Plötzlich ergab vieles einen Sinn

Dawkins Das Egoistische Gen 2Im Lichte des Gen-Egoismus ergab es plötzlich Sinn, wenn ein Löwenmännchen, das ei
n Rudel übernommen hatte, die Jungtiere tötet, die sein Vorgänger gezeugt hat. Die Weibchen werden eher wieder fruchtbar, der Neue bekommt schneller die Chance, die eigenen Gene weiterzugeben. Gene brachten die Lebewesen aber auch dazu, zu kooperieren. Dies zu erklären war für Dawkins der eigentliche Zweck des Buches: Wie konnte sich Altruismus in der Evolution verbreiten, wenn die Gene egoistisch sein mussten?

Darin bestand die eigentliche Leistung der Soziobiologen, wie die Neo-Darwinisten nach einem preisgekrönten Buch von Edward O. Wilson auch genannt wurden. Sie nutzen neue Ansätze wie mathematische Kosten-und-Nutzen-Berechnungen und die Spieltheorie und erklärten erstmals, wie gerade wegen der egoistischen Gene Kooperation und Aufopferung unter Lebewesen entstehen konnten: etwa durch verwandtschaftliche Bande, oder weil Nichtverwandte sich nach dem Prinzip des ‘Wie du mir, so ich dir’ gute Taten mit gleicher Münze zurückzahlten.

Kooperation lohnte sich immer dann, wenn sie zu mehr Nachkommen führte und damit die Gene für Altruismus verbreitete: “Eigentlich geht es vor allem um die Entstehung von Altruismus”, sagt Dawkins.

Vielen Lesern blieben aber weniger die bahnbrechenden Ideen über die Kooperation im Gedächtnis, sondern Dawkins’ Sätze über die Stellung des Menschen: “Wir sind nur die Überlebensmaschinen der Gene. Wenn wir unseren Zweck erfüllen, werden wir beiseitegeschoben”, schrieb er. Genau das ließ Leser wie den Verleger aus Neuseeland nicht schlafen und trieb der kanadischen Schülerin Tränen in die Augen. Wenn Gene Organismen erschaffen, die im Interesse der Gene agieren, so ihre Folgerung, dann müssen auch diese Individuen unvermeidlich egoistisch sein.

“Die Leser hatten den Eindruck, Dawkins spreche von genetischem Determinismus”, sagt John Lyne, Experte für wissenschaftliche Rhetorik von der University of Pittsburgh. Und Manfred Milinski, der am Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön die Evolution erforscht, ergänzt: “Die deutsche Ausgabe unterstützte den Eindruck noch durch das unglückliche Titelbild einer Marionette.”

Dawkins hatte allerdings selbst zu dem Missverständnis beigetragen. Um die komplizierte Materie anschaulich zu machen, hatte er den Genen Leben eingehaucht, ihnen bewusste Absichten zugebilligt. “Unsere Intuition für soziales Verhalten vereinnahmte die Gene völlig”, sagt Randolph Nesse, Psychologe von der University of Michigan. Die Vorstellung, an den Marionettenschnüren der Gene zu hängen, war für viele Leser hoffnungslos und kalt.

Dabei hatte Dawkins erklärt, dass gerade der Mensch in der Lage sei, die Tyrannei der leblosen Moleküle zu überwinden, zum Beispiel durch Empfängnisverhütung. Mit dem Sinn des Lebens habe das alles überhaupt nichts zu tun. Soziobiologen sagten immer wieder, sie beschrieben lediglich, wie Evolution funktioniere, und nicht verkünden, was moralisch richtig oder falsch sei. “Diese Hinweise waren so effektiv wie ,Bitte langsam fahren‘-Warnschilder an Baustellen auf einsamen Wüsten-Highways”, sagt Nesse.

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Kommentare (10)

  1. #1 Alisier
    24. Mai 2016

    “Das altruistische Tier” wäre in der Tat weitaus sinnvoller gewesen, hätte sich aber niemals so effektiv als Mem ins kollektive Gedächtnis brennen können.
    Kooperation spielt für viele keine Rolle mehr, wenn sie über Evolution oder auch über Ökosysteme (und menschliche Gesellschaften) nachdenken oder sprechen. Halbwissen beherrscht die Diskussion, und viele sind mit ihren Positionen inzwischen näher an Haeckel als an Darwin dran.
    Und dafür mache ich auch Dawkins, den ich sehr schätze, verantwortlich. Formulierungen sind manchmal weitaus wichtiger als man ahnt.
    Danke für den Post!

  2. #2 Marcus Anhäuser
    24. Mai 2016

    :-). Das “Mem” habe ich natürlich völlig vergessen zu erwähnen. Das machte meine Begeisterung über das Buch komplett, auch wenn Dawkins selbst dann ja nicht mehr so viel dazu zu sagen hatte. Als im Internet der Begriff des Mems erstmals auftauchte, war ich total begeistert, weil ich das Gefühl hatte: Ey, kenn ich schon. Müsst ihr bei Dawkins nachlesen.

  3. #3 Alisier
    24. Mai 2016

    Kleiner Disclaimer: ich wollte in meinem Kommentar Ernst Haeckel nicht diskreditieren, sondern lediglich darauf aufmerksam machen, dass einige seiner Ideen offensichtlich zu Fehlschlüssen verleiten.
    Er selbst argumentierte wesentlich differenzierter als viele seiner Fans zu allen Zeiten.
    Auch hier: wo scheinbar Verstandenes auf Vorurteile trifft, entsteht oft eine extrem unappetitliche Mischung, der dann kompetent entgegengetreten werden sollte.

  4. #4 Dr. Webbaer
    26. Mai 2016

    Sicherlich ein sehr hübsches, wichtiges und kreatives Buch, die Memetik könnte aber unzureichend seriös sein.

  5. #5 zimtspinne
    28. Mai 2016

    oh, ich hab das Buch auch vom ersten Moment an geliebt und es hat bestimmt auch meinen beruflichen Wunschweg ein wenig mitbeschicksalt :p

    Ist das Teil echt schon 40 Jahre alt?
    Und irgendwie ist noch nichts davon in der Gesellschaft angekommen…. es wird immer noch regelmäßig von der “Arterhaltung” geplappert, auch in Schulen, ja, Mr. Dawkins, das Buch hätteste dir eigentlich auch sparen können. Würde mich nicht wundern, wenn es sogar (mit)schuld am Explodieren der Kreationisten ist….

    Was die Kooperation angeht, vertrat doch Dawkins wie auch alle Evolutionsbiologen die Ansicht, sie diene letztlich auch immer nur dem (besseren) Überleben und hat so rein gar nix mit Altruismus zu tun, den es in seiner reinen Form oder definitionsgemäß auch überhaupt nicht geben kann.
    Das beste Beispiel und für mich fast schon rührselig anmutend war die Kooperation im WWI – das doppelte Gefangenendilemma. Ahhh, wie faszinierend!!!

  6. #6 Marcus Anhäuser
    28. Mai 2016

    Die Idee der Soziobiologen ist, dass hinter den meisten Fällen von scheinbarem Altruismus tatsächlich ein Gen- oder Individualegoismus steckt, weil sich ein Verhalten vielleicht nicht direkt, aber auf anderem Wege rechnet, etwa weil ich Verwandten helfe, oder weil mir meine Tat in der Zukunft vergolten wird. Der Ansatz hat erstmal geholfen ein paar Sachen zu erklären, ich weiß aber nicht, ob es inzwischen Beispiel gibt, bei denen es dann doch nicht funktioniert als Erklärungsansatz. Letztlich haben die neuen Gruppenselektionisten Termiten, Nacktmulle und den Menschen als diejenigen ausgemacht, bei denen es Phänomene gibt, die sich durch ein zum Wohle der Gruppe erklären lassen sollen. Schau mal hier zum Beispiel: https://www.spiegel.de/international/spiegel/spiegel-interview-with-edward-wilson-on-the-formation-of-morals-a-884767-2.html

  7. #7 Marcus Anhäuser
    28. Mai 2016

    Hier gibts noch eine schöne Übersicht:
    “Altruism and Group Selection”
    https://www.iep.utm.edu/altr-grp/

  8. #8 zimtspinne
    28. Mai 2016

    Hallo Marcus,

    doch, es gibt Beispiele – wir hatten einmal die sehr interessante Diskussion über den Menschen, der vor eine Bahn sprang, um ein fremdes Mädchen (oder Junge? weiß nicht mehr genau) zu retten.
    Das schlug große Wellen überall in den Medien und in der Öffentlichkeit. Und genau das ist auch schon der Beweis für die Richtigkeit der These, dass es keinen echten, höchstens reziproken Altruismus -in der Regel- gibt.
    Wäre das üblich und gängig und weit verbreitet, dass man sich selbstlos für Fremde in Gefahr begibt, dabei eine vollkommen unausgeglichene Kosten-Nutzen-Bilanz, dann wäre das Alltag und kein großer Aufschrei in den Medien. Es war eben ein Einzelfall.
    Man weiß auch nichts genaues (ohne Recherche) über die Motive des selbstlosen Retters.

    In einer Fernsehshow wurde einmal ein reichlich flappsiger wissenschaftlicher Test gemacht, und zwar ließ man Zuschauer tauchen, und je länger sie es unter Wasser aushielten, umso höher stieg der Geldbetrag, den ein zuvor konkret benannter Angehöriger erhielt.
    Man fand dabei heraus, je näher genetisch verwandt der Angehörige war, umso länger wurde getaucht.

    Die Gruppenwohlsache hatte meiner Erinnerung nach auch Dawkins beleuchtet, es kann aber auch wer anders gewesen sein. Dawkins hatte die Vampire im Visier, erinnere ich mich gerade.
    Coole Viecher!

  9. #9 zimtspinne
    28. Mai 2016

    Was bin ich froh, dass es bei Katzen nie Missverständnisse gibt – sie tun einfach ALLES zum eigenen Wohl und das ohne mühseliges Vertuschspiel ;-)

  10. #10 Dr. Webbaer
    29. Mai 2016

    @ Herr Anhäuser :

    Die Idee der Soziobiologen ist, dass hinter den meisten Fällen von scheinbarem Altruismus tatsächlich ein Gen- oder Individualegoismus steckt, weil sich ein Verhalten vielleicht nicht direkt, aber auf anderem Wege rechnet, etwa weil ich Verwandten helfe, oder weil mir meine Tat in der Zukunft vergolten wird. Der Ansatz hat erstmal geholfen ein paar Sachen zu erklären, ich weiß aber nicht, ob es inzwischen Beispiel gibt, bei denen es dann doch nicht funktioniert als Erklärungsansatz.

    Bspw. bestimmte Konvertiten, das Religiöse ist gemeint, weisen Gegenbeispiele nach.
    Dawkins hat durchaus sinnhafterweise, partiell, biologistisch [1] argumentiert, aber seine Memetik leistet kulturell minder.

    Auch wenn vieles so erklärt, beschrieben und die Prädiktion erlaubend theoretisiert worden ist, vom geschätzten Herrn Clinton Richard Dawkins, ist hier letztlich unzureichende Leistung festzustellen, zumindest: für einige, das Kulturelle meinend.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    ‘Biologistisch’ gesamt-gesellschaftliche Zusammenhänge meinend zu argumentieren bleibt problematisch, auch wenn der sogenannte Naturalistische Fehlschluss in Teilen abgebügelt kann, nämlich derart, dass es schon gut wäre, wenn am Schluss noch welche da sind, die die Sein-Sollen-Dichotomie auflösen, nämlich durch ihre evolutionäre Präsenz oder Persistenz.