Neue Heimat, alter Name: „Alles was fliegt” zieht um, weg von der (nicht immer kuscheligen) ScienceBlogs-Familie, hin in die Selbstständigkeit – und hoffentlich Unabhängigkeit. Zu erreichen ist das Blog künftig unter der öden aber dafür kurzen Adresse: astirn.de/blog. Und warum?
Die kurze Erklärung: In letzter Zeit habe ich mich bei den ScienceBlogs zunehmend unwohl – und irgendwie auch deplatziert – gefühlt.
Zeit, Abschied zu nehmen: ?Alles was fliegt? zieht um. (Foto: Nasa)
Die (wirklich) lange Erklärung: Ich war nie ein Wissenschaftler, und werde auch nie einer sein. Wissenschaft ist für mich vielmehr ein faszinierendes Feld, ein Feld, das ich begleite, über das ich berichte, das ich beobachte – durchaus mit einem Gewissen Wohlwollen, aber auch mit der nötigen Distanz und hoffentlich oft genug auch mit der nötigen Kritik (es gibt im Wissenschaftsjournalismus genügend Kollegen, die sich allzu sehr als Cheerleader verstehen, aber das ist eine andere Geschichte…)
Als ich vor knapp einem Jahr zu ScienceBlogs gestoßen bin, habe ich die Plattform als einen Ort kennengelernt, an dem man über Wissenschaft in all ihren Facetten diskutieren konnte – durchaus kontrovers, jedoch immer mit Respekt vor dem Gegenüber, vor allem aber tolerant und in einem vernünftigen Umgangston. Das hat sich geändert.
Nur, um es gleich am Anfang klarzustellen: Das alles ist mein persönlicher, ganz subjektiver Eindruck, basierend auf meinen eigenen Erfahrungen und auf Gesprächen mit Kollegen, die ScienceBlogs interessiert aber auch kritisch beobachten. Ich will niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu bloggen hat. Und ich werde naturgemäß vielen Mitbloggern hier auf der Plattform Unrecht tun, auf die all jene Sachen, die mich stören, nicht zutreffen. Doch es ist der allgemeine Eindruck, es ist die Summe von Kleinigkeiten, die für mich zählen.
Die Themen
Spricht man mit Kollegen, die ScienceBlogs hin und wieder lesen, hört man regelmäßig: Das ist doch dieses Blog, bei dem sich alles um Astrologie, Gott und Esoterik dreht. Ich weiß selbst, dass diese Themen – wenn man die entsprechenden Posts zählt – nur einen vergleichsweise kleinen, wenn auch besonders lautstarken Anteil der Beiträge ausmachen. Aber es wird draußen anders wahrgenommen.
Um es klar zu sagen: Das sind wichtige und ehrenwerte Themen, und es ist gut, dass sich Menschen damit auseinandersetzen. Nur es ist nichts, was mich im Herzen umtreibt. Sicher: Ich muss (und ich werde) nicht über diese Themen schreiben, aber irgendwie droht dieses Umfeld doch, auf die Wahrnehmung des eigenen Blogs abzufärben. Es ist wie im realen Leben: Wenn man mit der Nachbarschaft nicht mehr glücklich ist, sollte man an einen Umzug denken.
Die Stimmung
Wenn Kommentatoren, die sich kritisch mit einem Blogeintrag auseinandersetzen, von den Autorinnen und Autoren der Beiträge ohne Umschweife als „Vollpfosten”, „Trottel” oder „Idiot” bezeichnet werden, wenn Kommentare ohne ersichtlichen Grund moderiert oder gleich gelöscht werden, läuft etwas falsch. Sicherlich, der Übergang vom Kritiker über den Wissenschaftsfeind bis hin zum Troll ist fließend, das rechtfertigt aber noch nicht den Umgangston, der mittlerweile in manchen Kommentarspalten üblich ist. Ich habe nichts gegen hart geführte Debatten, bei einigen ScienceBloggern wird es für meine Verhältnisse aber zu schnell persönlich und beleidigend. Und ich glaube zudem nicht, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit diesem Ton und diesem Sozialverhalten ihrer eigenen Sache einen Gefallen tun.
Was letztlich meinen Abschied erheblich beschleunigt hat, waren zwei Ereignisse in jüngerer Zeit: Die Causa „Jörg Friedrich” und die „Sexismus in der Sprache”-Diskussion. Das Verhalten einiger Bloggerinnen und Blogger beim Rausekeln von Jörg Friedrich war schlichtweg unter aller Sau (in den öffentlichen Kommentarspalten wurde ja nur die Spitze des Eisbergs sichtbar). Ich habe wahrlich nicht allem zugestimmt, was Jörg Friedrich geschrieben hat und ich fand sein Verhalten auch oftmals fragwürdig, aber er hat immer mal wieder den Finger in die Wunde gelegt und genau das angestoßen, was Wissenschaftsblogs eigentlich ausmachen sollte: eine lebendige Diskussion über die Wissenschaft und ihre Position in der Gesellschaft. Wenn das auf ScienceBlogs nicht mehr erwünscht ist, ist das auch nicht mehr meine Plattform.
Besonders absurd wird das angesichts der aktuellen Diskussion um Sexismus in der Sprache, in der die Protagonistinnen und Protagonisten genau das Verhalten, das sie bei Jörg Friedrich kritisierten (unwissenschaftliches Vorgehen, Beharren auf falschen Annahmen, plumpe Verallgemeinerung) selbst an den Tag legten. Das Thema ist wichtig, und es ist gut, dass darüber diskutiert wird. Wie das in den Kommentarspalten und in vielen Beiträgen passiert ist, stellt für mich allerdings einen Tiefpunkt in der Geschichte der ScienceBlogs dar.
Das Geld
Ich blogge nicht, um Geld zu verdienen. Während meiner Zeit hier bei ScienceBlogs habe ich 25 Euro eingenommen. Das ist nicht das Problem. Als Journalist habe ich allerdings prinzipiell Bauchschmerzen, wenn Beiträge nach der Zahl der Aufrufe bezahlt werden. Diese Form der Honorierung, die auch bei einigen klassischen Verlagen beliebt zu werden scheint, beinhaltet in meinen Augen das Risiko, dass hauptsächlich klickträchtige Themen veröffentlicht werden.
Probleme habe ich auch mit dem Gedanken, für wenig bis gar kein Geld für einen Verlag zu arbeiten, der mit den Beiträgen seiner Blogger Geld verdienen will. Noch dazu wenn dem Verlag (nicht seinen Mitarbeitern!) die Blogger offensichtlich völlig egal sind, wenn technische Einschränkungen nicht behoben werden, wenn keine Weiterentwicklung der Plattform abzusehen ist. Wenn ich mich schon von jemandem ausbeuten lassen will, dann übernehme ich diese Aufgabe lieber selbst. Das konnte ich schon immer ganz gut…
Und Pepsi?
Nein, Pepsigate war (im Gegensatz zu vielen amerikanischen ScienceBlogs-Kollegen) für mich nicht der Grund, die Plattform zu verlassen. Es war aber ein Anlass, über viele Dinge nachzudenken. Ich mache keinen Hehl, dass mich als Journalist die Gleichgültigkeit, mit der einige Mitblogger auf die versuchte Vereinnahme ihrer Reputation durch einen Konzern regiert haben, verwundert hat – von Wissenschaftlern hätte ich eigentlich gedacht, dass sie mehr Wert auf ihre Unabhängigkeit legen.
Für mich als Journalisten ist Unabhängigkeit jedenfalls ein hohes Gut, und diese Unabhängigkeit (man könnte auch sagen Unangreifbarkeit) ist durch die Vereinnahme durch ScienceBlogs und der dortigen Entwicklungen zuletzt immer mehr angenagt worden. Nicht stark, aber beharrlich.
Sollten Journalisten überhaupt auf solchen Plattformen mitmachen? Ich weiß es nicht. Ich für meinen Teil aber habe eine Antwort gefunden: Ab sofort ist “Alles was fliegt” unter der Adresse astirn.de/blog zu erreichen. Die dortigen Beiträge können natürlich als RSS-Feed abonniert werden, auf Twitter und Facebook bin ich wie gewohnt vertreten.
Ich freue mich auf einen neuen Start.
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