Im länglichen Streit um die Homöopathie hatte es zuletzt zwei Dokumentationen im TV gegeben: die eine bei 3sat (“Homöopathie – Heilung oder Humbug?”, eher ausgewogen, Kritik von Seiten der Homöopathen hier), die andere beim Bayerischen Rundfunk (“Homöopathie – Medizin oder Mogelpackung”, eher pro Homöopathie, Kritik dazu von Seiten der Homöopathiekritiker hier, hier und hier).
Vor allem die zweite Dokumentation hatte für Aufsehen gesorgt. Die Redaktion hatte sich sogar genötigt gefühlt, eine Stellungnahme abzugeben.
In der ersten Dokumentation gab es indes eine Passage, von der ich finde, dass sie noch nicht ausreichend gewürdigt wurde.
In einer Szene bekommt die amtierende NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens Besuch von der Homöopathie-Lobbyistin Cornelia Bajic, Ärztin und 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Man sieht beide einvernehmlich diskutieren, während die Sprecherstimme aus dem off erklärt:
“Bei Ministerin Barbara Steffens trifft sie auf offene Ohren. Die Ministerin ist der alternativen Therapieform gegenüber aufgeschlossen.”
Dann stellt die Ministerin ihre Position in einem Statement klar. Wer sich ein bisschen auskennt, weiß, was Steffens über Homöopathie denkt und sagt, daher ist der erste Teil ihrer Antwort wenig überraschend. Ich persönlich finde den zweiten Teil ihrer Aussage viel bedeutender, weil er unterstreicht, wie bedenklich weit entfernt die Ministerin von Wissenschaft ist (und es unterstreicht meine zunehmenden Bedenken hinsichtlich der Grünen und ihrem Verhältnis zur Naturwissenschaft).
In der Dokumentation sagt sie:
Hier die Aussage im Wortlaut (ich habe den zweiten Teil gefettet).
“Also Erstens: Ich bin überzeugt davon, dass es wirkt, und dass es [die Homöopathie, Anm. d. Red.] individuell in vielen Fällen einfach das beste Mittel ist oder beste Weg ist, um die Selbstheilung der Menschen zu aktivieren.
Das Zweite ist einfach, dass ich es anmaßend finde, dass irgendwer meint, dass man naturwissenschaftlich den Menschen, Krankheitsprozesse und Genesungsprozesse mal eben so einfach erklären könnte.“
Wahrscheinlich merkt sie nicht ein mal wie anmaßend ihre Aussage selbst ist. Das fängt schon mit dieser scheinbar einschränkenden Unterstellung an, Wissenschaft hätte behauptet, sie könnte das “mal eben so einfach”.
Kerstin Elbing vom Verband der Biologen (VBIO), in dem auch viele forschende Mediziner organisiert sind, findet die Aussage – wie ich selbst – “erstaunlich”:
“Die Aussagen von Frau Steffens sind in der Tat erstaunlich und eine Unterstellung, bei der man sich fragen darf, welches “Wissenschaftlerbild” die zuständige Ministerin hat. Kein Naturwissenschaftler/Mediziner (…) wird “mal eben so” oder “einfach” Menschen erklären (oder Krankheitsabläufe). Krankheitsprozesse sind eben komplexer. Und natürlich wird jeder Naturwissenschaftler/Mediziner, dabei auch die Existenz weiterer Einflussfaktoren (psychologisch, sozial….) anerkennen.”
Matthias Schwab, Leiter des Dr. Margarete-Fischer-Bosch Instituts für Klinische Pharmakologie in Stuttgart, den ich auf einem Workshop der Robert-Bosch Stiftung getroffen hatte, wo er mit aller Leidenschaft für medizinische Forschung plädierte, sieht das ebenso:
“Natürlich kann man den Menschen (was immer man darunter auch versteht), Krankheitsprozesse und Genesungsprozesse mal eben NICHT so einfach naturwissenschaftlich erklären, weswegen eben eine systematische tiefgehende wissenschaftliche Beschäftigung mit der Materie notwendig ist, um zu belegen, dass pseudomedizinische Vorgehensweisen den Patienten mehr gefährden als helfen können. Beispiel: Hätten wir in der onkologischen Forschung in den letzten 25 Jahre nicht wissenschaftlich auf höchstem Niveau Daten zur Behandlung von Kindern mit akuter lymphoblastischer Leukämie generiert, würde die Überlebenschance dieser Kinder heute nicht bei > 90 % liegen.”
Ich habe Ministerin Steffens angeschrieben und sie gefragt, warum sie ihre Antwort so formuliert hat, was der konkrete Anlass war? Eine konkrete Antwort auf die Frage habe ich keine bekommen. Von der Pressestelle erhielt ich nur ein allgemeines Statement (auch auf ihrer Homepage zu finden) mit ihrem bekannten “sowohl, als auch” usw.
Ich habe auch den Regisseur der Dokumentation, Carsten Binsack, kontaktiert, um zu erfahren, was er konkret gefragt hatte; vielleicht gab es in der Frage einen Anlass, die Antwort so zu formulieren. Doch seine Frage zielte auf was anderes ab. Er wollte nämlich wissen, wie Steffens, die eine Ausbildung als Chemielaborantin hat und auch ein paar Semester Chemie studiert hatte (ob abgeschlossen oder nicht, wird auch bei Steffens – wie bei einigen Politikern – aus den Angaben nicht ganz klar), das unter einen Hut bringe, Chemiewissen und Homöopathie. Wieso sie sich trotzdem so für die Homöopathie einsetze? Ihre Antwort? Siehe oben.
Im nicht-veröffentlichten Teil ihrer Antwort bringt sie ein Beispiel, das ihre Unterstellung unterstreichen soll. Sie nennt die Forschung zu Demenzerkrankungen (sagt aber nicht mal, welche sie genau meint, sondern schert einfach alle über einen Kamm). Dort zeige sich ja, dass immer neue Theorien und Therapien entstünden, um die Demenz zu verlangsamen, aber wenn man mal genauer hinsehe, sehe man doch, dass wir eigentlich nichts wüssten.
Spontan fiel mir dazu nur ein: Welche Erkenntnisse genau hatte Homöopathie zum Verständnis welcher auch immer gearteten Demenz beigetragen? Welche überprüfbaren Theorien und wirksamen Therapien hat Homöopathie gegen Demenzerkrankungen hervorgebracht? Dass sie sich bei ihrem Beispiel mehr über marktschreierische Aussagen von Forschungsmarketing und PR erregt, scheint ihr nicht mal klar zu sein.
Ich frage mich, was wohl ein Forscher wie Harald zur Hausen zu Steffens Statement sagen würde, der für seine Entdeckung, dass Viren der Auslöser für Gebärmutterhalskrebs sind, den Nobelpreis bekam?
Was wohl ein mit HIV infizierter Mensch sagen würde, für den die Diagnose heute kein Todesurteil mehr bedeutet wie noch in den 80er und Anfang der 90er Jahre?
Oder eben all die Kinder, die an Blutkrebs (Leukämie) erkrankten und ihn überlebt haben?
Es bleibt abzuwarten, was die “Denke” dieser Gesundheitsministerin für Folgen hat.Wenn es einfach nur bei solchen Statements bleibt, okay, lasst sie ziehen; Klientelsprüche, Agendasetting, jeder, der sich ein bisschen auskennt, weiß was er davon zu halten hat.
Problematisch wird es, wenn sich dies auf Gelder und Ressourcen für medizinische Forschung auswirkt. Das gilt es im Auge zu behalten, nicht nur in NRW, auch angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl.
Ich frage mich, wie die Frau Ministerin sonst Krankheitsprozesse und all das verstehen und erklären will, wenn nicht mit naturwissenschaftlicher Methodik? Will sie es pendeln?
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Zusatz: Liebe Freunde der Homöopathie und Artverwandte, kommt mir jetzt bitte nicht mit all den Problemen, die es in der Medizin- und Pharmaforschung gibt, die sind bekannt. Die sind hier nicht das Thema. Es geht um den grundsätzlichen Ansatz, wie man versucht heraus zu bekommen, wie und warum ein Körper erkrankt und wie er wieder genesen kann. Wer dabei den naturwissenschaftlichen Ansatz außen vor lassen will, dem ist meiner Meinung nach nicht mehr zu helfen.
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