Vitamin C ist wohl der Inbegriff des Gesundheitsstoffes schlechthin. Schon bei dem Gedanken daran, habe ich das Gefühl, mir kann keine Krankheit etwas anhaben. In den 30er Jahre war das noch nicht so. Damals hatte ein Schweizer Chemiker der Firma Roche das Patent zur Herstellung von synthetischem Vitamin C verkauft. Es fehlte nur der Markt für ein solches Produkt.
Daniel di Falco von der Basler Zeitung beschreibt – basierend auf den Ergebnissen einer Doktorarbeit zum Thema – wie es Roche durch geschicktes Marketing gelang, einen Markt für Vitamin C zu kreieren. Heute nennt man das Disease Mongering. (In der alten Heimat hatte ich da mal was zu.)
Das Problem war damals wie heute:
“Eine einigermassen vernünftige Ernährung deckt den ganzen Bedarf; alles zusätzliche Vitamin C scheidet der Körper ungenutzt aus. Skorbut ist also kein Thema, und an natürlichem Vitamin C ist kein Mangel, (…)”
Die Lösung, schon damals:
“(…) wo es ein neues Produkt gibt, aber keinen Markt, muss man ihn schaffen. Für Arzneimittel heisst das: «Hokuspokus» machen und den Patienten «eine neue Krankheit andichten». So sprach man damals firmenintern.”
Das Vorgehen kommt einem auch bekannt vor:
“Zunächst setzt Roche auf die Leistungsförderung. Sportler sollen die Wirkung beweisen, und so wird Ascorbinsäure an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin getestet. Beweisen lässt sich zwar nichts, die Strategie bleibt aber klar: die Umdeutung von Vitamin C vom Arznei- zum «Funktionsmittel».”
Und die Reklame-Slogans sind bis heute geblieben:
“Alle, denen «Leistungsfähigkeit» abverlangt werde, müssten auf «optimale Vitamin-C-Zufuhr» achten, so eine Reklame: «Dadurch wird die Stimmung gefördert, die Arbeitsfreude erhöht und manche Enttäuschung verhindert.»”
Der Trick dabei, schreibt di Falco:
“Das Unternehmen stützt sich dabei – und das ist gesellschaftlich brisant – auf einen ganz bestimmten Begriff von Gesundheit: Gesund ist nicht, wer nicht krank ist, sondern wer leistungsfähig bleibt. Es geht um Prävention und die «Volksgesundheit», und Roche gelingt es, Vitamin C mit dem öffentlichen Interesse an einem leistungsfähigen «Volkskörper» zu verknüpfen. Und genau darin sieht Bächi das Entscheidende in der Karriere dieses Stoffs.”
(Fettung durch mich)
Und auch das Argument kennen wir schon:
“«Der Vitamingehalt unserer Nahrungsmittel wird oft durch industrielle Verarbeitung sowie durch die Zubereitung im Haushalt zerstört», heisst es im Roche-Pavillon: «Vitaminmangel kann auch bei scheinbar abwechslungsreicher Ernährung auftreten.»”
Verrückt eigentlich, dass Menschen der Meinung sind, in Zeiten, in denen wir so alt werden wie nie, so gut versorgt sind wie nie (die meisten zumindest) und ein solche erreichbare Vielfalt an Lebensmitteln haben wie nie, müsste man sich durch zusätzliche Vitamin-Dosen vor Krankheit schützen.
Wie wirksam das Marketing war, erkennt man daran, dass selbst ein Nobelpreisträger geradezu besessen war vom Vitamin C (Pauling) und das Personen wie der seltsame Dr. Rath Vitamine gegen Krebs einsetzen wollen.
Marketing hat ganze Arbeit geleistet, und wir haben alles schön mitgemacht, weil wir so anfällig für einfach Lösungen und schönes Gequatsche sind. (*andieeigeneNasefass*)
Recherchiert hat die ganze Geschichte der Historiker Beat Bächi für seine Doktorarbeit, die jetzt als Buch erschienen ist:
Beat Bächi: Vitamin C für alle! Pharmazeutische Produktion, Vermarktung und Gesundheitspolitik 1933-1953. Chronos, Zürich 2009.
Nachtrag (7.9.09):
Beat Bächi hatte bereits im Mai in der Zeit einen Beitrag zum Thema verfasst, wie er mir heute mitteilte.
(via)
Foto: Wikipedia
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