Allein der Umstand, dass ich mich nach über einem halben Jahr jetzt endlich mal wieder hier melde, zeugt vielleicht davon, wie ärgerlich ich das Folgende finde. Und ich schicke gleich ein fettes “‘tschuldigung” an Ulrich Berger rüber, (der – und all die anderen, Linklisten hier und hier)- in der GEO-Alternativmedizin-Story so viel Aufwand betreibt), dass ich mich gerade so schamlos bei ihm bediene.

(Ich poste das hier mal unter “Kultur”, weil sonst Ulrichs Beitrag in der Medizin-Scheine nach unten rutscht, und das wäre nun wirklich unangemessen).

Gerade erst hat Ulrich einen Dialog zwischen ihm und der GEO-Autorin Petra Thorbrietz auf seinem Blog gepostet, in dem die Autorin u.a. auf seine Fragen auf der Facebook-Seite antwortet. (Dafür erst mal meinen Respekt an die Autorin.)

Das aus meiner Sicht dickste Ding kommt gleich zu Anfang und es ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie wichtig es ist in Artikeln und Beiträgen zu erklären, woher das Wissen stammt, das ein Journalist berichtet (das klappt nicht immer, immer wieder wird es von Redakteuren auch schon mal rausgestrichen, weil es den Text weniger gut lesbar macht).

Es reicht selten aus, zu schreiben “zeigten Studien”, und wenn man ein solche Aussage liest, sollten sofort die Alarmglocken läuten. Vor allem, wenn es um zentrale Studien geht, die als Kronzeugen für eine Behauptung herhalten müssen.

Das aktuelle Beispiel zeigt das ganz deutlich. Ich kopiere deshalb einfach mal Ulrichs Passage dazu hier herein … damit es mal irgendwo schön separat steht. Die Links habe ich raus gelassen, wer zu den Studien möchte, sollte sowieso rüber zu Ulrich Bergers Beitrag wechseln. Es ist seine Arbeit.

(Kurze Erklärung: Im Text taucht bei Ulrich die Aussage auf: “eine odds ratio von 2,45”. Das ist die statistische Zahl auf die sich die Aussage bezieht, dass der Homöopathieffekt mehr als doppelt so hoch ist wie ein Placeboeffekt.).

Außerdem bedeutet:
PT (GEO): Aussage der Autorin im GEO-Artikel
UB (FB): Kritische Anmerkung/Richtigstellung von Ulrich Berger auf Facebook
PT (FB): Autorin antwortet darauf auf Facebook
UB (aktuell): Ulrich Berger antwortet auf Autorin

PT (GEO): Nach Metaanalysen vieler kontrollierter Studien ist der Homöopathie-Effekt mehr als doppelt so hoch wie die allein durch ein Placebo erklärbare Genesung.

UB (FB): Das ist falsch. Die state-of-the-art Metaanalyse von Shang et al (2005) sagt: Kein signifikanter Unterschied zwischen Homöopathie und Placebo in den großen und methodisch guten Studien.

PT (FB): Zur Homöopathie: Das Zitat mit dem doppelt so hohen Effekt als Placebo stammt von Edzard Ernst: Praxis Naturheilverfahren. Evidenzbasierte Komplementärmedizin…, Springer 2001, S. 64. Es gibt mehrere einander widersprechende Metanalysen zur Homöopathie. In demselben Jahr der von Ihnen zitierten Studie hat zum Beispiel auch eine von Befürwortern zitierte von Sosie Kasab ((Quelle: „Cochrane Database of Systematic Reviews”, 2009, Issue 2, CD004845) (AP)) .

Eine detaillierte Analyse und Bewertung kann so ein Übersichtskasten wie der in GEO nicht leisten. Ich habe aus der Zusammenfassung des der Komplementärmedizin durchaus kritisch gegenüberstehenden Edzard Ernst zitiert (siehe sein Buch Trick or Treatment), der dort auf die Widersprüchlichkeit der Studienlage eingeht. Das gibt völlig korrekt auch die Überschrift von GEO wieder: „Beliebt, aber umstritten”.

UB (aktuell): Edzard Ernst beschrieb in seinem “Praxis Naturheilverfahren” (2001) den damaligen Stand, der wiederum auf der damals noch aktuellen Metaanalyse von Linde (1997) beruht, welche ein odds ratio von 2,45 für Homöopathie gegen Placebo angibt. Diese Metaanalyse ist heute längst überholt, was auch von Linde selbst eingestanden wurde. U.a. aus diesem Grund gibt es auch bereits seit 2005 eine Neuauflage von “Praxis Naturheilverfahren”, in der das von Ihnen verwendete Zitat nicht mehr vorkommt. Edzard Ernst selbst nennt die 2001er-Auflage seines Werks “hoffnungslos veraltet”. Ich vermute, Sie kennen eigentlich den aktuellen Stand der Dinge, weil Sie auch “Trick or Treatment” zitieren, das erst 2008 erschienen ist und den ganzen Sachverhalt detailliert beschreibt.

Sie zitieren also 2011 bewusst (?) den Stand von 1997, als ob in Sachen Homöopathie seither nichts mehr geschehen wäre, und da frage ich mich schon: Warum eigentlich? Vielleicht doch deshalb, weil es Ihnen so besser ins Konzept passt?

Die Arbeit von Kassab et al (2009) wiederum, die Sie anführen, ist nicht, wie Sie behaupten, eine Metaanalyse, sondern ein systematischer Review. Noch dazu – darauf hat auch Michael Horak schon hingewiesen – ist sie dafür bekannt, dass darin lediglich zwei ganz bestimmte Formen von sog. Pseudohomöopathie für eine ganz bestimmte Indikation untersucht wurden. (Ringelblumensalbe gegen Dermatitis? Wenn das Homöopathie wäre, dann müsste nach dem Simile-Prinzip Ringelblumensalbe beim Gesunden einen Hautausschlag hervorrufen!) Als Beleg für “einander widersprechende Metaanalysen” in der Homöopathie ist sie denkbar ungeeignet.

Nocheinmal: Was Homöopathie als Gesamtsystem betrifft, so ist die aktuelle state-of-the-art Metaanalyse Shang et al (2005). Diese Arbeit zu ignorieren und stattdessen mit einem völlig veralteten Zitat zu arbeiten, ist für GEO-Standards ein schwerer journalistischer Patzer.

Dass es mal wieder um Homöopathie geht, ist vielleicht sympthomatisch, aber eigentlich auch schon wieder egal. Für mich hat es was von einem Schulbuchbeispiel dafür, wie wichtig es ist, dass in journalistischen Beiträgen klar wird, woher das Wissen stammt.

Wie letztlich die Aussage auf die überholte Studie in den Artikel gelangte (ob mit Jahreszahl oder ohne) und warum die GEO-Redaktion/Dokumentation das ganze Ding durchgegangen ist, ist noch ein mal eine andere Geschichte, aus der man vielleicht auch noch was lernen kann.

Und schon bin ich wieder weg.

Kommentare (4)

  1. #1 noch'n Flo
    31. August 2011

    Naja, nachdem die Homöopathie sich ja sowieso standhaft weigert, den wissenschaftlichen Fortschritt der letzten knapp 200 Jahre anzuerkennen, ist es doch nicht wirklich verwunderlich, dass eine die HP begünstigende (oder zumindest nicht widerlegende) Studie von vor fast 15 Jahren für ewig in Stein gemeisselt ist – alle Studien, die danach kamen, können ja nichts Neues mehr gebracht haben, also kann man die dann getrost vergessen. ;)

    Ich finde ja den umgekehrt proportionalen Zusammenhang zwischen Information im “Medikament” und Information im Bregen des Anwenders immer wieder faszinierend…

  2. #2 Vicky
    31. August 2011

    Ulrich Berger hat das zwar schon angeschnitten, aber ich finde es wichtig das nochmal zu sagen: Frau Thorbrietz ignoriert nicht nur die neueren Metaanalysen anderer Autoren, sie übersieht auch gepflegt, dass Linde nur zwei Jahre später eingeräumt hat die Metaanalyse von ’97 habe die Effekte zumindest überbewertet, sprich: nicht einmal er denkt, dass Homöopathie “doppelt so effektiv wie Placebo” ist. Dazu kommt, dass sie zwar diese Zahl hervorhebt, aber verschweigt, dass (laut derselben Metaanalyse) die Daten nicht ausreichend waren um auch nur für eine einzige Erkrankung eine therapeutische Wirksamkeit zu belegen! Vierzehn Jahre später gilt das immer noch, aber es wird munter weiter “behandelt” als wüsste man das nicht. Alles nach dem Motto “kann ja nix schaden, und vielleicht nützt es was”.

    @Markus: symptomatisch ;)

  3. #3 Wolfgang
    2. September 2011

    Eigentlich kann man es ja kurz fassen, wer glaubt, dass die Homöopathie wirksam ist, hat ein Problem mit der Realität.
    Und Ärzte die homöopathisch therapieren, sollten versuchen in der Forschung unter zu kommen beispielsweise mit Themen wie “das Flugverhalten der Maikäfer im November.” Und wenn sie dann eine 100schaft von Maikäfern im November in Europa untersucht haben und das publiziert haben, dann sollte man nochmals die Wirksamkeit der Homöopathie evaluieren – aber erst dann.

  4. #4 Susanne
    4. August 2012

    Witzig. Haben Sie sich eigentlich schon mal die Studien angesehen auf die Sie verweisen?