Es gibt diese Befürchtung, dass Wissenschaft das Mystische, das Phantastische und damit das Geheimnisvoll-Schöne in der Welt zerstört und sie damit irgendwie ärmer macht. Klassisches Beispiel ist der Regenbogen, dessen Schönheit angeblich verschwindet, wenn man weiß, wie er entsteht. Als ob das Wissen ein Geheimnis verrät.
Da ist ja auch ein bisschen was dran. Zumindest in einem ersten Moment. Denn es gibt zusätzlich zum Gefühl der Erhellung und Auflösung auch diesen Funken von Enttäuschung, weil eine Erklärung eine Sache plötzlich so einfach, so logisch, so banal, erscheinen lässt. „Ach so, so einfach.” Das Mystische, das Rätselhafte, ein möglicherweise großes Geheimnis fällt wie ein Kartenhaus zusammen. Schade.
Aber dann, und das ist, wie ich finde, das wunderbare, stellt sich zumindest bei mir immer wieder dieses andere Gefühl ein: Eine aufregende Mischung aus Staunen und Neugier, aus „Ah, so ist das, klar.” gepaart mit: „Mhm, und was bedeutet das weiter.” „Was folgt daraus?” oder „Aber warum ist das so?”.
Genau das passierte mir am Wochende hier in Dresden auf dem Stadtfest. Meine Familie und ich schlenderten die Fressbuden entlang, um auf den Platz zu gelangen, auf dem das goldene Reiterstandbild „August des Starken” den feisten Glanz der Barockzeit ins 21. Jahrhundert retten soll (und mich doch immer nur an Joachim Witts „Goldenen Reiter” erinnert, umgeben von Plattenbauten, die die Fußgängerzone in diesem Teil der Stadt säumen und die die Alleebäume mehr oder weniger gut verstecken).
Auf diesem Platz gab es eine Bühne auf der zwei Kabarettisten ein Programm für Kinder, Jugendliche und Eltern veranstalteten, die Physikanten oder so ähnlich, eine Mischung aus Zauberei und Wissenschaft. Wir blieben einen Moment stehen, schauen den beiden zu, diesen etwas klamaukig-überdrehten Darstellern (einer im weißen Wissenschaftlerkittel, einer ohne).
Auf der Bühne steht ein Aquarium, auf einem Tisch, offensichtlich leer. Der „Wissenschaftler” weist den „Assistenten” an, ein U-Boot (ein „Etwas” aus dünner gold- und silberfarbenen Alufolie, das dem Rumpf eines Bootes oder einer seitlich halbierten Tonne ähnelt) zu Wasser zu lassen.
Der „Assistent” wundert sich, denn im Aquarium ist nichts drin. „Aber da ist ja gar kein Wasser drin!”, beschwert sich der „Assi”. Der Wissenschaftler nimmt das Boot und legte es trotzdem in das Aquarium. Und siehe da: Anstatt auf den Boden zu fallen, schwimmt es auf magische Weise am oberen Rand des Aquariums. Es schwebt.
Erstaunlich. Verrückt. Zauberei.
„Das ist Zauberei. Das ist Magie”, ruft der Gehilfe aus. Tatataaa. Die Zuschauer klatschen. „Ja, das ist Zauberei”, sagt der Wissenschaftler und fällt sich gleich ins eigene Wort „Äh, nein, natürlich nicht. Das ist Wissenschaft, keine Zauberei.” Und man spürt einen Hauch von Enttäuschung im Publikum, weil das aufregend Rätselhafte, das Geheimmnisvolle zu schwinden droht. Zugleich macht sich auch Neugier breit, die erfahren will, wieso das Boot auf einem Nichts schwimmen kann. Und der „Wissenschaftler” erklärt es Ihnen.
„In dem Aquarium ist kein Wasser, auch keine Luft, sondern Schwefelhexafluorid. Das ist ein Gas, das schwerer ist als Luft.” Obwohl wir nichts sehen, ist in dem Aquarium etwas drin: Ein Gas, und das sorgt für einen Effekt so als wäre Wasser darin.
Luft und Gas sind nicht nichts. Ein Gas ist etwas, auf dem etwas anderes schwimmen kann.
Wieder ein sanftes, ein befreites Raunen im Publikum. Aah, ach so, klar. Guck mal an. So ist das. Was es alles gibt. Reingefallen. Man soll sich nicht täuschen lassen. Aber schon komisch. Nichts drin, und doch was drin.
Wir gehen weiter … und bei mir geht das Rattrn los … Wie leicht wir uns ins Bockshorn jagen lassen … Ja, aber wieso schwimmt das Alufolienboot auf dem Gas? Weil es leichter ist! Weil es leichter ist? Wie, Alu ist leichter als Gas? Ein Gas ist nicht nichts. Lass dich nicht ins Bockshorn jagen! Wieso schwimmt nochmal ein tonnenschweres Schiff aus Stahl auf dem Wasser. Weil es leichter ist!? Wie war das noch mit Dichte, Auftrieb, Archimedes usw.?
Muss ich nachgucken. Oder meine Frau fragen, die ist Physikerin.
Ist das nicht toll? Ich finde das toll. Die Rätsel verschwinden nicht. Ein Rätsel gelöst, das nächste steht schon vor der Tür. Und das Geheimnisvolle, das auch ein bisschen dunkel ist, erhellt sich …
Wie kann man nur glauben, die Welt würde ärmer indem man ihre Rätsel löst?
P.S.: Ja, ich habe Dawkins’ „Der entzauberte Regenbogen.“
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