Wenn Vorstandsvorsitzende hektisch umherrennen und selbst hartgesottene Pressesprecher nervös werden, ist es mal wieder so weit: Die Kanzlerin hat sich angesagt. Doch warum eigentlich die ganze Aufregung?

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Die Kanzlerin umringt von Fotografen: Wenn Angela Merkel eine Ausstellung wie die ILA eröffnet, ist das höchst komplexe Polit-PR – zumindest in der Theorie.

Der typische Standbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel hier auf der ILA, der internationalen Luftfahrtausstellung in Berlin, läuft so ab: energischer Einmarsch, Händeschütteln, sehr kurzer Smalltalk, leicht gequältes Lächeln in die Kameras, Händeschütteln, Abmarsch. Ein skurriles Schauspiel. Vor allem weil die Hektik aller Beteiligten, der Firmenchefs, deren Presseleuten, der Journalisten, der Sicherheitsbeamten der Kanzlerin, trotz allem enorm ist. Und wofür das alles?

Die Politik

Vielleicht wird in diesen wenigen Sekunden ja tatsächlich die entscheidende Politik gemacht (so langsam würde mich das nicht mehr überraschen), aber die Händeschüttlerei hat natürlich noch andere Hintergründe: Die Firmenchefs betonen ihre Wichtigkeit, bekommen zumindest für kurze Zeit die direkte Aufmerksamkeit der Kanzlerin (um die jeder buhlt) und hoffen inständig, dass sie nicht schon wieder vergessen sind, wenn ihre Lobbyisten das nächste Mal im Kanzleramt anklopfen oder wenn sich sogar einmal die Gelegenheit eines ausführlicheren Treffens mit der Kanzlerin ergibt. Und von Seiten des Kanzleramts ist es natürlich eine höchst politische Entscheidung, wem die Kanzlerin die Ehre einer Stippvisite gewährt. So werden Abhängigkeiten geschaffen.

Die Entourage

Eine Kanzlerin kommt nicht alleine: Mehrere Kleinbusse voll mit auserwählten Politikern, Militärs und Firmenchefs folgen ihr – was zusätzliche Hektik ins penibel geplante Besuchsprogramm bringt. Denn nach jeder Station bedeutet das: Die Kanzlerin in ihre Staatskarosse verladen, die Delegation in ihre Busse verladen, die Kanzlerin 200 Meter weiter zur nächsten Halle chauffieren (hollywoodreif begleitet von einem knappen Dutzend joggender BKA-Leute, deren Haare hinterher nicht nur gegelt sondern auch verschwitzt sind), die Delegation wieder ausladen, die Kanzlern wieder ausladen. Die Presse rennt derweil mit ihren Mikros, Fernsehkameras und Fotoapparaten zu Fuß hinterher. Wenn die Kanzlerin unerwartet in einem der Busse mitfährt, stöhnen die Sicherheitsleute und die Mitglieder der Entourage jubeln innerlich – weil sie vielleicht doch einmal mehr als nur ein Wort mit der Kanzlerin wechseln können.

Die Bilder

Politik wird über Bilder gemacht. Ein Kanzlerinnenfoto zusammen mit einem Hightech-Roboter erfreut das Bundeskanzleramt – das vermittelt Innovationskraft, Zukunftsfähigkeit, ganz besonders in diesen schweren politischen Zeiten. Ein paar Sekunden zusammen mit der Kanzlerin in der Tagesschau lässt jeden Firmenchef jauchzen und garantiert seinem Pressesprecher ein paar entspannte Arbeitswochen. Das Problem auf der ILA ist nur: zu viele Journalisten, zu wenig Zeit, zu wenig kompetente PR-Leute.


Wer die Kanzlerin auf ihrem minutiös geplanten Rundgang (11:30 Raumfahrthalle, 11:40 Gang zur Halle 8, 11:42 Liebherr Aerospace, 11:45 Ganz zu Diehl Aerospace…) begleiten will, muss sich zuvor dafür anmelden. Er bekommt einen dicken roten Punkt auf sein Namensschildchen. Kontrolliert wird das allerdings nicht. Da in den besuchten Hallen zudem der ganz normale Messebetrieb läuft, mischen sich auch noch viele Hobbyknipser unter die Meute, die einen Schnappschuss der Kanzlerin ergattern wollen. Entsprechend hart ist der Kampf um die guten Bilder (ein langes Teleobjektiv ist dabei übrigens von großem Vorteil – und sei es nur als Nahkampfwaffe). Okay, Fotografenalltag.

Oder Fotografenfrust: Wenn Esa-Chef Dordain den freien Blick auf die Kanzlerin verdeckt, DLR-Chef Wörner trotz lautstarker Proteste der Fotografen seinen Kollegen aber nicht einfach aus dem Bild zerren will, fällt das Foto von Merkel und dem Roboter für diesen Fotografen eben flach. Da hilft es auch nicht, dass sich kurz vor Merkel ein Lichtdouble genau dorthin stellt, wo die Kanzlerin später stehen soll. Da die von all dem nichts mitbekommt, stellt sie sich im Zweifelsfall eh hin, wo es ihr gefällt. Süß ist auch der Fotograf, der Verkehrsminister Peter Ramsauer dazu überreden will, aus dem Bild zu verschwinden und den Blick auf die Kanzlerin freizugeben. Wenn es darum geht, fotografiert zu werden, ist sich jeder selbst der nächste – ganz besonders ein CSU-Minister.

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Kommentare (4)

  1. #1 Christian Reinboth
    Juni 9, 2010

    @Alexander: Sehr schöne Beobachtungen 🙂 Soweit mir bekannt ist, wird ja bei derartigen Großereignissen oft schon Wochen vorher ausgeklüngelt, wer an welchem Stand eine Chance auf ein Foto mit der Kanzlerin bekommt. Etwas entspannter geht es bei Parteiveranstaltungen zu, bei denen zwar auch Presse anwesend ist, aber nicht ganz so viele Wirtschaftsvertreter um Aufmerksamkeit buhlen 🙂 Wobei vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet die Mitglieder der Entourage oft interessanter sein dürften als die Kanzlerin selbst – und die haben ja meist auch mehr Zeit als zwei Minuten…

  2. #2 CHMEE
    Juni 9, 2010

    Ich glaube, die Sache ist noch n bissel simpler. Wer zahlt, der kriegt Besuch.

  3. #3 klauszwingenberger
    Juni 9, 2010

    @ CHMEE

    Ich fürchte, beim derzeitigen Zustand der Politik wird es bald umgekehrt sein: wen die besuchen will, dem muss sie noch den einen oder anderen Heiermann mitbringen.

  4. #4 Andreas
    Juni 10, 2010

    Sehr schöne Story, tolle Fotos. Aber Kanzler(innen)-Rundgänge finden, fürchte ich, jedesmal und überall genau so statt.

    Ich erinnere mich an Fotografen, die auf der CeBIT kurzerhand Exponate bestiegen, um eine optimale Perspektive auf Schröder zu bekommen und an unsere eigenen Fotografen, die sich dem Kanzler gar vor die Füsse schmissen.

    Gehört also alles irgendwie zum Geschäft. 🙂