vertritt. Da eigenartige ist nur, daß niemand kritisch kontert.

  20. #20 Joseph Kuhn
    1. August 2010

    Nachtrag: In der Sonntagsausgabe der FAZ vom 1.8.2010 ist ein lesenswerter Artikel über die Geschichte der Homöopathie, mit Link zum sog. “Donner-Bericht”:
    https://www.kwakzalverij.nl/699/Der_Donner_Bericht

  21. #21 Physiker
    2. August 2010

    @ Joseph Kuhn (Link zum Ärzteblatt):
    9 Millionen Euro nur für Zucker und Wasser finde ich ganz schön teuer. Tatsächlich wird aber mal wieder der größte Kostenanteil verschwiegen. Wen wundert’s, wenn homöopathische Beratung so großzügig von Krankenkassen vergütet wird, dass Sie für Ärzte finanziell attraktiv ist:
    https://www.aerztezeitung.de/medizin/fachbereiche/sonstige_fachbereiche/homoeopathie/article/434705/homoeopathie-kollegen-immer-attraktiver.html
    Tatsächlich geben also die Krankenkassen 4 Mrd. Euro für “Komplementäre und alternative Heilmethoden” aus. Also wenn man da nicht mindestens 1 Mrd. Euro einsparen kann…

  22. #22 Physiker
    2. August 2010

    Sorry, ich vergaß den Link zum Äzteblatt (mit den 4 Mrd. Euro für Alternativmedizin):
    https://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=57593

  23. #23 Dr. E. Berndt
    2. August 2010

    @physiker
    Das kommt mit bekannt vor.
    Wenn es keine belastbaren Argumente gibt, mit denen sich die Wirksamkeit belegen läßt, dann kommt regelmäßig das Harmoniegeschwurbel.
    Zusatzverdienst läßt grüßen.
    Der Therapeut legt eine CAM Therapie fest oder er verkauft gleich aus den eigenen Fundus ein CAM-Mittel und sieht anschließend, daß es gut wirkt und gleich bezahlt wird.
    Da ist dann der Weg nicht mehr weit, daß Befindlichkeitsstörungen, die sich die Patienten schon lange dank Intensivem Medical-Infotainment gewünscht haben, andiagnostiziert werden und dann gleich zur Zufriedenheit aller behandelt werden.

  24. #24 Dr. E. Berndt
    2. August 2010

    Wenn „Die Grünen“ im Jahre 2009 durch ihre gesundheitspolitische Sprecherin Bender verkünden lasse, daß sich die Partei weiterhin dafür einsetzen werde, „(…) daß komplementärmedizinische Verfahren ihren Platz ausbauen können.“, dann bedeutet das aus dem Politikerdeutsch übersetzt:

    – Bereitstellung von Steuermitteln für entsprechende Forschungsvorhaben
    – Bereitstellung von Universitätseinrichtungen
    – Finanzierung/Förderung entsprechender Institutionen
    – Besetzung von Planstellen mit ideologisch ausgerichteten “Fachleuten”

    Wenn Frau Bender dann noch erklärt, daß es dringend notwendig sei, sich von den „Kulturkämpfen zwischen Schul- und Komplementärmedizin zu verabschieden…“, dann ist das nicht weniger als die Feststellung, daß bei politischen Entscheidungen der „Grünen“ naturwissenschaftliches Wissen – ein Antibiotikum bekämpft die bakteriellen Erreger einer Infektionskrankheit – in etwa die gleiche Bedeutung hat, wie das tobende Narrativum im Hirne eines Rudolf Steiner:

    „Als Heilmittel gegen die angstverbreitenden ahrimanischen Mächte wirken die Eisenkräfte im Blut, die sich makrokosmisch in den Meteoritenschwärmen zeigen, die Ende August herunterregnen. Das Eisenphantom des Blutes bewirkt eine Entängstigung. Die Imagination Michaels leuchtet auf, der mit der Kraft, die von seinem Herzen strömt, die Meteoritenschwärme zu eisernen Schwert zusammenschmilzt und damit den ahrimanischen Sulfur-Drachen besiegt.“

    Hier entlarvt sich eine ideologisch motivierte Wissenschaftsfeindlichkeit, die mit dem politischen Auftrag einer demokratischen Partei nicht in Einklang zu bringen ist. Den „Grünen“ ist dabei – besonders im Hinblick auf den Esoterik-Kult des Nationalsozialismus – eine durchaus bedenkliche Geschichtsvergessenheit vorzuwerfen.

  25. #25 Dr. E. Berndt
    2. August 2010

    Ich habe vergessen den Autor zu erwähnen. Aus dem Kapitel Ganz viel Wahn, wenig Sinn… Gastbeitrag von Uli Maas, Berlin in “Der Pillendreh”