Journalisten lieben Einzelschicksale, an denen entlang sie eine Geschichte aufbauen können. Abstraktes wird dadurch erst für das Publikum nachvollziehbar. Doch gerade im Medizinjournalismus kann das fatale Folgen haben. Für das Medien-Doktor-Projekt habe ich versucht zu erklären, welche Probleme dabei entstehen. Mediennutzer sollten immer misstrauisch werden, wenn Sie Artikel lesen/Beiträge sehen oder hören, in denen nur die Geschichte einer oder zwei Personen erzählt wird und sonst nichts.
Eher unfreiwillig verwies Frank Plasberg einmal in einer seiner Talkshows (nicht mehr online) auf eines der Probleme in der Berichterstattung über Gesundheitsthemen und Medizin. Als die Vertreterin der Homöopathie ansetzen wollte, den Vorwurf zu entkräften, es gäbe keine Studien, die die Wirksamkeit von Homöopathie belegten, warf sich Moderator Plasberg dazwischen: „Wissen Sie, wie Studienschlachten im Fernsehen wirken? Ermüdend.“ Er mag gar nicht so Unrecht haben. Denn für Laien ist es tatsächlich schwierig zu verstehen, welcher Experte nun die aussagekräftigeren Belege hat.
Statt auf Studien setzen viele Journalisten lieber auf die Kraft der Geschichte einer einzelnen Person. So helfen sie Lesern und Zuschauern das oft Abstrakte einer Erkrankung nachzuvollziehen. Das Leiden ebenso wie das Glück von Heilung und Genesung machen die Wirkung einer Therapie, eines Medikaments oder eines OP-Verfahrens erst anschaulich, nachvollziehbar, verständlich. Denn das ist, was Journalisten tun: Sie erzählen die Geschichten von Menschen. Überall im Journalismus, so auch in der Gesundheitsberichterstattung.
Das ist auch durchaus empfehlenswert und bewährt. Doch in der Darstellung medizinischer Therapien, Verfahren oder Medikamenten gibt es immer dann ein Problem, wenn ein solcher Einzelfall alleine (oder zwei oder drei) als Beleg für die Wirksamkeit der medizinischen Intervention genutzt wird. Ganz nach dem Motto: „Seht her, dieser Person hat’s geholfen, also hilft es auch allen anderen.“ So haben auch schon die Heiler und Scharlatane auf den Jahrmärkten des Mittelalters argumentiert. So argumentieren heute noch alle die, die Wundertherapien gegen jede nur erdenkliche Krankheit anpreisen.
Nur weil bei einer Person eine Krankheit verschwindet oder sich deren Symptome bessern, nachdem ein Arzt oder Heiler ein paar Kügelchen oder einen Saft verabreicht haben, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Intervention auch der wahre Grund für die gesundheitliche Entwicklung war.
Auch wenn dies der eigenen Erfahrung zuwider läuft, denn was könnte es überzeugenderes geben als das persönliche Erleben?
Leider lassen wir uns nur allzu leicht täuschen – so unangenehm uns diese Erkenntnis auch ist. Jahrzehnte psychologischer Forschung belegen dies immer wieder. Es gibt eigene Fachbegriffe für solche Phänomene von Selbsttäuschung und Fehlschlüssen (schön zusammengefasst zum Beispiel in diesem Blog).
Bei erfolgreichen Krankheitsgeschichten spielt vor allem ein Umstand eine Rolle, der zu einem Fehlschluss führen kann: Die zeitliche Nähe von Arztbesuch und Therapieerfolg bedingen scheinbar einen kausalen Zusammenhang. Betroffene – und ebenso die Journalisten, die diese Erfolgsfälle als Beleg berichten – übersehen oder ignorieren (neben weiteren Gründe), warum eine Erkrankung sich auch bessert oder gar ganz verschwindet:
- Der natürliche Verlauf der Krankheit: Wir gehen zum Arzt, wenn es uns besonders schlecht geht. Wenn es uns danach besser geht, schreiben wir das dem Arzt und seiner Therapie zu, nicht dem natürlichen Auf und Ab einer Krankheit.
- Unser Körper hat die Krankheit selbst überwunden. Da wir aber beim Arzt waren, halten wir seine Therapie für den Grund der Besserung.
- Nicht die Tabletten oder das Handauflegen hat uns geholfen, sondern allein die Konsultation des Arztes, dessen Zuwendung, das Umkümmert werden – der Placebo-Effekt hat unser Leiden gelindert.
(Der Medizinjournalist Jörg Wipplinger, Kollege von medizin-transparent.at, hat diese Punkte einmal innerhalb seiner Videoreihe in einem Film versucht, anschaulich zu erklären.)
Weil Mediziner irgendwann verstanden haben, dass Einzelfälle nicht aussagekräftig sind, entwickelten sie Methoden, um Aussagen zu Nutzen und Risiken einer Intervention auf ein verlässliches Fundament zu stellen: Studien mit einer bestimmten Zahl von Teilnehmern, mit Kontrollgruppe (die einen Placebo, also ein Scheinmedikament bekommt) und zufälliger Zuteilung (Fachbegriff randomisiert), bei denen weder Arzt noch Teilnehmer wissen, wer was bekommt (doppelt verblindet). (Erläuterungen zu verschiedenen Studientypen bieten wir hier, hier und hier in einer Übersicht als pdf.)
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