Da reden wir jetzt schon seit geraumer Zeit Jahren darüber, wie Wissenschaft sichtbarer in der Gesellschaft wird, und deutlich macht, warum sie wichtig ist, wozu sie gut ist, und all das unter dem Stichwort Wissenschaftskommunikation, und wenn es dann mal wirklich wichtig wäre, herrscht Funkstille. Mann.Mann.Mann
Was ich meine: Die Steilvorlage des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Da lässt er sich in einer Rede über Afrikaner, Europäer und ihre vermeintlichen Reproduktionsstrategien aus, meint diesen Bullshit mit Verweis auf Fachbegriffe wie r-Strategie und K-Stratgie in eine wissenschaftliches Mäntelchen hüllen zu können, und holt sich auch noch ungefragt die Bestätigung der gesamten Biologenzunft (“Sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen”). Und die Vereinnahmte stellt sich tot. Kein Protest, keine Erklärversuche, kein Zurechtweisen, kein gar nichts (bis auf ein paar Tweets einer Kollegin).
Das muss ja nicht mal ein Verband sein wie der “Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin – VBIO e.V.” oder die AG Evolutionsbiologie oder welche Vereinigung auch sonst dafür infrage käme. Spätestens bei so einem Fall erkennt man, wozu man bloggende Wissenschaftler gebrauchen könnte, die mit Verve und der nötigen Wut im Bauch das Wort ergreifen und erstens den Sport- und Geschichtslehrer in seine Schranken weisen – und, was vielleicht noch wichtiger wäre – genau und verständlich erklären, warum sein Schwachsinn, Schwachsinn ist, und warum die Biologen das ganz und gar nicht nachvollziehen können.
Dass in den Berichten über Höckes Rede kein einziger Biologe zitiert wird, sondern Vertreter aus anderen Bereichen, zeigt dann nochmal, dass die Biologen auch niemand auf dem Schirm hat in solchen Fällen.
Jedes Mal, wenn die Rechtsextremen die Biologie ins Spiel bringen, sind das Steilvorlagen für die Wissenschaftskommunikation. Und es wäre genau dann so extrem wichtig, den Bullshit als solchen zu benennen, weil die Argumentationen für viele Menschen so verfänglich sind. Aber es sind nur Sprüche, die einer menschenverachtenden Ideologie eine Legitimation geben sollen. Und ich finde, die Biologen sollten sich verdammmt nochmal dagegen wehren. Es liegt auch in Euerer Verantwortung.
Ein Blog wäre ein gutes Mittel.
Zusatz: Weil Blogkollege Joseph Kuhn es nicht ertragen hat, hat er zumindest versucht, was zu schreiben.
Zusatz 2: Mir gehts gar nicht um die paar Blogkollegen, die auch Biologen sind (ich habe übrigens selbst vor 20 Jahren Bio studiert) und es vielleicht gerade einfach nicht schaffen, einen Artikel zu so einem Thema zu schreiben. Ich weiß selbst nur zu gut, wie schwer es ist, so einen Artikel dann im richtigen Moment zusammenzukriegen. Es geht um die generelle Diskussion, warum es sinnvoll sein kann, wenn Wissenschaftler bloggen. Dieser Fall hier ist ein Paradebeispiel dafür. Dass jetzt nichts passiert, ist nicht die Schuld der paar bloggenden Biologen. Gäbe es eine breite Kultur des Bloggerns unter Wissenschaftlern, gäbe es vielleicht unzählige Beiträge zu Höcke, und sie hätten ihm schon x-mal seine Sprüche um die Ohren gehauen.
Nachtrag: Marc Scheloske hat einen bloggenden Biologen (Biostatistiker) gefunden, der Höckes Argumente auseinandernimmt – in der Schweiz bei der NZZ (was natürlich im Internet wiederum egal ist). Er meint übrigens auch:
“Wenn in Zukunft irgendein Politiker von unterschiedlichen Fortpflanzungsstrategien zwischen Europäern und Afrikaner spricht, dann sollten sich nicht nur Rassismusexperten zu Wort melden, wie das im vorliegenden Fall geschehen ist. Ebenso müssten sich die Populationsbiologen in die Debatte einschalten und gnadenlos die fachlichen Fehler in Höckes Argumentation aufzeigen.”
Nachtrag (16.12.): Die Journalistin und Biologin Brynja Adam-Radmanie, die auch schon auf Twitter aktiv war (siehe oben), hat sich auf ihrem Blog Wissensküche ausführlich mit Höckes Statement auseinandergesetzt und es seziert, und dabei aber auch die Pressereaktion kritisiert und sich die politisch linke Betrachtungsweise angesehen.
Nachtrag (16.12): Der Biologe Benjamin de Haas erklärt in einem Gastbeitrag hier in meinem Blog, warum Höckes Aussagen Blödsinn sind.
Nachtrag (18.12.): Auch darum geht es: In einem Kolumne-Text über Björn Höcke auf Spiegel Online verlinkt Margarete Stokowski auf Benjamin de Haas’ Artikel (und zwei andere Texte, auf die ich unter Bens Artikel verlinkt hatte.
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