Apropos Medizinjournalismus: In einem ZEIT-Artikel über Deutschlands erfolgreichste Gesundheitszeitschrift fand ich einen bemerkenswerten Satz. Man muss vermutlich ein bisschen die Vorgeschichte kennen, um ihn ähnlich erstaunlich zu finden wie ich.
Katrin Wilkens schreibt in einem Beitrag auf ZEIT-ONLINE (im Wirtschaftsteil) über die uns allen bekannte “Apotheken-Umschau“. Ein schön anzuschauendes Umsonst-Heft, das man in der Apotheke bekommen kann (“Von ihrem Apotheker bezahlt”). Es ist vergleichsweise aufwändig produziert und hat nichts von einem Billigheft. Die Auflage ist sensationell.
Einige Medizinjournalisten hegten immer schon den Verdacht, dass es in diesem Heft nicht mit rechten Dingen zugeht, dass es eine Menge Schleichwerbung gibt (wirkliche Belege hatte dann aber gerade niemand zur Hand, wenn man sich unterhielt).
Aber man denke nur an all die Frauenzeitschriften, deren Auflage zehn bis zwanzigmal niedriger ist, und für die man am Ladentisch bezahlen muss. Und bei dieser Verbreitung und dem speziellen Kundenkreis erscheint die AU deutlich attraktiver für Pharmafirmen.
Klassischerweise könnte man so genannte Koppelgeschäfte vermuten. Diese laufen zum Beispiel so ab: Firma kauft einseitigen Anzeigenplatz, und erhält dafür im redaktionellen Teil eine positive Erwähnung inform eines Artikels über die Beschwerden, die das Mittel lindert, mit entsprechender Erwähnung des Produkts (“z.B. XY, in der Apotheke erhältlich”). Ein “Mietmaul” (von der Pharmafirma bezahlter Mediziner) stellt sich für schönfärbende Zitate zur Verfügung.
Wie gesagt, ein Teil der “Szene” vermutete bisher immer, dass es so etwas oder in ähnlicher Form auch bei der Apotheken-Umschau gibt.
Und sie sah sich bestätigt, als im Dezember 2008 folgendes passierte (Zitat aus dem ZEIT-Artikel):
“Im Dezember 2008 machten sich zwei Frontal 21- Redakteure dran, den GAB (den größten anzunehmenden Bestechungsskandal) bei der Apotheken Umschau zu provozieren. Die TV-Journalisten erfanden eine Scheinfirma und ein Scheinmedikament und luden aus verschiedenen Verlagen Anzeigenberater ein, um zu eruieren, wie weit diese gehen würden, um dem »neuen Medikament« eine geeignete Plattform zu geben. Sprich: kostenlose Werbung im Redaktionsteil. Die Anzeigenberaterin der AU soll versprochen haben: »Wenn Ihr Medikament was Neues ist, dann mache ich die Redaktion darauf aufmerksam, und die Redakteure schreiben dann was dazu. Aber ich sag ganz ehrlich, dass das nur gemacht wird, wenn Sie tatsächlich eine Anzeige schalten. Das ist dann der Deal. Eine vierfarbige Seite beispielsweise kostet in der Apotheken Umschau 57470 Euro. Wir würden Ihnen aber dann ein Paket schnüren.«
Das klang ziemlich eindeutig. Der Wort&Bild-Verlag wehrte sich natürlich (Zitat aus DWDL.de):
“Der Verlag weist zudem den Vorwurf von sich, die redaktionelle Berichterstattung in der “Apotheken Umschau” könne durch Anzeigenschaltungen beeinflusst werden. Hierzu heißt es in der Mitteilung: “Den Beweis hierfür – also einen gedruckten Artikel der ‘Apotheken Umschau’, der journalistische oder presserechtliche Qualitätskriterien verletzt – bleibt ‘Frontal 21’ jedoch schuldig”.
Redaktion und Anzeigen des Titels seien strikt getrennt, betont der Verlag. In dem Beitrag war eine Anzeigen-Beraterin des Verlages zu sehen, die einem von der Redaktion fingiertem Pharma-Unternehmen vollmundige Zugeständnisse hinsichtlich der Werbemöglichkeiten in der Zeitschrift machte.”
Ich weiß nicht wie die Sache ausgegangen ist.
Fundierte Belege zu finden, die solche Thesen stützen, ist ein bisschen mühselig. Man wird in den seltensten Fällen den Vertrag in die Hände bekommen, in dem eine solche Vereinbarung schriftlich fixiert ist (das wäre ein “Smoking Gun”).
Da bleibt einem nur das mühselige Zusammensuchen ausreichend vieler Beispiele, die durch ihre schiere Menge nur den Schluss zulassen: “Das ist durch Zufall oder Schludrigkeit nicht mehr zu erklären.”
(Um meine vollständige Erstauntheit über diesen Satz, auf den ich hinaus will, zu verstehen, muss man jetzt auch noch folgendes wissen: Ich habe diese Methode des mühseligen Zusammensuchens mal für eine Geschichte über unseren beliebtesten österreichischen Medizinjournalisten genutzt. Das bedeutete in diesem Fall ca. 100 Hefte (zwei Jahrgänge eines ähnlich auflagenstarken Magazins) in einer Flashanimation online durchblättern, um seine Kolumne und Werbung zu finden, zu kopieren, durchzuarbeiten, seine Empfehlungen mit Arzneimittellisten abzugleichen usw. Das ist kein Spaß. Das kostet Zeit und rechnet sich nicht.)
In der Apotheken-Umschau habe ich bei gelegentlichen Einblicken keine offensichtlichen Fälle entdeckt. Aber ich habe auch nur nach offensichtlichen Hinweisen wie Produktnamen gesucht, sporadisch, wenn ich mal im Wartezimmer beim Hausarzt das Magazin durchblätterte.
Wenn man das alles im Hinterkopf behält (das Gemurmel und die vermeintliche Gewissheit in der “Szene”, die Frontal 21-Doku, die mühselige Recherche meinerseits in einem anderen Fall) dann kann man jetzt vielleicht verstehen, wieso ich folgenden Satz in Katrin Wilkens’ Beitrag so eminent erstaunlich finde. Sie schreibt nämlich:
“Und tatsächlich findet sich in den rund 1000 Ausgaben, die seit 1956 erschienen sind, kein gedruckter Beleg für die Frontal 21-These.”
Das ist schon alles. 1000 Ausgaben. In 54 Jahren.
Woher weiß Sie das?
Leider erklärt sie es nicht. Sie schreibt dazu eigentlich gar nichts mehr, sondern beschreibt das Geschäftsmodell, mit dem sich das Heft finanziert (“Von Ihrem Apotheker bezahlt.“) und liefert damit eine Begründung, warum der Verlag Koppelgeschäfte oder Schleichwerbung für die Finanzierung gar nicht braucht.
Hat sie oder jemand Anderes mal Artikel in der AU durchsucht (zumindest eine Stichprobe), Themen oder Wirkstoffe oder Wirkstoff-Kombinationen gesammelt (die Produktnamen zu nennen, wäre wirklich zu plump), mit Anzeigen im Magazin abgeglichen?
Ich weiß es nicht.
Ich wüsste zu gern, woher Sie das weiß?
1000 Ausgaben.
Es ist nur ein einziger Satz in einem ansonsten informativen Beitrag. Aber er wirkt wie ein Freispruch. Damit das endlich mal jemand gesagt hat: “Es gibt keine Schleichwerbung in der Apotheken-Umschau.” In keinem einzigen Heft, in 54 Jahren nicht.
Wie gesagt: Die “Szene” unterstellte der Apotheken-Umschau immer etwas. Aber die “Szene” kann sich auch irren, und sie labt sich nur an Ihrem “kritischen Blick”. Schöner wäre es, wenn sie Unrecht behielte, die Szene.
Aber dafür müsste wirklich mal jemand genau hinschauen.
Meldet sich jemand freiwillig?
(und sollte es wirklich mal jemand gemacht haben, dann bin ich für jeden Hinweis dankbar).
Kommentare (23)