Seit dem Aufkommen des Internets suchen und versuchen Journalisten und Verleger neue und dem neuen Medium angepasste Erzählformen. Hatten Schrift, Töne und bewegte Bilder zuvor noch weitgehend eigene Kanäle, eröffnet der digitale Kanal über das Internet eine Vermischung all dieser Formate plus der Möglichkeit der Interaktivität. Aber auch wenn es das Internet jetzt schon eine Weile gibt, scheinen sich erst allmählich neue “vermischte” Darstellungsformen zu etablieren.
Im Dezember 2012 veröffentlichte die Online-Seite der New York Times eine Multimedia-Reportage mit dem Titel “Snow Fall: The Avalange at Tunnel Creek“. In dieser Form (Parallax-Scrolling) und in der Zusammenstellung multimedialer Inhalte wurde “Snow Fall” zum Stil bildenden Vorbild für zahllose andere Reportagen in Onlinemedien (es hat sich sogar ein Verb eingebürgert: to snowfall a story). Der anfänglichen blinden Begeisterung für das Format folgte eine kritische Auseinandersetzung, bei der seitdem das Für und Wider weltweit diskutiert wird.
In Deutschland gibt es nur wenige Beispiele für Snow Fall-ähnlich aufbereitete Geschichten. Zwei stammen von ZEIT ONLINE, deren Chefredakteur Jochen Wegener für diese Geschichten den Begriff “Feiertagslayout” geprägt hat. Zunächst überraschte die Plattform mit einem liebevollen Special zu “100 Jahre Tour de France”. Später folgte eine Reportage über die Karl-Marx-Allee in Berlin (die frühere Stalinallee).
Ich habe mich im Vorfeld des letzten Hacks/Hackers-Treffen in Berlin mit Sascha Venohr zum Thema “Snow Fall und die Folgen” zu einem kurzen Interview getroffen. Er ist Leiter des Ressorts Datenjournalismus und Entwicklungsredakteur bei ZEIT ONLINE. Sascha hat mir erzählt, wie die Redaktion auf die New York Times-Webreportage reagiert hat, wie sie mit solchen multimedialen Geschichten umgeht, wie sich das finanziert und was die Redaktion bei der Entwicklung ihrer Geschichten gelernt hat.
Einer der Hauptkritikpunkte an all den aufwändig produzierten Stücken lautet: “Das liest ja niemand alles bis zum Ende“. Der ZEIT ONLINE-Redakteur sieht das realistisch. Grundsätzlich verweilten die Leser deutlich länger auf den Geschichten, aber:
“Die Leute gehen selektiv vor in diesen Angeboten, der Traum, jedes Element in so einer Geschichte wird aufgegriffen und konsumiert, wird nicht erfüllt, ist vielleicht aber auch zu hoch gegriffen, dass als Ziel zu haben. (…) Wir sehen erstmal alle Elemente als gleichberechtigt. Für uns ist es auch ein Erfolg, wenn sich jemand ein Video angeschaut und den Text nicht gelesen hat.”
Leser waren geradezu enthusiastisch nach der Veröffentlichung der Reportagen, aber Venohr sieht das auch kritisch :
“Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im Lob der Leserschaft ersaufen, und ganz kritisch hinterfragen, was wir da tun. (…) Es passiert sehr selten, dass man von einer Welle der Begeisterung überschwemmt wird. Das ist aber auch das Verführerische, das Gefährliche, vor dem ich gerne warne.”
Weitere Infos zum Thema:
- ReadMatter-Mitbegründer Bobby Johnson (der sich in einem Artikel auf Medium mit dem Format auseinandersetzt) hat eine GoogleDocs-Datei angelegt, in der er Snow Fall-ähnliche Multimedia-Reportagen sammelt, und damit einen schönen Überblick über das Genre bietet.
- t3n hat kürzlich 25 sehenswerte Multimedia-Reportagen vorgestellt (darunter die deutschsprachigen Beispiele von Süddeutsche.de und NDR (Geheimer Krieg), Rhein-Zeitung (Arabellion) und NZZ (Keine Zeit für Wut).
- Mindy Macadams hat per Storify eine Twitter-Diskussion über die “Pros and Cons of Snowfalling Storys” zusammengetragen.
- Der Grafikdesigner Alberto Cairo (an dessen MOOC zum Thema “Einführung in Infografiken und Datenvisualisierung” ich Anfang des Jahres teilgenommen habe) geht auch in einem kurzen Beitrag auf das Thema ein.
- Jens Radü, Leiter des Multimedia-Ressorts bei Spiegel Online erklärt, worauf es seiner Meinung nach bei multimedialen Geschichten ankommt.
- Snow Fail: Do Readers Really Prefer Parallax Web Design?, eine erste kleine Studie, die zeigen soll, dass Nutzer Parallax Scrolling nicht so sehr mögen.
Wer weitere Links zu guten Artikeln zum Thema “Snow Fall und multimediales Storytelling” hat, bitte einfach in den Kommentaren posten.
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Anmerkung: Das Interview könnte besser klingen. Obwohl ich technisch für ein solches Interview inzwischen gut ausgestattet bin, feit die Technik nicht vor Fehlern. In diesem Fall habe ich unbeabsichtigt das Interview nicht wie gedacht mit dem externen Mikro aufgenommen, sondern mit den internen Mikros des Rekorders. Dadurch klingen vor allem meine Fragen etwas indirekt und hallig. Dank der Unterstützung meines alten Bandkollegen und Studioexperten Peter Dümmler vom MerlinSound Studio, Neuwied, kann man es sich aber dann doch ganz gut anhören. Dank an Dixi!
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Dies ist ein Crosspost aus meinem Hausblog, mit einer neuen Einleitung versehen.
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