Am Samstag 22.4. fand auch in Dresden ein March for Science statt. Es waren geschätzt rund 2000 Teilnehmer dabei. Ich hatte die Einladung von den Organisatoren Florian Frisch und Michael Kobel und ihrem Team eine kurze Ansprache zu halten, wir hatten drei bis vier Minuten.
Weitere RednerInnen waren: Hans Müller-Steinhagen, Rektor TU Dresden, Pia Hönscheid, Biologin, Uniklinik Dresden, Thomas Bürge, Direktor SLUB Dresden, Armin Asper, Schulleiter, Gerd Schwerhoff, TU Dresden, Eva-Maria Stange, Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sachsen, die Physikanten. Die Redebeiträge aller Beteiligten finden sich auf dieser Webseite.
Auf Twitter gibts Eindrücke unter dem hashtag #DD2204. Außerdem unter #sciencemarch und #marchforscience.
Hier ist der Text der Rede:
„Wer nichts weiß, muss alles glauben!“ Das ist ein wunderbarer Slogan der Science Busters, den Wissenschaftskabarettisten aus Österreich. Könnte auch ein Motto dieser Veranstaltung sein: „Wer nichts weiß, muss alles glauben!“
Nur, um etwas zu wissen, muss man es auch erklärt bekommen.
Das machen Wissenschaftler eigentlich schon viele Jahre, weil Journalisten sie zu ihrer Forschung befragen, oder weil Pressestellen Werbematerial zusammenstellen. Wissenschaftler erklären gerne, was sie erforschen und was sie daran fasziniert. Es hat nie so viel Wissenschaftskommunikation gegeben wie in den letzten Jahren. Und dieser Tag heute ist vielleicht die beeindruckendste Form davon.
Aber was machen wir morgen? So weiter wie bisher?Ich glaube, nein. Ich glaube, es wird Zeit, dass Wissenschaftler nicht mehr nur ihre Forschung erklären. Sie müssen sich für sie einsetzen, sie müssen sie verteidigen, IHR müsst sie verteidigen gegen all die Wissenschaftsfeinde, Quacksalber und Ahnungslosen da draußen.
Ich finde, ihr wart in diesem Punkt bisher viel zu zurückhaltend, geradezu schüchtern.
Ihr haltet Euch zu oft raus. Selbst wenn ihr explizit vereinnahmt werdet.
Ein Beispiel: Im November 2015 tauchte auf Youtube eine Rede des AfD-Politikers Björn Höcke auf. In dieser Rede fabulierte er über Reproduktionsstrategien von Afrikanern und Europäern. Er hüllte es in ein wissenschaftliches Männtelchen als er von r- und K-Strategien sprach, einem Konzept aus der Biologie. Und dann vereinnahmte er auch noch die ganze Wissenschaftlerzunft, in dem er erklärte, dass sei alles (Zitat): „Sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen.“
Es gab eine Menge Aufruhr und Empörung in den Medien, ihr erinnert Euch.
Nur eine Gruppe war mucksmäuschenstill. Die Biologen, die stellten sich tot.
Wieso empörte sich niemand gegen diese Vereinnahmung? Wieso erklärte niemand, welchen Stuss Björn Höcke da verzapft? Warum erklärte den Menschen da draußen niemand, dass r- und K-Strategien nichts mit Menschen auf der Flucht zu tun haben? Wer hätte das besser machen können als Biologen? Ich finde, Biologen hätten den Herrn Geschichtslehrer mit Erklärungen über diesen Schulstoff überrennen müssen.Ich finde, ihr müsst in solche Diskussionen reingrätschen. Ihr müsst Euch wehren.
Wo ihr das macht, ist völlig egal: Auf einem eigenen Blog, auf Facebook, Youtube, einem Esoterikforum, auf einer ScienceSlam-Bühne oder in der nächsten Kneipe. Wichtig ist, dass wir alle in den Angriffsmodus gehen. Nicht nur heute, sondern ab morgen jeden Tag.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Sich in Diskussionen einzumischen, auf Facebook, Twitter oder irgendwelchen Blogs, in Kneipen und auf Plätzen, ist nicht einfach. Es ist riskant, es kostet Zeit, Nerven, vielleicht auch Geld.
Wer aber – wie viele von Euch – in prekären Verhältnissen lebt, sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelt, nicht weiß, in welcher Stadt er im nächsten Jahr arbeiten wird, wer zugleich vom „Publish or perish“-Mantra getrieben von Paper zu Paper hetzt, der wird es sich zweimal überlegen, ob er sich in kritische Diskussionen einlässt, die für eine wissenschaftliche Karriere nicht besonders förderlich sind.
Zur Wahrheit gehört auch – und das hier geht an die verantwortlichen Politiker: Wenn wir Wissenschaftler wollen, die öffentlich für Wissenschaft einstehen und sie an allen Ecken und Enden verteidigen, dann müssen diese Wissenschaftler unter Bedingungen arbeiten, die es ihnen erlaubt, etwas zu riskieren.
Also, lasst uns heute diesen Tag abfeiern, lasst uns stolz sein auf diese weltweite Demonstration für unser liebstes Kind. Ab morgen gehen wir alle in den Angriffsmodus und verteidigen die Wissenschaft mit Klauen und Zähnen.Wir haben alle was zu verlieren.
Glück auf.
Hintergrundinfos zum angesprochenen Höcke-Fail und dem Thema, dass Wissenschaftler sich mehr in solche Diskussionen einschalten sollten, finden sich bei mir auf dem Blog hier, hier und hier.
Andere empfehlenswerte Texte zum ScienceMarch wären zum Beispiel diese beiden hier:
Raus, raus, raus! Manuel J. Hartung und Andreas Sentker, Die Zeit
Am Samstag auf die Straße – und dann? Markus Weißkopf, Wissenschaft im Dialog
Der Fluss des Wissens, Christian Schwägerl, RiffReporter
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