Harald Zur Hausen bekommt in diesem Jahr den Nobelpreis in Medizin für seine Entdeckung, dass Gebärmutterhalskrebs durch Papillomviren ausgelöst wird. Noch am Tag der Bekanntgabe lobte er die nicht unumstrittene HPV-Impfung. Der FAZ-Blog Planckton veröffentlichte heute, am Montag, seine Replik auf das Manifest von 13 Fachleuten, in denen sie u.a. eine “Neubewertung der Wirksamkeit” der Impfung forderten.
Wir hatten auf einen Artikel in der SZ über ein Manifest zur Neubewertung der HPV-Impfung hingewiesen und ausgiebig daraus zitiert.
Heute der Verweis auf eine sehr umfangreiche Replik von Nobelpreisträger Harald zur Hausen, der im renovierten FAZ-Wissenschaftsblog Planckton exklusiv (Fett und Unterstreichung von den Planckton-Kollegen, ist ja gut ;-), seid willkommen in der Runde) auf die Kritik der Manifestschreiber reagiert. Allerdings explizit nur auf das, was er im SZ-Artikel lesen konnte. Das Manifest lag ihm nicht vor (Warum eigentlich nicht?)
Auch hier ein paar Auszüge, für die, denen die Replik zu lang ist. Zur Hausen weist übrigens darauf hin, dass er “keine persönlichen Bezüge von den beiden hier zitierten Pharmaunternehmen erhalte.”
“Es ist in einem gewissen Sinne richtig, dass alle Untersuchungen über die Wirksamkeit der Papillomvirus-Impfstoffe beim Menschen in Bezug zu den beiden Herstellerfirmen stehen. Wie könnte es auch anders sein, da nur diese Impfstoffe umfangreiche klinische Prüfungen durchlaufen haben und damit auch eine Lizenz für deren Anwendung beim Menschen vorliegt? Den sicherlich in diesem Fall sehr ausgewiesenen Experten (…) pauschal zu unterstellen, dass diese deshalb im Interesse der Firmen agieren, ist für mich nicht nachvollziehbar und sicherlich ungerechtfertigt.”
“Eine Falschmeldung ist die leider in Deutschland oft wiederholte Aussage, dass eine große Studie die Wirksamkeit der Impfung in der Verhinderung von Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses nur für 17% erwiesen habe. Hier empfehle ich den Experten, die zitierte Arbeit sorgfältig zu lesen. Richtig ist, dass nur 17% weniger HPV 16 und 18 bedingte Krebsvorstufen bei bereits sexuell aktiven Frauen auftraten, während bisher nicht sexuell aktive Frauen zu 98% geschützt waren. Zumindest der Zeitungsbericht gibt hier ein völlig verzerrtes Bild wieder.”
“Wie Herr Windeler zu der Aussage kommt, dass die Belege für eine Rolle der HPV Typen 16 und 18 für etwa 70% der Gebärmutterhalskrebse verantwortlich sind, dünn seien, bleibt mir unklar. Ich empfehle ihm, die zahllosen inzwischen weltweit durchgeführten Untersuchungen zur Prävalenz dieser Virustypen im Gebärmutterhalskrebs sorgfältig zu lesen.(…) Richtig ist, dass in annähernd 20-30% dieser Krebserkrankungen andere HPV Typen gefunden werden, die zum Teil relativ nahe mit den Prototypen 16 und 18 verwandt sind, so dass (…) sogar eine gewisse Kreuzneutralisierung schon theoretisch vorausgesetzt und erwartet werden darf. (…) Dies dürfte eher dafür sprechen, dass der Impfschutz höher als die erwarteten 70% sein wird.”
“Führt wirklich kaum eine HPV-Infektion zu Krebs? In Deutschland sind es immerhin – auf einen 50-Jahreszeitraum des Erwachsenenalters bezogen – nach eigenen Berechnungen etwa 1,1% der infizierten Frauen, die später an Gebärmutterhalskrebs erkranken. (…) Sicherlich entscheidender aber ist – was von den Experten im wiedergegebenen Bericht nicht diskutiert wird – nämlich die hohe Zahl operativer Eingriffe aufgrund von Krebsvorstufen. (…) Auf die psychologische Belastung der betroffenen Frauen, die sich zahlreichen Nachuntersuchungen unterziehen müssen, wird ebenfalls in dem Bericht über das Manifest nicht eingegangen.”
“In der Tat habe ich auch selber bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen, dass der Impfstoff zurzeit zu teuer ist. Dies gilt in besonderer Weise für Entwicklungsländer, in denen Gebärmutterhalskrebs zum Teil die häufigste Krebserkrankung von Frauen darstellt.”
“Auch wenn in der Tat die Verhütung von Gebärmutterhalskrebs selbst durch die Impfung noch nicht belegt werden kann (Fettung durch uns), da die Impfstoffe erst seit etwa 2 Jahren zur Verfügung stehen und die Latenzzeit zwischen Infektion und Krebsentwicklung etwa 2-3 Jahrzehnte in Anspruch nimmt, ist inzwischen die Verhütung der notwendigen Vorstufen dieses Krebses durch die Impfung eindeutig belegt.”
“Sollen die Mütter, wie ihnen im Zeitungsbericht empfohlen wird, wirklich die 20-30 Jahre warten, in denen nicht nur wie bisher die Vorstufen dieses Krebses verhütet werden, sondern auch der endgültige Nachweis der Wirksamkeit dieser Impfung beim Gebärmutterhalskrebs erbracht wird?”
In den Kommentaren zu unserem “Manifest-Beitrag” vom Mittwoch merkte Leser Wolfgang (wir vermuten den Impfexperten Wolfgang Maurer) an, (mit einem gewissen Bezug zum vorletztem Zitat zur Hausens):
“Ein weiterer Punkt des “Manifestes” verstört mich weit mehr, es wird kritisiert, dass der klinische Endpunkt der Prüfung nicht Vermeidung von Cervixkarzinom war, sondern das Vermeiden höhergradiger cervikaler Dysplasien.
Das ist zwar richtig, die Kritik ist aber zutiefst unethisch. Cervikale Dyplasien werden und müssen konisiert werden, man kann Frau ja nicht warten lassen (look and see) bis sie ein invasives Cervixkarzinom +/- Metastasen hat? Wer so etwas fordert hat massive ethische Defizite.”
Und wir sagen es nochmal: Wir sind froh, dass wir uns derzeit nicht darüber Gedanken machen müssen, ob wir unsere Tochter gegen HPV impfen lassen sollen. Obwohl sie ansonsten das volle Impf-Programm erhält. Nein, wir schicken sie nicht auf dämliche Masern-Partys … Nein, Catherina (wir nehmen an Frau Becker), wir sind keine Impfgegner.
Nachtrag:
Laut Planckton wird Herr zur Hausen am Mittwoch eine Pressekonferenz zum Thema geben. Dann wird er sich wahrscheinlich nicht nur auf den SZ-Beitrag, sondern auch auf den Originaltext beziehen. Danke für die Info, liebe Kollegen.
Nachtrag 4.12.:
Es gibt einen ersten Bericht von der zur Hausen PK in Heidelberg, beim morgenweb vom Mannheimer Morgen.
Nachtrag 5.12.:
SZ-Autorin Christina Berndt hat Nobelpreisträger Harald zu Hausen interviewt: zum Thema Nobelpreis, den er am 10.11. verliehen bekommt, zum Thema Krebs und wie er ihn versucht zu vermeiden und zum Streit über die HPV-Impfung. Hier ein Ausschnitt der HPV-Passage:
SZ: In einem Manifest haben 13 Wissenschaftler soeben darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit der Impfung nicht genügend belegt sei.
zur Hausen: Ich habe mich über einige Punkte in diesem Manifest sehr geärgert.
SZ: Haben Sie das Manifest denn inzwischen gelesen? Mit Verlaub: Sie haben ohne Kenntnis dieses Manifests eine fehlerhafte Antwort verfasst.
zur Hausen: In einer neueren Antwort habe ich eine fehlerhafte Bewertung herausgenommen. Aber es ist umgekehrt mein Eindruck, dass sich die 13 Experten nicht genügend mit den biologischen Hintergründen der Infektion beschäftigt haben. Ich ärgere mich, dass nun vielleicht bei einer großen Zahl von Frauen Krebs auftritt, weil sie sich nicht impfen lassen.
SZ: Auf den Kernpunkt der Kritik gehen Sie nicht ein: Entscheidende Daten zur Wirksamkeit fehlen.
zur Hausen: Die Daten sind meiner Ansicht nach gut. Aber natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf. So wäre es gut, wenn die Impfstoffe gegen mehr HPV-Typen wirken würden. Bisher schützen sie vor zwei krebserregenden Virenstämmen, weshalb geimpfte Frauen weiterhin zur Früherkennung gehen sollten. In Zukunft kann man hoffentlich mit einem einzigen Impfstoff alle HPV-Typen erfassen.
Hat zufällig jemand mitbekommen, an welcher Stelle Herr zur Hausen seine Kritik korrigiert hat? Sachdienliche Hinweise bitte einfach in den Kommentaren posten.
Nachtrag 6.12.:
Wolfgang hat schon gestern in den Kommentaren darauf verwiesen: Die Stiko hat in einem Leserbrief auf die Vorwürfe der Manifestschreiber geantwortet.
Außer dem Hinweis, dass die STIKO ihre Entscheidung auch auf Grundlage von Daten traf, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht waren äußert sie sich zu den 17% Effektivität, die für die Kritiker einer der Gründe ist, von nicht gut belegter Wirksamkeit zu sprechen.
“Die in ihrem Artikel erwähnte Wirksamkeit von 17% bezieht sich auf Frauen und junge Mädchen, bei denen bereits eine Infektion mit HPV und zum Teil auch Zellveränderungen aufgetreten waren. Zum Teil waren dies Infektionen mit Virustypen, gegen die die Impfung gar nicht entwickelt worden ist und gar nicht wirken kann. Insofern kann man eine Wirksamkeit von 17% immer noch als positiv einschätzen.
Insgesamt führten diese Erkenntnisse jedoch zu der Einschätzung, dass die Impfung die größtmögliche Wirksamkeit erzielt, wenn die Frauen noch nicht mit den entsprechenden Virustypen infiziert sind. Aus diesem Grund sprach sich die STIKO dafür aus, Mädchen noch vor ihrem mutmaßlich ersten Geschlechtsverkehr (möglichst früh im Zeitfenster 12-17 Jahre) zu impfen, denn dieser gilt als entscheidende Voraussetzung für eine Infektion.”
Im FAZ-BLog Planckton verweist Kollege Joachim Müller-Jung auf eine neue Studie im BMJ zum Thema Sicherheit der HPV-Impfung inpunkto allergische Reaktionen:
“Insgesamt sei das Allergierisiko als sehr gering einzuschätzen, so die Wissenschaftler …”
Desweiteren kritisiert er die Kritiker:
… Der Gedanke, dass die behauptete Unsicherheit womöglich vor allem darin besteht, mit dem Manifest Verunsicherung zu schüren, war den Initiatoren dabei offenbar nicht gekommen.” …
… Wenn man diese und andere Stellungnahmen, etwa auch die neuen Berichte aus der Heidelberger Pressekonferenz mit Nobelpreisträger zur Hausen liest, kommt man – die Richtigkeit der Aussagen vorausgesetzt – zu dem Schluß, dass da auf Seiten der Impfskeptiker doch offenbar um der Vergewisserung der eigenen kritischen Überzeugung willen manche Lücke bewußt nicht geschlossen wurde. …
In der Debatte um die HPV-Impfung zwischen den wissenschaftlich-medizinischen Kontrahenten entwickelt sich auch ein publizistischer Streit zwischen den beiden großen Tageszeitungen/den beiden großen Wissenschaftsredaktionen/den beiden Wissenschafts-Redakteuren der SZ und der FAZ. Beide haben sich eindeutig auf eine Seite geschlagen.
Laut Müller-Jung haben auch die beiden Hersteller in Pressemitteilungen auf die Vorwürfe reagiert. Leider hat er nicht verlinkt, in den deutschen Pressebereichen von MSD und GSK findet sich erstmal nichts. Da müssen wir mal weiter suchen …
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