Single‐study syndrome is a common problem in stories about climate change and other topics as well, of course, but I think it has the most power to cause the most harm when it turns up in health and medical reporting, because people are likely to act upon these stories in ways that can quickly affect their lives, whether it’s eating more of this or less of that, or deciding to try or to skip new drugs and treatments. And you can see how potentially dangerous that becomes when you consider that most of these studies will never be replicated.”

Ergänzung 7 (11:58 Uhr):

Mir und auch manchem anderen ist der Begriff des Single Study Syndromes das erste Mal in der Diskussion um die Seralini-Studie aufgefallen (Stichworte: Gentechmais, Ratten, Tumoren usw.) . Damals hatte Andrew Revkin auf seinem NYT-Blog Dot Earth einen Blogpost dazu verfasst mit dem Titel: “Single-Study Syndrome and the G.M.O. Food Fight“:

“I’ve written here before about what I call “single-study syndrome,” the habit of the more aggressive camps of advocates surrounding hot issues (e.g., climatechemical exposurefracking) to latch onto and push studies supporting an agenda, no matter how tenuous — or dubious — the research might be.”

Ergänzung 7 (11:43 Uhr):

Der Blog Science or not? hat dem SSS einen ganzen Blogpost und eine “Rote Flagge” gewidmet, ergänzt durch den unvermeidlichen xkcd-Cartoon:

xkcd Neurinos

“How to recognise this tactic

This tactic shows up when a person who has a vested interest in a particular point of view pounces on some new finding which seems to either support or threaten that point of view. It’s usually used in a context where the weight of evidence is against the perpetrator’s view.”

Ergänzung 8 (17:33 Uhr):

An diesem Essay kommt man natürlich gar nicht vorbei in der Diskussion:

John P. A. Ioannidis (2005): Why Most Published Research Findings Are False

Ergänzung 9 (2.8. 9:56 Uhr):

Mir scheint, es gibt einen subtilen Unterschied in der Betrachtung des “SSS”, den man beachten sollte. Einmal wird der Begriff verwendet in Diskussionen über große wissenschaftliche Themen, eine Studie, die konträr zu bisherigen Studien zeigen soll, dass es doch anders ist (Beispiel: Seralini). Hier geht es vor allem um Wissenschaftler und Befürworter einer These, die mit dieser einen Studie das gesamte bisherige Wissen infrage stellen.

Zum anderen beschreibt das SSS die Problematik im Journalismus, jede einzelne kleine Studie zu berichten (ähnlich  wie bei Resveratrol) als wäre sie wichtig, bedeutend also relevant also berichtenswert, obwohl die Menschheit bei genauer Betrachtung auch sehr gut ohne diese Studie auskommen könnte.

Nachtrag 6.8.: Das SSS im Journalismus hängt aber natürlich auch am SSS in der Wissenschaft, weil Journalisten gerade diese eine Studie aufgreifen und darüber berichten, weil jemand behauptet, sie würde alles auf den Kopf stellen, (siehe eben den Fall Seralini).

Ergänzung 9 (6.8. 9:56 Uhr): Lars Fischer hat in seiner ureigenen Art in einem Blogpost begründet, warum Pinkers Forderung Quatsch ist (“Wie, nicht mehr über Studien berichten?”), Titel zuvor: :

“Dass das funktioniert, glaube ich schlicht nicht. Reviews sind keineswegs objektive und vollständige Literatursammlungen, sondern ebenfalls meist subjektive Zusammenfassungen dessen, was die ausgewählten Autorinnen und Autoren für den Stand der Forschung halten. Und ob man sich das Ergebnis einer zufälligen Studie oder die Meinung eines zufälligen Autors stützt, bei umstrittenen Themen kommt das aufs Gleiche raus, wenn man unreflektiert an die Sache rangeht. (…)

Außerdem sind, wie andere andernorts ja schon anmerkten, einzelne Studien schlicht nachrichtenwürdig, auch wenn sie für’s Überleben der Menschheit oder den Fortgang der Wissenschaft grad mal nicht relevant sind. (…)

Die Wissenschaft erzeugt keine Wahrheit, sondern einfach verschiedene Grade von Unsicherheit, über die ich als Journalist zu jedem Zeitpunkt berichten können muss (…)

Ganz abgesehen davon ist es auch nicht mein Job, möglichst gesichertes Wissen an den Mann oder die Frau zu bringen. (…)”

Holger Dambeck von Spiegel Online pflichtet ihm auf Twitter bei:

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Kommentare (30)

  1. #1 Josef Zens
    Berlin
    1. August 2014

    Wie ich auf Facebook schon kurz sagte, vermisste ich bei dieser Art der Berichterstattung die Aktualität, die ja doch einen entscheidenden Nachrichtenfaktor und damit ein journalistisches Qualitätskriterium darstellt. Eine Metaanalyse bzw. ein Review blickt von soweit weg auf Ergebnisse, dass man nicht mehr ohne weiteres sagen kann, Forscher haben kürzlich gezeigt. Es wäre, überspitzt formuliert, so als ob man keine Journalisten mehr zu Parteiveranstaltungen schickte, sondern erst abwartet, wie Historiker das einordnen.
    Was wären den Gründe dafür? Angst, einem Betrüger aufzusitzen: Gerade das aber ist Aufgabe des Journalismus UND der Wissenschaft selbst, Betrug aufzudecken. Man könnte auch sagen: Weil nun halt so wenig Platz für Reports aus der Wissenschaft ist, sollte man den Platz nicht für “gesichertes” Wissen nehmen? Die Akademien würde es freuen, die mit langem Vorlauf kluge Papiere veröffentlichen. Aber Unterhaltung und Aktuell geht m.E. anders.

  2. #2 CArsten
    1. August 2014

    Am einfachsten wäre es sicherlich (zumindest bei > 95% der Studien[Citation needed]), dass man diese kategorisiert und *deutlich* dementsprechend kennzeichnet. Also bspw. ob es sich um eine “Primärstudie” bzw. “Primärexperiment” oder eine “Test/Falsifikationsstudie” handelt. Und ebenso natürlich Metastudien. Es gibt sicherlich eine Menge Leute, die sich darüber einen Kopf machen könnten. ;)

    Wie geschrieben, das sollte für viele Paper/Studien machbar sein, auch wenn es hier natürlich Graubereiche gibt. Aber ich hoffe, dass dadurch schon einiges klarer wird.

    Große Neuigkeiten basieren natürlich häufig auf Primärstudien, die auch häufig falsch sein können bzw. noch nicht weiter überprüfbar (BICEP2 hängt da bspw. noch einige Zeit in der Luft, aber es wäre falsch gewesen, *nicht* darüber zu berichten). Solange aber klar ist, dass es die einzige Studie in einem Bereich ist, sollte der geneigte Leser wissen, dass man diese mit einer Portion Zurückhaltung aufnehmen sollte, oder?

  3. #3 Marcus Anhäuser
    1. August 2014

    @ Josef Zens: Naja, aber Aktualität darf ja kein Selbstzweck sein, was nützt das alles, wenn am Ende des Tages doch nur “bullshit” berichtet wurde. Dann wissen wir zwar aktuell Bescheid, an was so geforscht wird, aber der Wahrheit kommen wir damit auch nicht näher. Kommt vielleicht auch ein wenig auf den Forschungsbereich an: In der Medizin ist das vielleicht was anderes als in der Astronomie in der Geografie in der Biologie … Mhm.

  4. #4 Brynja
    1. August 2014

    Ich finde die Frage sehr wichtig. Das beschäftigt mich auch gerade sehr. Ich merke in Diskussionen über aufgeheizte Themen wie Gentechnik oder Tierversuche oft, dass Forschung diskreditiert wird mit dem Hinweis darauf, dass 100 Forscher ja 100 Meinungen hätten und nächstes Jahr jeder wieder ne andere. Die Wissenschaftsberichterstattung nährt dieses Vorurteil, weil ihr Aktualität und Abweichung vom Konsens of berichtenswerter erscheint als ein ausgewogener, abgehangener Blick auf die letzten 10 Jahre und den aktuellen Stand in einer Forschungsfrage. Ich finde das in seinen Auswirkungen auf Ansehen der Wissenschaft und politisch Relevantes problematisch. Deswegen schrieb ich auf Twitter gerade: “Fokus sollte auf gesichertem wissenschaftl Konsens liegen, Neuestes deutlich leiser & unter Vorbehalt”

  5. #5 Alexander Mäder
    1. August 2014

    Einzelne Studien können News sein, das lässt sich nicht so einfach ändern. Das Problem ist, dass wir zuweilen über beliebige Studien zu berichten scheinen und sie nicht in den Forschungskontext einordnen. Steven Pinker scheint vor allem an die wissenschaftliche Beratung von Politik und Gesellschaft zu denken, aber das ist nicht das einzige Thema im Journalismus. Wir dürfen aber keine Einzelstudien als wissenschaftliche Beweise verkaufen.

  6. #6 Martina Gröschl
    Zürich
    1. August 2014

    Wissenschaftsjournalisten sind keine Berichterstatter. Mit dem Aufgreifen einzelner Studien und ihrer Einbettung bzw. Bewertung kann man als Wissenschaftsjournalist durchaus Aktualität und (Meta-)Analyse verbinden.

  7. #7 Josef König
    Bochum
    1. August 2014

    “Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen”, so möchten wir Goethe folgen und nur gesichertes Wissen lesen. Doch bei Goethe ist dieser Spruch im Faust von Mephisto ausgesprochen und voller Ironie. Wendet man ihn auf diese Diskussion, so zeigt er uns, dass wir kein gesichertes Wissen haben, ja mit dem Gedanken an gesichertem Wissen das Wesen von Wissenschaft verkennen: Stets (wie Faust) altes einreißen und nach neuem streben. Und so gehört eben das Publizieren ebenso dazu wie die Kritik daran – in der Hoffnung, dass wenigstens etwas “gesichertes” Wissen entstehen möge.
    Dass heißt nicht, dass jeder Mist publiziert werden muss (Volker Stollorz mahnt zurecht, aber seine Mahnung ist ja eher dem Wunsch nach persönlicher Zurückhaltung und publizistischer Hygiene geschuldet). Wir sollten aber nicht die ökonomische und Image bildende Seite der Diskussion verkennen. Es gibt in diesem Metier, wie in vielen anderen, ganz unterschiedliche Interessen und Zwänge. Da gibt es z.B. den freien Journalisten, der um sein Brot/Einkommen kämpft, wenig Aufträge hat und daher jeden nehmen muss, um seinen Lebensunterhalt zu bezahlen; da gibt es den Pressesprecher, der seine Institution in die Medien bringen will und “sexy” Studien popularisiert, was sein Job ist und wofür er auch bezahlt wird; da gibt es den Wissenschaftler, der hofft, dass seine Studie nicht nur in der “scientific community” ankommt, sondern auch in der großen Welt, damit seine Ruhm gemehrt wird, und da gibt es den Verleger, der mit Nachrichten (möglichst solchen, die den Gesetzen der Medien gehorchen) sein Medium verkauft.
    Und zwischen allen diesen Stühlen diskutieren wir über die – nennen wir es – “Ethik der Wissenschaftskommunikation”. Das ist eine sicher notwenige Diskussion, aber ganz offen, nicht frei von Naivität, also einem Hauch von l’art pour l’art.

  8. #8 CM
    1. August 2014

    Hm, wichtig ist sicher etwas zu verstehen, bevor man es anderen erklärt, ob als LehrerIn, JournalistIn, Elternteil. Gerade bei Journalisten ist das in Bezug auf Studien nicht unbedingt gegeben: Wissenschafstjournalisten, bzw. Journalisten, die mal über Wissenschaft berichten, haben längst nicht alle den Werkzeugkasten Unsinn von Sinn zu unterscheiden und selbst wenn, ist eine Stichprobe u. U. zu klein für definitive Aussagen.

    Dumm nur, dass news value (siehe Kommentar #5) eben ein Wert ist, der nur kurze Zeit besteht …

  9. #9 Rainer Kurlemann
    Düsseldorf
    1. August 2014

    Eine einzelne Studie kann durchaus Neuigkeitswert haben und auch allein Grund für eine Berichterstattung sein. Ich halte es für eine Pflicht eines Wissenschaftsjournalisten, diese Ergebnisse einzuordnen und andere Studien einzubeziehen. Meistens wird dann schon klar, ob die einzelne Studie wirklich einen Nachrichtenwert hat – oder eben nicht. Wenn nicht, sollte man auch nichts schreiben.

  10. #10 Josef Zens
    Berlin
    1. August 2014

    @Marcus Anhäuser: Ja, klar, kein Bullshit. Darauf können wir uns alle sicher schnell einigen. Aber wie Alexander Mäder sagt, manchmal ist eine Studie halt News (oder wird dazu gemacht). Vielfach ist es aber so, dass die Rücknahme der News (Studie xy wurde widerlegt) kleiner gespielt wird oder gar nicht erfolgt.

    Und was mein Namensvetter @Josef König sagt, kann ich aus langjähriger Erfahrung auf beiden Seiten des Schreibtisches nur bestätigen. Wir leben halt in der realen Welt. Journalisten müssen berichten, wenn der Druck groß ist (Klonexperimente, Urknallecho). Und manche Institute/PR-Leute/Wissenschaftler_innen hypen. Und manche angeblich so seriöse Journale auch. Insofern: Höchste Zeit für Qualitätsstandards auf allen Seiten.

  11. #11 Marcus Anhäuser
    1. August 2014

    Wie wäre es damit? Mit dem heutigen Tag hören wir einfach auf über Maus-Studien zu berichten. Ende. Fertig. Kein Wenn und Aber. Machen wir einfach nicht mehr. Würde der Welt irgendwas fehlen?

  12. #12 Alexander Stirn
    1. August 2014

    Mir kommt die Diskussion – wie so oft im Wissenschaftsjournalismus – mal wieder sehr akademisch und dogmatisch vor. Natürlich ist es Aufgabe des Journalismus, auch Prozesse zu begleiten und Entwicklungen aufzuzeigen. Natürlich muss jede Studie vor der Berichterstattung auf die klassischen Nachrichtenfaktoren abgeklopft werden; Aktualität und Neuigkeit gehören dazu, aber auch Nähe und Unterhaltungswert. Und natürlich müssen Journalisten die Studien dann, wenn sie sie für berichtenswert halten, einordnen und kritisch hinterfragen. Journalismus lebt im Hier und Jetzt. Für alles andere gibt es Historiker.

  13. #13 Marcus Anhäuser
    1. August 2014

    @Alexander Klingt zwar wie ein Schlusswort, aber damit lass ich dich nicht raus hier ;-). Du hast es ja “einfach” mit den Flug- und Raumfahrtthemen. Da gehts nicht so oft um Studien, oder?Entweder startet die Rakete oder nicht.

  14. #14 Brynja
    1. August 2014

    Vielleicht haben die Journalisten recht, die sagen: Ist nicht unsere Aufgabe. Weil es im Journalismus so stark um das Begleiten des gerade Aktuellen geht.

    Ich habe bei der Vermittlung des Konsens in der Wissenschaft auch eher so Institutionen wie “Sense about Science” in Großbritannien vor Augen. So was fehlt hier.

  15. #15 strappato
    1. August 2014

    Der Vergleich mit Parteiveranstaltung ist ireführend. Es gibt geschätzte 25.000-40.000 wissenschaftliche Fachzeitschriften, so genau weiß das keiner, mit > 1.5 Millionen neuer Artikel jedes Jahr. Im Gegensatz zu Politik-Journaliusmus ist das der Traum. Wissenschaftsjournalisten können aus der Fülle der Themen selber rauspicken, was Popularität und Leserinteresse verspricht. Wenn die ökonomische Seite des Wissenschaftsjournalismus nicht so hart wäre, die thematische Seite ist ein Schlaraffenland, das es sonst in nirgends so gibt.

    Vielleicht solte man mal über Studien schreiben, die keinen Publikationsbias haben? Wo die Mäuse nicht so reagiert haben wie es der Forscher gerne gesehen hätte? Nicht sexy genug?

    Ich verstehe Pinkers Forderung in der Richtung, dass endlich mal über Review-Studien und Metanalysen berichtet werden soll. Die kommen in den Medien kaum vor, nicht sexy genug.

  16. #16 Alexander Stirn
    1. August 2014

    @Marcus: In Physik und Astronomie gibt es das sehr wohl. Und ich finde es nach wie vor richtig, dass zum Beispiel die Bicep2-Ergebnisse oder die überlichtschnellen Neutrinos journalistisch aufgegriffen wurden (über das Wie kann und muss man sich in beiden Fällen sicherlich unterhalten).

    Falls durch so etwas der Eindruck entstehen sollte, es gäbe 100 Forscher mit 100 unterschiedlichen Meinungen, sollte man sich in meinen Augen eher die Frage stellen: Ist dem nicht vielleicht sogar so, und ist das überhaupt schlecht? Aufgabe des Journalismus sollte es jedenfalls nicht sein, die Image- und PR-Agentur der Wissenschaft zu spielen.

  17. #17 Brynja
    1. August 2014

    Ich denke, man muss unterscheiden um welche Art von Themen es geht. Je entscheidungsrelevanter wissenschaftliche Ergebnisse für den Einzelnen oder für die ganze Gesellschaft sind, desto eher sollten Artikel darüber den Konsens abbilden, finde ich. Manchmal gibt es lange keinen Konsens. Dann kann man natürlich auch keinen darstellen.

    Aber manchmal hat man nach Zeitungslektüre nur fälschlicherweise den Eindruck als gäbe es unter Forschern großen Streit um ein Thema. Bei Gefahren durch Gentechnik oder beim Klimawandel ist sich die Wissenschaft aber relativ einig. Der Eindruck von innerwissenschaftlichem Dissens entsteht nur dadurch, dass Interessensgruppen außerhalb der Wissenschaften sich auf jede Abweichlermeinung stürzen und die groß rausbringen.

    Für Wähler und Politiker ist es meiner Meinung nach aber entscheidend, dass sie sich unabhängig von solchen Verzerrungen ein Bild machen können vom tatsächlichen Stand der Wissenschaft.

    Analog ist es bei medizinischen Themen. Es ist für Einzelne z.T. sehr entscheidungsrelevant, was zu ihrer Krankheit geschrieben wird. Da sollte man vielleicht doch lieber vor allem über die 5 großen, älteren Studien schreiben, die bestätigen, dass ihr Medikament das Richtige für sie ist, als nur über die eine neue und viel kleinere Studie, die das in Zweifel zieht.

  18. #18 strappato
    1. August 2014

    Vielleicht sollte man über das Review schreiben, dass die klinische Evidenz der 5 “großen” Studien als gut bewertet hat und auf deren Basis Metaanalysen durchgeführt und Empfehlungen formuliert worden sind?

  19. #19 Marcus Anhäuser
    1. August 2014

    @Alexander klar, an so einem Ding wie Biceps2 kommt man nicht vorbei. Darum gehts aber auch nicht so sehr, scheint mir. Das trifft vielleicht auch viel mehr auf Medizin zu, wie das Beispiel Resveratrol zeigt, auf das Virginia Hughes hinwies. Alle paar Monate erschienen da über Jahre Studien zu wie toll der Stoff ist, und gegen was er schützen soll usw. und wir haben immer schön berichtet. Das Tagesgeschäft auf den Online-Seiten verlangt ja auch ständige Berichterstattung. Ich weiß noch, wie damals die SZ von einmal wöchentlich auf täglich umgestellt hat. Fand ich gut und war auch wichtig für das Standing innerhalb des Journalismus, aber dann heißt es auch die Seite täglich mit aktuellen Sachen zu füllen, und da kann man dann schnell in dieselbe Bredouillie kommen, wie die Onliner. Natürlich müssen wir dran bleiben am Puls der Wissenschaft und die Diversität der Wissenschaft müssen wir abbilden. (Das mit der Image und PR-Agentur der Wissenschaft habe ich nicht verstanden, das will ja keiner, das schließe ich auch nicht daraus). Aber mir scheint wir müssten viel öfter sagen: Nö, ist kein Bericht wert (so schwer das auch sein kann). Neben Aktualität ist nämlich auch Relevanz ein wichtiger Punkt: Der ist bei Biceps2 gegeben, aber nicht bei der x-ten Resvertrol-Einzelstudie.

  20. #20 Hanno
    1. August 2014

    Im Prinzip ist das richtig was Steven Pinker sagt. Mit ein paar Einschränkungen, die sich aus dem Kontext der jeweiligen Wissenschaft ergeben.
    Ein Gegenbeispiel wäre Mathematik. Da ist ein Beweis einfach nur richtig oder falsch. Muss nicht repliziert werden. In anderen Fällen ist eine Replikation extrem unrealistisch und aufgrund der deutlichkeit der Daten auch nicht nötig – nehmen wir etwa die aktuellen Rosetta-Bilder. Es dürfte wohl niemand verlangen, dass erst jemand anderes eine 2. Sonde hinschicken muss bevor wir glauben dass der Komet so aussieht wie er es auf den Rosetta-Bildern tut.

    Was auch denke ich legitim ist; Über einzelne Studienergebnisse berichten, wenn man sie entsprechend in den Kontext einbettet und ihre möglichen Schwächen erklärt. Das ist dann sozusagen Meta-Wissenschaftsberichterstattung. (“Es gibt eine neue Studie die auf X hinweist, aber alle früheren Studien haben eher auf Y hingewiesen, die neue Studie unterscheidet sich methodisch weil sie A macht statt B, aber im Moment keine hohe Aussagekraft” – so in der Art)
    So gab es etwa bei den überlichtschnellen Neutrinos durchaus viele Berichte die ich okay fand. Stoßrichtung: Das würde die etablierte Physik über den Haufen werfen – und deswegen ist es viel plausibler, erstmal nach dem möglichen Fehler zu suchen.

    Aber für einen Großteil der Dinge, die so tagtäglich in den Medien berichtet werden – Medizin, Psychologie, Ernährung, … – kann man wohl nur uneingeschränkt zustimmen. Ein sehr populäres Paper von John Ioannidis, das vor vielen Jahren in PLOS veröffentlicht wurde, trägt den Titel: “Why most scientific findings are false” – das sollte sich jeder Wissenschaftsjournalist über den Schreibtisch hängen und immer dran denken.

  21. #21 Marcus Anhäuser
    1. August 2014

    Ach genau: Ioannidis hatte ich oben noch einfügen wollen.

  22. #22 Dr. Webbaer
    1. August 2014

    Studien sind -Neuland betrefffend- idR falsch oder “falsch”, was mit dem Wesen der Erkenntnis zusammenhängt; ein Steven Pinker, der ohnehin locker sein kann, was das betrifft, das er betreibt, missachtet hier aber den Veranstaltungsrahmen, das Wissenschaftliche betreffend, und muss nicht weiter gehört oder gelesen werden vor diesem Hintergrund.

    MFG
    Dr. W

  23. #23 Joseph Kuhn
    2. August 2014

    Steven Pinker in allen Ehren, aber im Grunde fährt er auf dem gleichen Ticket, das er kritisiert: Lieber eine steile These posten als über die Sache nachdenken. Nicht mehr über Einzelstudien berichten, ist ebenso weltfremd wie falsch. Besser und realistischer wäre es, angemessen und sachkundig über Studien zu berichten, egal ob es Einzelstudien oder Reviews/Metaanalysen sind. Dazu müssten sich Wissenschaftsjournalisten auch mehr auf die Grundlagen der einzelnen Disziplinen einlassen. Zusammenhangsannahmen in der Sozialpsychologie (und damit die Reproduzierbarkeit von Studien) haben einen anderen Charakter als die in der Physik (siehe z.B. Klaus Holzkamp, Klaus: Die Verkennung von Handlungsbegründungen als empirische Zusammenhangsannahmen in sozialpsychologischen Theorien: Methodologische Fehlorientierung infolge von Begriffsverwirrung. Zeitschrift für Sozialpsychologie 1986, 17, 216-238). Macht halt mehr Mühe als ein Tweet. Ganz davon abgesehen würde man mit Berichten über Reviews und Metaanalysen auch nicht viel weiter sein, die aktuelle Diskussion zum Nutzen der Mammographie ist ein schönes Beispiel.

  24. #24 Sim
    2. August 2014

    Vielleicht sollte es bei jedem Bericht über eine neue Studie so ein kleines Piktogramm geben welches den Stand der Forschung zusammenfasst. So in Form eines kleinen Metaanalyse Diagramms oder einer Ampel oder sonstwas. Dafür müsste natürlich erstmal im Wissenschaftsbetrieb durchgesetzt werden, dass solche Arbeiten generell sofort in einen Pool einfließen und so Metaanalysen on the Fly entstehen und nicht erst von Leuten Jahre später mühsam zusammengesucht werden müssen.

  25. #25 Alex
    4. August 2014

    @Marcus: Klar: hinterfragen, einordnen, bewerten und dann gegebenenfalls berichten oder ignorieren. Eben klassisches journalistisches Handwerk. Genauso wie sich Journalisten, um bei dem treffenden Politik-Beispiel von Josef Zens zu bleiben, bei einer x-beliebigen Äußerung eines Politikers auch fragen müssen: Ist das interessant, bringt das die Diskussion voran, will der nur ins Fernsehen? Aber über einzelne Studien gar nicht zu berichten, halte ich für weltfremd. Es fordert ja auch niemand von Journalisten, einzelne Bundesligaspiele zu ignorieren, nur weil am Ende der Saison die Tabelle womöglich ganz anders aussieht…

    Vielleicht müsste man anders ansetzen: Ich habe den Eindruck, dass bei manchen Menschen dieses “Die Wissenschaft hat herausgefunden…” noch immer mit einer Art absoluten Wahrheit gleichgesetzt wird. Hier könnten Forscher aber auch Journalisten deutlicher machen, dass jede Studie zunächst nur ein Mosaikstein sein kann, der mal interessant, mal nicht interessant, mal berichtenswert, mal nicht berichtenswert, mal richtig, mal falsch sein kann.

  26. […] aktuellen Ausdruck dieses Trends könnt ihr ausführlich bei Marcus Anhäuser nachlesen. Es geht um die Forderung von Steven Pinker, Journalisten sollten grundsätzlich nicht mehr über […]

  27. […] Woche berichtete ich über eine Diskussion, ob Wissenschaftsjournalisten überhaupt noch über einzelne Studienergebnisse oder eher über […]

  28. #28 Julia
    8. September 2014

    Lieber Herr Anhäuser,
    gibt es inzwischen eigentlich neuere (Auswertungen von) Studien zu Cellagon? Seit 2009 konnte ich hier nichts mehr finden… Habe den früheren Blog verfolgt und würde mich über ein Update freuen!

  29. #29 Marcus Anhäuser
    11. September 2014

    @Julia
    nein von meiner Seite aus nicht, die Firma wirbt auch nicht mehr mit Studien auf der Webseite, wenn ich das richtig gesehen habe.

  30. #30 Julia
    12. September 2014

    @Marcus Anhäuser
    Alles klar, danke! Schade, da die Säfte weiterhin populär sind und unabhängige Untersuchungen wünschenswert wären… Aber stimmt, die Firma selbst wirbt mE nicht mehr mit Studien.