Wir haben das gemacht, woran keiner gedacht hat, weder die Kollegen in den klassischen Medien, noch deren Herausforderer und Kritiker in den neuen Medien (sprich Blogs). Wir haben Sam Shuster einfach mal gefragt, was es denn nun mit seinem Einrad-Fahren und der Studie in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journals auf sich hat …
Um die Weihnachtszeit kursierte eine Meldung durch die Wissenschaftsseiten der etablierten (v.a. deutschen) Medien, nach der der Humor von Männern irgendwie mit ihrem Testosteron-Spiegel zusammenhängt und deswegen auch anders ausfalle als bei Frauen und Kindern. Veröffentlicht hatte das ein emiritierter britischer Professor und Dermatologe (also Hautexperte) namens Sam Shuster in der Weihnachtsausgabe des (Achtung) RENOMMIERTEN Fachmagazins British Medical Journal (BMJ), die bekanntlich nicht ganz so ernsthaft ausfällt wie es sich für ein solches Magazin geziemt.
Laut
Pressemitteilung und seinem Paper hat er ein Jahr lang notiert, wie Personen reagierten, wenn er mit seinem Einrad vorbei kam.
Dass die Geschichte nicht so ganz Ernst zu nehmen war, hatten einige der Kollegen nicht mitbekommen und eine ganz normale Meldung daraus gemacht. Spätestens der Blick in den
Original-Artikel hätte manchen davon abgehalten, die Ergebnisse zur Grundlage eines Artikels zu machen.
Passiert ist es trotzdem, vielleicht aus einer Mischung aus Zeitnot, Meldungsmangel (wie immer um die Weihnachtszeit), Wurschtigkeit, Jahres-End-Unlust, Weihnachtsvorfreude, Unerfahrenheit etc.etc.
Wie auch immer: Aufgefallen ist es erst einmal keinem, dann den besagten Blogger-Kollegen
kamenin (
Begrenzte Wissenschaft) und hintan
Marc Scheloske (
Wissenswerkstatt), die das ganze dann auch genüsslich filetierten und ausweideten, und gleich einen
Abgesang auf den deutschen Wissenschaftsjournalismus anstimmten. (
siehe aber auch zum Teil Zettmann von wegen über´s Ziel hinausschießen). Der Hintergrund ist natürlich die ewige und gerade wieder
aufschäumende Journalisten-Blogger-Debatte (“
Wir sind aber besser! – Aber ihr versteht uns gar nicht!”).
However: Die Journalisten-Kollegen hatten sich nicht mit Ruhm bekleckert, die Blogger haben´s gemerkt, haben den Journalisten den Job erklärt und … eigentlich haben alle Beteiligten was vergessen – wie wir finden (wir finden zumindest keinen Hinweis darauf, dass es jemand gemacht hätte):
Niemand hat Sam Shuster gefragt.
Die Journalistenkollegen nicht (wohl aus oben genannten Gründen), die Bloggerkollegen aber offensichtlich auch nicht (sind eben keine Journalisten, die sich an gewisse Standards halten müssen *wegduck*)
Da wir ja beides sind (Journalisten und Blogger und auch noch bloggende Journalisten), haben wir Sam Shuster einfach mal gefragt, was das alles sollte.
Leider war er nicht sehr gesprächig, per E-Mail.
Wir wollten wissen, ob er tatsächlich mit dem Einrad durch die Stadt gefahren ist, und das alles notiert hat, und ob das tatsächlich alles ernst gemeint war oder eher humoristisch. Wir wollten wissen, wer auf die Idee gekommen war, er oder das Magazin, wir wollten wissen, ob er damit gerechnet hatte, dass einige Medien, das so ernst nehmen würden etc. etc.
Er hat sich erstmal gar nicht meldet.
Er war im Urlaub.
Dann meldete er sich per E-Mail. Er sei zwar interessiert, aber nur, wenn:
1. wir ihm sagen, für welche Magazine wir das verwenden (wir hatten ihm geschrieben, dass wir Wissenschaftsjournalist sind und für verschiedene Medien schreiben und unseren Blog betreiben)
2. wir seine Antworten voraussagen würden.
Und Shuster ergänzte: “Ist das nicht fair? Und selbst wenn nicht, wirst Du es tun?”
Wir erklärten zuerst, was
Plazeboalarm ist (
Scharlatene und Pseudowissenschaft abwatschen, aber auch Wissenschaft und Journalismus im Blick behalten). Dann erklärten wir, dass wir nicht seine Fragen vorhersagen würden, weil es unser Job sei, Fragen zu stellen und nicht vorherzusagen.
Dann erklärten wir ihm, dass wir sein Paper für eine Art Parodie hielten, dass er vielleicht tatsächlich Einrad fahre und ein paar Reaktionen erhalten hatte, und dass ihn das vielleicht auf die Idee gebracht hatte, für die Weihnachtsausgabe des BMJ ein solches nicht ganz so ernst gemeintes Paper zu verfassen, mit einem parodistischen Methoden- und Diskussionsteil mt den üblichen evolutionspsychologischen Standarderklärungen (und den bekannten Quellen: Darwin bis Buss et. al. usw.).
Dann blieb es erst einmal ein paar Tage still.
Gestern fragten wir noch einmal per E-Mail nach, ob er denn noch antworten wolle, und dass wir ihn hoffentlich nicht verärgert hätten (schlechtes Englisch, Missverständnis usw.) und kurz drauf antwortete er:
“Okay, deine Hartnäckigkeit gewinnt. Was ich im BMJ geschrieben habe, war ein präziser Bericht dessen
(wenngleich für das Magazin zusammengefasst), was passiert ist, was ich beobachtet habe, und zu welchen Schlussfolgerung mich meine Beobachtungen führten.
Verwechsle nie die Seriosität der Darbietung mit der Ernsthaftigkeit der Bedeutung (frei:Hinter einer seriösen Darbietung steckt nicht immer eine ernst gemeinte Bedeutung): Das echte Leben ist voll von Komödiantentum.”
Und das ganze im Original:
“OK, your determination wins.
What I wrote in the BMJ was a precise account (albeit compressed for the journal) of what happened, what I observed, and what conclusions my observations led to.
Never confuse seriousness of presentation with seriousness of meaning: real life breathes comedy.”
Okay, das beantwortete nicht alle unsere Fragen, wie wir es gehofft hatten. Wir wiederholten nochmal Fragen wie: Wer kam auf die Idee? Hatten Sie damit gerechnet, dass jemand das als ernsthafte Meldung aufnehmen würde? Aber mehr will er uns wohl nicht erklären.
Vielleicht hatte Prof. Shuster es doch ernsthafter gemeint, als wir vermutet hatten. Vielleicht war es ihm auch zu blöd humorlosen Deutschen zu antworten.
Aber schön gesagt hat er´s ja: “Life breathes comedy” … Den Satz nehmen wir mit ins Bett (der Text hier ist vor Mitternacht verfasst).
Und unseren Kollegen (den einen wie den anderen) geben wir natürlich den hier mit:
”Never confuse seriousness of presentation with seriousness of meaning.”
Schon gar nicht an Weihnachten im BMJ.
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