Wie verantwortungslos muss eine Fluggesellschaft eigentlich sein, die allein wegen des Profits voll besetzte Verkehrsmaschinen in wenigen hundert Metern Höhe durch Deutschland fliegen lässt? Und wie verantwortungslos müssen Piloten sein, die dabei auch noch mitmachen?
Aschewolke über dem Eyjafjallajökull am 1. Mai. (Foto: anjči/Flickr)
Der „Spiegel” widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe unter der Überschrift “Wildwest unter den Wolken” dankenswerterweise noch einmal der Sichtflug-Farce, mit der die Fluggesellschaften vor zwei Wochen erfolgreich das damalige Flugverbot wegen der Aschewolken des Eyjafjallajökull umgangen haben. Eine Entscheidung, die bei vielen Piloten offenbar auf große Sicherheitsbedenken gestoßen ist. Geflogen sind sie trotzdem.
Zur Erklärung: Die Gesellschaften starteten damals (mit Duldung des Luftfahrtbundesamtes) mehrere hundert Flüge nach den sogenannten kontrollierten Sichtflugbedingungen. Die dienten allerdings nicht dazu, die Aschewolke zu umfliegen (es wurden größtenteils dieselben Luftschichten durchflogen wie beim Instrumentenflug), sondern einzig und allein, das Flugverbot auszuhebeln. Denn beim Sichtflug, eigentlich für Kleinflugzeuge gedacht, gibt es kaum Anweisungen mehr durch die Flugsicherung. Die rechtliche Verantwortung geht damit auf die Fluggesellschaft bzw. Piloten über.
Im Prinzip ist das nichts anderes als ein juristischer Trick – und das in einer Branche, in der Verantwortung eigentlich an oberster Stelle stehen müsste und in der allein schon der Anschein, man würde es mit der Sicherheit nicht so genau nehmen, in der Außenwirkung verheerende Folgen haben kann.
Die Sichtflüge hatten, wie der „Spiegel” berichtet, absurde Folgen: Piloten mussten, um nicht durch Wolken fliegen zu müssen (was gemäß Sichtflugbedingungen verboten ist), auf Flughöhen unter 600 Metern heruntergehen. In solchen Höhen ist nicht nur das Vogelschlagrisiko höher, die Maschinen sind auch in dem Luftraum unterwegs, in dem sich Kleinflugzeuge, Segel- und Drachenflieger tummeln, die keine Transponder an Bord haben müssen und so nicht auf den Radarschirmen der rund 500 km/h schnellen Verkehrsflugzeuge auftauchen. Zudem bleibt in solchen Höhen, sollten beide Triebwerke ausfallen, kaum noch Manövrierspielraum, um einen geeigneten Notlandeplatz auszumachen.
Oder um es anders auszudrücken: Die Fluggesellschaften ignorierten damals nicht nur das vermutlich kleine, aber unkalkulierbare Risiko eines Flugs durch Aschewolken, sie schickten ihre Piloten auch noch in einen unkontrollierten Luftraum, der von Hobbyfliegern bevölkert ist – und verlangten von ihren Angestellten dabei einem Flugverfahren zu folgen, mit dem die meisten Piloten keine praktische Erfahrung hatten.
Und die Piloten? Die hatten, glaubt man dem „Spiegel” und seinen Zitaten aus internen Lufthansa-Foren, teils große Sicherheitsbedenken. Offensichtlich aus Angst um die Karriere und unter Druck des Konzerns sind sie dennoch gestartet. Dabei liegt die Verantwortung für die Sicherheit an Bord und des Lebens von Crew und Passagieren (inklusive des eigenen Lebens) letztlich beim verantwortlichen Luftfahrzeugführer.
Die Pilotenvereinigung Cockpit nannte die Flüge damals „unverantwortlich“. Gestoppt oder boykottiert haben die Piloten (die eigentlich alles daran setzen müssten, ein verantwortungsvolles Image zu haben) die Sichtflug-Starts dennoch nicht. Wenn es ums (zugegebenermaßen arbeitsrechtlich nicht ganz so komplexe) Thema Pilotengehälter – und somit ums eigene Geld – geht, haben sie damit weniger Probleme.
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