Gestern hatte ich meinem Ärger darüber Luft gemacht, dass die Wissenschaftlerzunft der Biologen den Aussagen des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke zu angeblich unterschiedlichen Reproduktionsstrategien zwischen Afrikanern und Europäern, nichts entgegensetzt, obwohl er sich sogar auf sie bezog. Einer der Gründe dafür ist – so meine Argumentation – dass es unter deutschen Wissenschaftlern keine ausgeprägte Blogkultur gibt. In Blogbeiträgen hätte man schnell und prägnant erklären können, warum seine Argumentation Bullshit ist.
In den Kommentaren meldete sich der Neurowissenschaftler Benjamin de Haas (derzeit in London), der sich ebenfalls über Höckes Äußerungen geärgert hatte. Er wolle zwar keinen Blog gründen, aber für einen Artikel hätte die Wut schon gereicht.
Hier ist also sein Gastbeitrag:
Höckes Bio-Blödsinn
Eine biologische Perspektive
Am 21. November ließ Björn Höcke von der AfD die ideologischen Hosen runter. Was zum Vorschein kam, war nicht gerade appetitlich. In einem Vortrag zur Asylpolitik im neurechten ‘Institut für Staatspolitik’ erläuterte er, auf welcher ‚Erkenntnis‘ sein Ruf nach einer ‚grundsätzlichen Neuausrichtung der Asyl- und Einwanderungspolitik Deutschlands und Europas‘ beruht. Europa müsse sich abschotten, weil
‚Europa phylogenetisch vollständig nachvollziehbar eine eigene Reproduktionsstrategie verfolgt. In Afrika herrscht nämlich die sogenannte r-Strategie vor, die auf eine möglichst hohe Wachstumsrate abzielt, dort dominiert der sogenannte ‚Ausbreitungstyp‘. Und in Europa verfolgt man überwiegend die K-Strategie, die die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen möchte; hier lebt der ‚Platzhaltertyp‘. Die Evolution hat Afrika und Europa vereinfacht gesagt zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert, sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen‘
Das ist noch hässlicher als es auf den ersten Blick scheint und hat verständliches Entsetzen hervorgerufen. Aber lassen wir die Risiken und Nebenwirkungen mal außen vor. Vergessen wir die political correctness und wagen die Frage: Stimmt das? Hat Höcke Recht mit seiner Behauptung, Afrikaner und Europäer hätten evolutionär bedingt unterschiedliche ‘Reproduktionsstrategien’? Ist das wirklich ‘sehr gut nachvollziehbar für jeden Biologen’? Die Antwort ist so einfach wie eindeutig: Nein.
Die von ihm bemühten Typen gehen zurück auf die (etwas veraltete) Selektionsheorie der amerikanischen Populationsökologen und Biologen Robert MacArthur und Edward Wilson. Nach deren r/K Theorie verfolgen Spezies unterschiedliche Strategien zur Weitergabe ihrer Gene. Grob gesagt setzen r-Typen auf Quantität und K-Typen auf Qualität. Bakterien, Insekten und viele Frösche sind typische r-Strategen. Sie werden früh geschlechtsreif und pflanzen sich schnell fort – ohne sich groß um den Nachwuchs zu kümmern. Der stirbt ohnehin früh, und nur dank der großen Anzahl an Nachkommen überleben einige bis zur eigenen Geschlechtsreife. R-Strategen haben außerdem kleinere Gehirne, gelten als schwach und weniger intelligent. Menschen hingegen sind typische K-Strategen. Wir haben eine hohe Lebenserwartung, verhältnismäßig wenige Kinder und investieren viel und lange in jedes einzelne von ihnen. In der Biologie wird die r/K Terminologie also verwendet, um so dramatische Unterschiede zu beschreiben, wie den zwischen Mensch und Unkraut. Es steht zu befürchten, dass Höcke das weiß. Langsam dämmert uns, was einer sagen will, der Afrikaner r-Typen nennt.
Aber kriegen Afrikaner nicht tatsächlich mehr Kinder als Europäer? Es stimmt, die Geburtenrate in Afrika liegt (zumindest in vielen Teilen südlich der Sahara) tatsächlich bei fünf Kindern pro Frau, in Deutschland hingegen deutlich unter zwei. Allerdings hat das ungefähr so viel mit Evolution zu tun wie Höcke mit Biologie. Vor nur 120 Jahren bekamen auch deutsche Frauen im Schnitt fünf Kinder. Der dramatische Abfall in der Geburtenrate war also viel zu rapide um irgendwas mit genetischer Selektion zu tun zu haben.
Woran liegt er dann?
Höcke spricht davon die Geburtenkluft zwischen Afrika und Europa würde durch ‚den dekadenten Zeitgeist verstärkt, der Europa fest im Griff hat‘. Alles Quatsch. Mittlerweile gibt es eine Menge guter Daten zu der Frage warum Geburtenraten fallen. Der schwedische Arzt und Statistiker Hans Rosling und andere bemühen sich darum uns die Antwort nahe zu bringen. Sie lautet: Wohlstand. Niedrige Kindersterblichkeit, Bildung für Frauen, Zugang zu Verhütungsmitteln, Altersvorsorge – all das führt dazu, dass Menschen sich für zwei, statt fünf oder mehr Kinder entscheiden. Und das gilt Überall wo diese Segnungen Einzug halten, keinesfalls nur für Europa. Im Gegenteil, die dramatischsten Rückgänge der letzten 30 Jahren gab es in Ländern wie Botswana, Namibia, Südafrika und Bangladesch. Wer sich um die Geburtenrate südlich der Sahara sorgt, sollte also nicht in deutschen Grenzschutz investieren, sondern z.B. in Malarianetze.
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