Richard Dawkins‘ Buch Das egoistische Gen erschien vor vierzig Jahren. Die BBC hat dazu gerade ein Interview mit Dawkins veröffentlicht. Vor zehn Jahren (im Oktober 2006) habe ich anlässlich des dreißigsten Geburtstages des Buches einen Artikel für die Süddeutschen Zeitung geschrieben, den ich hier mal zum Besten gebe. Das war auch das Jahr in dem er eine neue Manege betrat, von der viele sagen, die hätte er besser gemieden: The God Delusion (Der Gotteswahn).
Ich habe Das egoistische Gen gelesen, als ich mitten im Biostudium war: Evolutionsbiologie, Soziobiologie, Verhaltensforschung. Und ich weiß nur noch, dass ich es verschlungen habe. Selten habe ich in einem Buch (für meine Verhältnisse) so viel angestrichen, angemerkt usw.
Gleich der Einstieg löste bei mir innere Jubelstürme aus. Dieser Trick des Perspektivwechsels, uns, die Menschen, aus der Perspektive der Außerirdischen zu betrachten, fand ich toll und finde es bis heute einen gelungenen Einstieg.
Ich war auch deshalb so begeistert, weil vieles von dem, das ich gerade lernte, in ungemein verständlicher Form erklärt wurde. Dawkins ist und bleibt ein Meister des Erklärens.
Auch wenn er überzeugt ist (wie er im BBC-Interview erklärt), dass immer noch stimmt, was er schrieb (dass das Gen die Grundeinheit der Evolution durch Selektion ist), haben die Gruppenselektionisten inzwischen doch einiges an Land zurückgewonnen. Iich kann da gar nicht mehr so viel zu sagen, ich weiß nur dass Vertreter wie Nowak, D.S. Wilson und (zur Überraschung vieler) E.O. Wilson einiges an Papern dazu veröffentlicht haben und eine Zeit lang Oberwasser hatten. Ich habe jetzt auch lange nichts mehr darüber gelesen, also versucht ja nicht, mich in einer Diskussion zu verwickeln ;-).
Das Ende des Buches hinterließ bei mir das Gefühl: “Jo, die Welt ist erklärt. Darum gehts also. Das ist die “Driving Force””. Aber die Begeisterung hatte ich auch mit einem Fragezeichen ergänzt (siehe letztes Foto). Die Begeisterung für das Buch und die Idee des egoistischen Gens teilten nicht alle, wie der Einstieg des Artikels verdeutlicht.
Hier also mein zehn Jahre alter Artikel aus der SZ. Die Fotos stammen aus meiner Ausgabe von Das egoistische Gen, Spektrum Verlag, die Ausgabe von 1994.
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Der wahre Egoist kooperiert
Vor 30 Jahren erschien Richard Dawkins’ Buch “Das egoistische Gen” – und krempelte das Denken über die Evolution um.
Es waren Tränen der Hoffnungslosigkeit. Aufgelöst war die Schülerin in Kanada zu ihrem Lehrer gekommen: Sie sei so traurig, seit sie dieses Buch gelesen habe. Ein Verleger aus euseeland wiederum hatte drei schlaflose Nächte verbracht, weil ihm die Botschaft des Buches “so kalt und düster” vorgekommen war. Viele Leser fragten, wie es der Autor angesichts seines nihilistischen Pessimismus fertigbrächte, morgens aufzustehen.
Viele solcher Klagen hat sich Richard Dawkins, britischer Zoologe und Professor für die Popularisierung der Wissenschaft an der Universität Oxford, in den vergangenen Jahrzehnten anhören müssen – die meisten betreffen sein erstes Buch “Das egoistische Gen”, das am Donnerstag vor 30 Jahren in die Buchläden kam und inzwischen in 27 Sprachen übersetzt und über eine Million mal verkauft worden ist.
Der Einfluss des Buches könne eigentlich nicht überschätzt werden, erklären Dawkins’ Kollegen. “Es hat die Art, wie wir denken, von Grund auf verändert”, sagen die Biologen Alan Grafen und Mark Ridley, die einen Essayband über Dawkins herausgegeben haben. Norbert Sachser, Verhaltensbiologe an der Universität Bielefeld, ergänzt stellvertretend für viele Kollegen, die Dawkins und sein Buch als Studenten oder junge Wissenschaftler e
rlebten: “Durch ihn erst wurde klar, dass sich in den siebzier Jahren ein Paradigmenwechsel vollzog.”
Bis dahin nämlich galt für die alte Garde der Verhaltensforscher, allen voran Konrad Lorenz: Eine Verhaltensweise setzt sich in der Evolution durch, wenn sie der Arterhaltung dient. Was nicht ins Theoriengebäude dieser Gruppenselektion passte – wie das Töten von Jungtieren der eigenen Art – wurde als unnatürliches Verhalten erklärt. Seit Mitte der Sechziger aber äußerten englische und amerikanische Forscher andere Ideen: Nicht die Art sei Grundeinheit der Evolution, sondern das Individuum, so wie das auch Charles Darwin gesehen hatte.
Die “Neo-Darwinisten” gingen noch weiter: Eigentlich waren es die Gene, auf die es ankam. Doch die umstürzlerischen Worte blieben weitgehend unbemerkt. Stattdessen sammelten die Verfechter der “alten Lehre” Meriten: Konrad Lorenz erhielt 1973 mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen den Nobelpreis.
Damals war Richard Dawkins 32 Jahre alt. Er hatte zwar bei Tinbergen in Oxford promoviert, aber er war fasziniert von den neuen Ideen, die er in einem Buch zusammenfasste, das er nach eigenen Worten “in einem Zustand fieberhafter Erregung” schrieb: Durch das “egoistische Gen” erfuhr die Öffentlichkeit erstmals, dass es ganz andere Ideen über die Evolution gab, als sie die Nobelpreisträger vertraten. Dawkins erklärte sie so klar und einsichtig, dass auch Laien begreifen konnten, wie durch natürliche Selektion aus einfachen Molekülen im Laufe der Milliarden Jahre komplexe
Lebewesen entstanden waren.
Die Grundlage der gesamten belebten Welt aber war das, was Dawkins als den “Egoismus der Gene” beschrieb. Er betrachtete ihn als Voraussetzung, nicht als Schlussfolgerung, denn Gene, die nicht konsequent ihre eigene Vervielfältigung anstrebten, hatten im Wettbewerb auf Dauer keine Chance. Ohne den Eigennutz, den Dawkins den an sich leblosen Molekülen zusprach, könne es keine Evolution durch natürliche Selektion geben. Darwin hatte den Mechanismus als Auswahl zwischen zufälligen Variationen beschrieben, deren beste sich auf Dauer durchsetzt. Nicht die Art, Gruppe oder das einzelne Lebewesen, sondern nur Gene hätten die nötigen Eigenschaften, sagte Dawkins: Gene speiche
n und kopieren Information und schaffen durch kleine Fehler die Basis biologischer Vielfalt.
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