Es ist immer dasselbe: Für den Nachweis der Wirksamkeit von irgendwas braucht es gute wissenschaftliche Studien. Für Laien sind die aber in der Regel nicht zu verstehen. Also müssen andere Kriterien her, nach denen sie entscheiden können, ob was wirkt oder nicht. Ich hätte da einen Vorschlag …
Ich möchte ein neues Kriterium einführen, an dem man erkennen kann, ob eine Therapie wirksam ist oder nicht. Es ist nicht sehr wissenschaftlich, aber zumindest in einem Fall vollkommen zutreffend. Das Kriterium lautet: Bescheuert aussehen. Kann man von etwas ernsthaft eine Wirkung erwarten, wenn es so bescheuert aussieht wie eine Ohrkerzen-Therapie?
Ohrkerzen sind keine normalen Kerzen, sondern bis zu dreißig Zentimeter lange, Bleistift dicke Wachs-Gaze-Kerzen, die innen hohl sind und oft Öle oder Kräuter enthalten. Die steckt einem der Therapeut (z.B. ein Heilpraktiker (sic!)) in ein Ohr, während man auf einer Seite liegt.
Die warme Luft der Flamme steigt auf und soll im Ohr einen Unterdruck erzeugen. „Die Werbung für Ohrkerzen verspricht”, so das unabhängige Gesundheitsmagazin Gute Pillen, schlechte Pillen (GPSP), „dass Ohrenschmalz, Unreinheiten und Gifte aus dem Ohr gesogen werden und abfließen können.”
Die Ohrkerzentherapie wird bei Tinnitus oder auch bei Problemen mit Nasennebenhöhlen eingesetzt. Auch bei Kopf- und Ohrenschmerzen sollen die hohlen Stifte helfen. Es werde sogar versprochen, dass sich das Hören oder Hirnfunktionen bessern, dass Blut gereinigt und Krebs geheilt wird.
Offenbar setzen so viele Menschen auf die Kraft der Kerzen, dass die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sich aktuell genötigt sieht, davor zu warnen (pdf). Denn nicht nur, dass es für irgendeine Wirksamkeit keine stichhaltigen Belege gäbe, nicht ein mal ein postulierter Unterdruck sei messbar, der Einsatz der hohlen Wachssifte könne sogar gefährlich werden.
Das GPSP fasst die Warnung der FDA so zusammen:
- Verbrennungen können im Gesicht, in der Ohrmuschel, im Gehörgang oder im Mittelohr entstehen
- Das Ohr kann durch tropfendes Wachs verletzt werden
- Kerzenwachs kann die Ohren verstopfen
- Blutungen durch Verletzungen sind möglich
- Das Trommelfell kann durchstoßen werden
- Medizinische Hilfe wird erst verspätet gesucht, obwohl sich dadurch Erkrankung oder Schmerzen verschlimmern
- Auch die Brandgefahr ist erhöht.
Stark besorgt sei die FDA, dass auch der Gebrauch bei Kindern beworben werde. Denn bei ihnen sei mit besonders hohem Verletzungsrisiko zu rechnen. „Sie sitzen nicht still, das Ohr ist klein und die Kerzen sind groß”, schreibt GPSP.
Die Redaktion des Magazins wundert das alles überhaupt nicht, hatte das Magazin doch schon 2007 vor den Esokerzen gewarnt (Artikel zum Download als pdf)
Ohrkerzen sind übrigens auch ein guter Beleg dafür, welche Aussagekraft der beliebte Hinweis hat, dass es sich bei einem Produkt um ein „Medizinprodukt” handelt. Er ist ungefähr so hilfreich wie der Spruch: Nur in der Apotheke erhältlich.
Jetzt könnte man vielleicht noch einwenden, dass die Kerzen und ihr Duft eine angenehme Stimmung verbreiten. Aber unter uns: Wie kann etwas eine angenehme Stimmung verbreiten, was so bescheuert aussieht?
Mehr bei GPSP.
Was es wohl sonst noch so gibt an Therapien, deren Wirkungslosigkeit allein daran zu erkennen ist, dass es bescheuert aussieht?
Foto: Wikipedia
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