Auf meinen Hörtipp zur DLF-Sendung zum Thema “Methadon gegen Krebs” hier im Blog vor ein paar Tagen haben sich inzwischen auch einige Betroffene in den Kommentaren gemeldet, die kaum verstehen können, dass man das alles irgendwie kritisieren kann: Frau Friesen, die Methadon seit Jahren untersucht, Herrn Hilscher, der ihr argumentativ zur Seite steht, die ganz Berichterstattung, die die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam machte. Einige der KommentaroInnen sind selbst erkrankt oder haben Familienmitglieder, die betroffen sind. (“Mein Papa hat Krebs und hat zum Glück einen Arzt gefunden (…).”)
Ich finde es schwierig auf solche Kommentare zu reagieren. Wäre ich betroffen und hätte ich in diesem Zustand Sendungen, wie die von Plusminus, gesehen, hätte ich womöglich auch versucht, an Methadon zu kommen. Der Druck ist einfach zu groß.
Das ist menschlich verständlich, das kritisiere ich auch nicht. Selbst wenn jemand überzeugt ist, dass er dank Methadon länger lebt, ist das völlig seine Sache. Dazu könnte man zwar Dinge sagen wie: “Ja, aber sicher sein kannst Du dir rational betrachtet nicht, es gibt so viele Faktoren, die das Überleben beeinflussen.” Oder: “Vielleicht hat ja doch die Chemo alleine schon geholfen.” Oder: “Die Prognose deines Arztes ist nur ein Mittelwert. Das bedeutete, dass immer ein gewisser Prozentsatz länger lebt. Du gehörst vielleicht dazu.” Sowas in einem öffentlichen Blog in den Kommentaren zu diskutieren, in denen vieles schnell missverstanden wird und ausartet, das ist nicht so mein Ding.
Trotzdem will ich etwas entgegnen, und auch begründen, warum es im Fall Methadon so vieles zu kritisieren gibt: Die Rolle der Medien, von Journalisten, PR-Abteilungen, von WissenschaftlerInnen und Medizinern.
Das Grundproblem dabei ist: Es gibt in dieser Diskussion zwei widerstreitende Perspektiven, die kaum zusammenzubringen sind: Da gibt es die individuelle Ebene, das Interesse des Betroffenen, der Patientin, den Tod vor Augen, dem vieles recht ist und die vieles in Kauf nimmt, wenn es bedeutet, dass er oder sie vielleicht länger leben wird.
Auf der anderen Seite gibt es die Ebene der Allgemeinheit/der Gesellschaft/uns anderen, die ein langfristiges Interesse daran haben, das erkrankte Menschen wirkungsvolle und sichere Medikamente bekommen, die vielen von uns helfen.
Um dies zu erreichen wurden (und werden weiterhin) Verfahren entwickelt, um Wirksamkeit und Risiken einer Substanz zu überprüfen und bei positiven Ergebnissen zuzulassen. Das ist langwierig, teuer und frustrierend, soll aber dem Schutz der Patienten vor Schäden oder sinnlosen Behandlungen dienen (und ich weiß selbst, dass es unzählige Fälle gibt, in denen trotzdem betrogen oder sonst wie Mist gemacht wurde). Wir alle kennen die Contergan-Geschichte, aus einer Zeit, als es diese Verfahren noch nicht gab und die als Reaktion darauf etabliert wurden (wie gesagt, nicht perfekt, aber immerhin).
Methadon nimmt da gerade aber eine “Abkürzung”, ironischerweise ausgelöst durch eine Berichterstattung, die darauf hinweisen will, dass dem Medikament der übliche, lange Weg (über große Studien) versperrt sei (angeblich/möglicherweise aus Profitgründen der Pharmaindustrie).
Aus der Sicht eines Sterbenskranken, der an ein Mittel gekommen ist, das ihm augenscheinlich das Leben gerettet hat, welches aber nicht die üblichen Hürden der Prüfung genommen hat, erscheint die Kritik an einer solchen “Abkürzung” und der auslösenden Berichterstattung darüber kaum oder gar nicht nachvollziehbar. Es klingt wie Prinzipenreiterei (oder der Kritiker muss von der Pharmaindustrie bezahlt sein).
Bei einer Arznei, die hilft, erscheint eine Verkürzung des Verfahrens vielleicht sogar nachvollziehbar und sogar wünschenswert. Tatsächlich gibt es das: So werden in eindeutigen Fällen sogar große Studien abgebrochen, weil es ethisch nicht mehr vertretbar ist, den Patienten der Kontrollgruppe, die das getestete Mittel nicht bekommen, zu verweigern.
Das Problem ist: Was ist, wenn die “Abkürzung” mit einem Mittel erfolgt, bei dem dann Menschen zu Schaden kommen? Diese Gefahr besteht ja immer, wenn man in einer frühen Phase der Entwicklung ist und sich naturgemäß nicht sicher sein kann, was eine Substanz vermag und was nicht. Und “zu Schaden kommen” heißt dann möglicherweise, dass Patienten nicht länger leben, sondern früher sterben.
Am Ende des Radiobeitrags äußert die befragte Krebsmedizinerin ihre Sorge, dass der Fall Methadon (in einer so frühen Phase an die Öffentlichkeit zu gehen und in dieser Form darüber zu berichten) Schule macht. Dann müsste künftig jemand nur laut genug Aufmerksamkeit erregen, um für seine “Entdeckung”, sein Medikament zu werben.
Wenn so etwas regelmäßig passiert, kommen wir in Teufels Küche, weil Menschen zu Schaden kommen werden. Und dann wird jeder fragen: “Wie konnte das passieren?”, “Wieso gibts da keine Kontrollen?”
Meine Rolle, für die ich in diesem Radiostück befragt wurde, ist es, die Rolle der Medien und des Journalismus’ zu betrachten. Und da zeigt sich leider, dass vieles schlecht gelaufen ist.
Denn wenn Berichte in den Medien den Eindruck erwecken, es gäbe eine Therapie, die Menschen retten kann, obwohl es nach dem Stand der Daten und den Regeln der Medizin eigentlich noch viel zu früh ist, das sicher zu beurteilen, dann muss man das kritisieren. Und dann muss man auch die Rollen von WissenschaftlerInnen und MedizinerInnen in der Öffentlichkeit hinterfragen, eben weil es ein Beispiel für andere sein wird, und weil wir sonst in Verhältnisse rutschen, die wir alle nicht wollen.
Aus meiner Sicht – und der Sicht vieler anderer mit Blick auf die Daten – wissen wir derzeit nicht, ob Methadon als Wirkverstärker einer Chemotherapie Leben verlängert oder nicht.
Einige der Betroffenen werden sagen: “Das ist mir doch egal. Ohne die Berichte wäre ich nie auf Frau Friesens Forschung aufmerksam geworden und wäre vielleicht schon tot.” Andere werden sagen: ”Was interessieren mich die Regeln, die Daten, das Prinzip. Ich habe jetzt wieder Hoffnung und lebe länger. Red’ nicht so einen Stuss.”
Aber das ist genau der Moment, an dem das alles nicht zusammenzubringen ist. Dass ist das Dilemma, das nicht aufzulösen ist. Das ist das Dilemma, in das wir gerutscht sind, weil die Mehrheit der Medien die Situation zu Methadon so dargestellt haben, wie sie sie dargestellt haben.
Vielleicht geht es diesmal gut aus und Methadon erweist sich wirklich als der Heilsbringer, als der es angepriesen wird. Es wäre jedem zu wünschen.
Aber auch ein vermeintlicher Erfolg wird uns in Zukunft gehörig auf die Füße fallen, wenn wir nicht diskutieren und kritisieren, was an dem Fall um Methadon alles so problematisch ist.
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