Zum Einstieg zunächst ein sehr grundlegendes Thema, das mir beim Verfassen meiner Posts immer wieder über den Weg laufen wird: Wie weit dürfen in populärwissenschaftlichen Texten evolutionsbiologische Konzepte vereinfacht werden, ohne diese zu verfälschen?


Wie man beispielsweise auf meinem alten Blog nachlesen kann, lassen sich die meisten Probleme in der Evolutionsbiologie auf mathematische Art beschreiben. Diese Beschreibung ist nur eine Annäherung -oder besser ein Modell- der wirklich ablaufenden Vorgänge, sie ist in vielerlei Hinsicht aber wesentlich genauer als jede Beschreibung in Worten.

Da sich aber nicht jeder mit dieser mathematischen Darstellung beschäftigen will, muss man ohne Frage Kompromisse eingehen, um ein größtmögliches Publikum zu erreichen.

Ein Beispiel:

1. Viel zu sehr vereinfacht:
Männliche Pfauen haben verlängerte Schwanzfedern um dem Weibchen ihren Gesundheitszustand zu signalisieren. Das Weibchen paart sich nur mit gesunden Männchen. So wir sichergestellt, dass nur die besten Männchen Nachwuchs zeugen.

2. Mittelmäßig vereinfacht:
Männliche Pfauen haben verlängerte Schwanzfedern um dem Weibchen ihren Gesundheitszustand zu signalisieren. Das Weibchen paart sich nur mit gesunden Männchen, im Laufe der Evolution haben die Weibchen gelernt einem Anzeiger zu vertrauen, der ehrlich die Fitness des Männchens anzeigt. Kranke Pfauen können sich kleine langen Schwanzfedern leisten, so stellt das Weibchen sicher, dass es nur mit den besten Männchen Nachwuchs zeugt.

3. Wenig vereinfacht:
Männliche Pfauen wurden von ihren Weibchen auf lange Schwanzfedern selektiert. Ein Allel, das eine Paarung des Weibchens mit einem Männchen mit geringer Fitness verhindert wird in der nächsten Generation einen Genpool mit Genen teile, die eine höhere Fitness des Organismus zur Folge haben. Dieses Allel wird sich in der Population ausbreiten. Ein zuverlässiger Anzeiger für Fitness muss bestimmte Kriterien erfüllen: Es muss unmöglich sein, dass sich ein Gen in der Population ausbreitet, das trotz einer niedrigen Fitness das betreffende Merkmal erzeugt. Die Länge und Farbe des Schwanzes ist ein solches Merkmal, da die langen Federn das Männchen bei der Flucht vor Fressfeinden behindern und die Herstellung der Farbpigmente einen negativen Einfluss auf das Immunsystem hat (Handicap-Prinzip). So werden in den Weibchen nur Allele selektiert, die zuverlässig im Männchen eigentlich nachteilige Allele selektieren- häufig mit spektakulärem Ergebnis.

Version 1 hat eine großen Fehler, sie impliziert Gruppenselektion. Der Abschnitt ließt sich als würden kranke Männchen freiwillig, zum Wohl der Art auf ihre Fortpflanzung verzichten. So laufen evolutionäre Prozesse nicht ab. Ein Leser mit wenig Vorwissen Leser wird in die Irre geführt. Ich werde in den nächsten Wochen hier einige Beispiele zu solchen Fehlern von Wissenschaftsjournalisten bringen. Es gibt noch einige andere Fallstricke bei der Beschreibung anderer Bereiche der Evolution…

In meinen Augen sind Versionen 2 und 3 in Ordnung. Version 2 stellt den sehr komplexen Prozess durch Selektion auf Ebene des Individuums dar. Eigentlich läuft der Prozess wie in Version 3 dargestellt auf Ebene des Gens/Allels ab. In Version 2 wird durch den Satz “im Laufe der Evolution haben Weibchen gelernt…” der Selektionsprozess anthropomorphisiert. Diese Darstellung wird wegen ihrer Prägnanz und Kürze oft (z.B. auch von Richard Dawkins) gewählt. Sie setzt vom Leser allerdings ein grundlegendes Verständnis voraus, um den Satz nicht lamarkistisch zu interpretieren.

In Version 3 wird deutlich, dass diese Sprache hier an ihre Grenze stößt, eine mathematischen Darstellung ließe hier eine genauere Beschreibung zu. Ich werde versuchen meinen Stil zwischen Version 2 und 3 zu finden. Wenn ich in Zukunft Artikel und Posts anderer Autoren hart kritisiere bleib Eines zum Trost für die Betroffenen: Die Korrektheit der Darstellung ist graduell, sie waren dann einfach etwas zu weit im “falsch interpretierbaren” Spektrum.

Kommentare (79)

  1. #1 Ludmila Carone
    März 6, 2009

    Hey, Du jetzt auch hier? Aber den Feed lasse ich erst mal auf den alten Blog. Falls das was Neues kommt. Ach ja und willkommen.

  2. #2 Emanuel Heitlinger
    März 6, 2009

    Ich werde auf Selective Sweep auf Englisch weiterschreiben. Ich glaub allerdings nicht, dass ich dort dann sehr viele Posts zustande bringen werde…

  3. #3 Jörg
    März 6, 2009

    Herzlich Willkommen an euch, jetzt bin ich nicht mehr der Neueste 🙂

  4. #4 Tobias
    März 6, 2009

    Ihr müsst in movable type die Veröffentlichungszeit manuell anpassen.

  5. #5 Emanuel Heitlinger
    März 6, 2009

    Stimmt, erledigt. Man hat aber schön gesehen, wie heiß wir darauf waren auf dem neuen Blog loszulegen…
    Mit 3min Zeitverzögerung nachdem die login-mail da war :-).

  6. #6 Marcus Anhäuser
    März 6, 2009

    Hallo Ihr Zwei,

    herzlich willkommen auch von mir. da ich selbst Wissenschaftsjournalist bin, finde ich den Post natürlich sehr spannend.

    Was mir direkt dazu einfiel: Normalerweise habe ich aber nur die drei Zeilen aus Eurem ersten Beispiel (weil mir mein Redakteur gerade die Gesamtlänge gestrichen hat).

    Und was macht ihr dann?

    (leider kann ich mich in keine Kommentarschlacht einlassen, ich sitze hier gerade in Argentinien.

  7. #7 epihelix
    März 6, 2009

    gefällt mir gut hier. könntet ihr vielleicht bloß noch eine read more fkt einbauen? ermöglicht dass das science blog dings?

    das wär top, würde der übersichtlichkeit dienen

  8. #8 Marcus Anhäuser
    März 6, 2009

    … und unter uns: Hätte ich selbst nicht Verhaltensökologie studiert (vor Jahren), wäre ich (bzw. mein Chefredakteur) in Beispiel 3 nach dem ersten Satz ausgestiegen beim Lesen, und hätte mir einen anderen Artikel gesucht. 😉

    Ihr versteht schon: Richtige Wiedergabe ist nur ein Aspekt. Es muss meist noch kurz und knackig und auch noch spannend sein… Es ist kein Fachbuch, es ist vielleicht eine Zeitung, ein Radio-TV-Beitrag. Du hast nur 100 Zeilen á 40 Zeichen/3 Minuten. Du konkurrierst mit 300 anderen Artikeln.

    Gut, dass Ihr hier seid, ich freue mich auf Eure weiteren Artikel.

    (Themenwunsch: Könntet Ihr mal was zur (kleinen) Renaissance der Gruppenselektion machen?)

  9. #9 Emanuel Heitlinger
    März 6, 2009

    Männliche Pfauen wurden von ihren Weibchen auf lange Schwanzfedern selektiert. Weibchen, die anhand eines Indikators gute Männchen erkennen sind im Vorteil. Solche Indikatoren können häufig deshalb nicht vom Männchen gefälscht werden da sie die Fitness ohne weibliche Selektion herabsetzen würden.

    In dem was ich jetzt geschrieben hab steckt (genau wie in 2 und 3) aber auch eindeutig mehr Informationsgehalt. 2 ist mit fünf Zeilen ja immer noch kurz und trotzdem nicht zu leicht falsch interpretierbar.

    Nun zur Kommentarschlacht: Das Ganze ist ein komplexer Vorgang, wenn du dafür nicht mehr als drei Zeilen hast schreibst du eindeutig für die falsche Zeitung! 🙂

  10. #10 Emanuel Heitlinger
    März 6, 2009

    Klar, 3 ist zu detailliert, das müsste man auf die Art noch weiter ausführen z.B auch die Verwendung der Begriffe Gen/Allel klarstellen, etc…

    Themenwunsch: Könntet Ihr mal was zur (kleinen) Renaissance der Gruppenselektion machen?

    Die gibt es m.E. nicht. Jeden den ich bisher darüber reden hörte meinte, das wäre nichts neues, alles unter kin-selection abzuhaken.

    Übrigens: Wir stimmen die Posts nicht untereinander ab, das ist also “meiner” in der Einzahl.

  11. #11 Popeye
    März 6, 2009

    Für mich 2. klingt so, als hätten die Pfauen aktive Entscheidungsgewalt darüber, ob die Männchen sich die Federn wachsen lassen und wie die Weibchen ihre Selektion vornehmen.

  12. #12 Christian (ChinaFan)
    März 6, 2009

    Klasse! 😀
    Nun gibt es hier bei den ScienceBlogs auch einen Blog rund um Evolution und Leben! Den Begriff “Evolutionstheorie” gebraucht man zwar häufig, doch vieles ist von den eigentlichen Grundlagen nur spärlich vorhanden. Oder man kann sich meist nichts direkt darunter vorstellen. Man lernt da immer gern dazu.

  13. #13 Ulrich Berger
    März 7, 2009

    “Gesunde Männchen haben lange Federn, weil das zugrundeliegende Signalspiel dort ein separierendes Gleichgewicht besitzt.” 😉

    Und zur nichtexistierenden Renaissance der Gruppenselektion: Nun ja, DS Wilson wäre da anderer Meinung, und seit neuestem anscheinend auch EO Wilson. Und wenn man statt “Gruppenselektion” “multi-level Selektion” sagt, dann nicken plötzlich alle eifrig. Oder?

  14. #14 Emanuel Heitlinger
    März 7, 2009

    @Popey: Ja klar, das ist was ich mit ” Anthropomorphisierung des Selektionsprozesses” meine. Man müsste vorher im Text einen Hinweis auf diesen Sprachgebrauch unterbringen, d.h. das Ganze einmal beispielhaft ausformulieren…
    Dabei müsste man dann auch nicht unbedingt so sehr auf Gen-ebene argumentieren wie in 3…

    @Ulrich: Tut mir leid, dass ich dich etwas auf später vertrösten muss, deine Frage kann ich nicht in einem Kommentar beantworten ohne Gefahr zu Laufen Fehler zu machen. Das Ganze ist nicht unbedingt mein spezielles Fachgebiet. Ich werde darauf in meiner Populationsgenetik-Serie zurückkommen. Dazu muss ich mir aber zuerst einiges zu den aktuellen Definitionen von Gruppenselektion, multi-level Selektion und kin-selection anlesen.
    Meine erste Antwort zur “Renaissance der Gruppenselektion” war eher aus dem Bach heraus, auf der Basis dessen was ich auf einer Konferenz beim Abendessen von einer experimentell an sozialen Insekten arbeitenden Biologin gehört hatte…

  15. #15 Thilo Kuessner
    März 7, 2009

    Ich habe auf dem Gebiet natürlich auch keine Expertise, aber bei den beiden Wilsons handelt es sich doch wohl um Leute, die halt wissen, wie man Wissenschaft in der Öffentlichkeit verkauft, und deren Ansichten von der Mainstream-Biologie nicht geteilt werden. Oder?
    (Natürlich sagt das soweit noch nichts über die Korrektheit/Unkorrektheit ihrer Theorien aus.)

    In dem Zusammenhang eine andere Frage an die Experten: ob und wieweit sich Evolutionsbiologie auf die heutige Entwicklung des Menschen anwenden läßt? (Ich meine nicht die Entwicklung des Homo sapiens im Lauf der Jahrtausende, sondern die Gegenwart.)
    Gerade die Gruppenselektion wird ja immer wieder (vielleicht ohne Zutun der Protagonisten) von interessierten Kreisen verwendet, um z.B. Unterschiede zwischen Rassen oder irgendwelchen anderen Gruppen zu begründen. Deshalb die Frage: machen evolutionsbiologische Ansätze in dem Zusammenhang überhaupt Sinn oder werden die biologischen Mechanismen in unseren Gesellschaften nicht ohnehin von allen möglichen anderen (wirtschaftlichen, politischen, kulturellen) Einflüssen überlagert?
    Die Webseite von Wilson und seinem Evolutionary Studies Program finde ich jedenfalls etwas irritierend. Eines der zentralen Forschungsthemen ist z.B. “how early childhood education can be reformulated on the basis of evolutionary theory, resulting in recommendations for future basic scientific research and implementation in real world settings.” Konkret heißt das dann, daß zum Beispiel “relations between physical stature and social dominance” bei Vorschul-Kindern untersucht werden. Schon möglich, daß das durchaus seriöse Wissenschaft ist, und natürlich ist es normal, daß Biologen auch solche Fragen erst einmal vom rein biologischen und nicht vom sozial- oder gesellschafts-wissenschaftlichen Standpunkt untersuchen.
    Aber es würde mich jedenfalls schon mal interessieren, ob solche Thesen (wie Gruppenselektion bei Rassen, Religionsgemeinschaften, sozialen Gruppen) nur innerhalb des engeren Wilson-Zirkels vertreten werden, oder ob sie (wie die Öffentlichkeitsarbeit von Wilson & Co suggeriert) auch in der Mainstream-Biologie eine Rolle spielen.

  16. #16 Emanuel Heitlinger
    März 7, 2009

    Leute, die halt wissen, wie man Wissenschaft in der Öffentlichkeit verkauft, und deren Ansichten von der Mainstream-Biologie nicht geteilt werden

    Da liegst du m.E. richtig!

    “Gruppenselektion bei Rassen, Religionsgemeinschaften, sozialen Gruppen” kann es m.E. nicht geben, weil (obwohl diese innerhalb der Gruppe näher verwandt sind als außerhalb und damit eine Voraussetzung für kin-selection gegeben wäre) Rassen dadurch entstanden, dass sie räumlich getrennt sind/waren und zwischen Religionsgemeinschaften und sozialen Gruppen viel zu wenig genetisch Isolation gegeben ist.

    Die “Interessierten Kreise”, die Gruppenselektion wird ja immer wieder in der Soziolgie etc. verwenden wollen sind meist “Geisteswissenschaftler” ohne Ahnung von Biologie. Diese wollen dann einfach für Altruismus und Kooperation einen Mechanismus sehen, der viel tiefer in der Biologie verankert wäre, als er es eigentlich ist. Es gibt auch auf Deutsch einen Blogger der genau das tut. (weil dessen Posts aber mit viel Mühe geschrieben sind, hab ich dort auch schon positiv kommentiert…)

    Die biologische Evolution informiert uns nur was die wahrscheinlichste “natürliche Lebensweise” unserer Art war, bevor es kulturelle Evolution gab. Wir müssen uns nicht nach dieser Lebensweise richten, wir können, wenn sie nicht unseren ethischen Idealen entspricht sogar aktiv gegensteuern…

    …kleine Kommentarpause…ich muss was arbeiten…

  17. #17 Ulrich Berger
    März 7, 2009

    @ Thilo & Emanuel:

    Eure Übereinkunft betreffend die beiden Wilsons kann ich überhaupt nicht teilen. Natürlich können sie Wissenschaft gut verkaufen, aber das liegt ja zumindest bei EO Wilson wohl daran, dass er durch seine wissenschaftliche Arbeit eine Berühmtheit in der Fachwelt wurde. Bei euch klingt das, als seien die beiden nur talentiert im Eigenmarketing. EO Wilson ist der Ameisenguru schlechthin und noch dazu Vater der Soziobiologie. DS Wilson hat den inzwischen weithin akzeptierten Begriff der “Multilevel-Selektion” in seinem 1999er Buch mit E Sober eingeführt, das bei Google Scholar auf 1250 Zitate kommt.

    Was das “vom mainstream der Biologen nicht akzeptiert” betrifft, so ist mein Eindruck, dass jene Biologen, die sich näher mit diesem Gebiet beschäftigen, das alles sehr wohl im Großen und Ganzen akzeptiert haben. Viele der älteren Biologen, die weiter weg von dem Gebiet arbeiten, haben ihre Ausbildung in den 70ern und 80ern erhalten, wo die “group selection fallacy” als warnendes Beispiel diente, wo Hamilton und Dawkins gelobt und Wynne-Edwards verdammt wurde. Auf diesem Stand sind dann viele stehen geblieben. Also eher oldstream- statt mainstream. (Und dann gibt es natürlich auch jene, die Hamiltons Verwandtschaftsgrad so großzügig interpretieren, dass er jede Form von assortativity beschreibt, was sie praktischerweise dazu befähigt, Gruppenselektion und alle anderen evolutionären Mechanismen als “kin selection” zu klassifizieren.)

    Die Abkehr von der “alten” Gruppenselektion in den 70ern geschah ja großteils zurecht, aber was man heute zur Abgrenzung als “new group selection” bezeichnet, das ist wohldurchdacht. Und wenn man – wie DS Wilson – Religionen durch Gruppenselektion erklärt, dann tut man das selbstverständlich durch gene-culture-coevolution, was jetzt für viele Biologen weniger interessant, weil einfach jenseits ihres Fachgebiets ist. Es ist eben nicht alles, wo “evolutionary” draufsteht, rein biologische Evolution. In diesem Punkt hat Michael Blume also durchaus Recht (was ich nicht verallgemeinern will…)

    Aber die beiden Wilsons können das sowieso viel besser erklären als ich:
    https://evolution.binghamton.edu/dswilson/resources/publications_resources/New%20Scientist.pdf

  18. #18 Jane
    März 7, 2009

    Die biologische Evolution informiert uns nur was die wahrscheinlichste “natürliche Lebensweise” unserer Art war, bevor es kulturelle Evolution gab. Wir müssen uns nicht nach dieser Lebensweise richten, wir können, wenn sie nicht unseren ethischen Idealen entspricht sogar aktiv gegensteuern…

    Bei diesem Satz fallen mir als Sozialwissenschaftlerin einige Felsbrocken vom Herzen. In Presse und Populärwissenschaft kommt das leider oft ganz anders rüber. Besonders doof ist diese Fred-Feuerstein-Schiene, bei der das angeblich angeborene Verhalten von Männern und Frauen mit Just-So-Stories aus grauer Vorzeit erklärt wird.

    Ben Goldacre hat vor einiger Zeit ein besonders dümmliches Beispiel für diese Art von “Wissenschaft” waidgerecht zerlegt.

    https://www.badscience.net/2007/08/pink-pink-pink-pink-pink-moan/

    Ich freue mich auf jeden Fall auf die hier angekündigte Auseinandersetzung mit der Darstellung evolutionsbiologischer Forschung in den Medien! Nötig ist das auf jeden Fall.

  19. #19 Emanuel Heitlinger
    März 7, 2009

    @Ulrich:
    Danke für die Anregungen zu meiner Recherche! Über all diese Dinge lernt man nicht unbedingt etwas, wenn man in einem anderen Bereich der Evolutionsbiologie arbeitet. Mir ist aber klar warum dieses Thema gerade für “Nicht-Biologen” interessant ist.
    Ich werde wie gesagt irgendwann versuche es möglichst weitgehend zu durchschauen und dann darüber posten. Bevor ich mir die genauen Definitionen angeschaut hab und ein paar Beispiele “durchgerechnet” hab möchte ich mir kein Urteil bilden.

    Ich hätte vielleicht ein Beispiel aus einem Bereich bringen sollen, den ich noch mehr durchschaue… der passende Post ist in Arbeit!
    Andererseits: Wie kommen wir hier eigentlich auf Kin- und Multilevel-Selektion? Das Pfauen- Beispiel war doch mit sexueller Selektion völlig erklärbar…

  20. #20 Alexander Knoll
    März 7, 2009

    Wow, mit so vielen Kommentaren gleich zu Beginn hätte ich nicht gerechnet, super!

    @epihelix:

    könntet ihr vielleicht bloß noch eine read more fkt einbauen?

    Meinst du so einen abschließenden Block mit Links, wie es Jörg drüben bei Diax’s Rake macht? Müsste man mal nachsehen, aber ich muss mit dem neuen System erst noch ein wenig warm werden.

    @Jane: Ja, die evolutionary psychology reicht bei mir meistens auch nur für ein wenig Heiterkeit 😉

  21. #21 Marc Scheloske
    März 7, 2009

    @Alex und @epihelix:

    Ich glaube mit der “read-more-Fkt” ist schlicht die Darstellung auf der Bloghauptseite gemeint, in dem (der Übersicht zuliebe) nur die ersten Absätze eines Blogposts erscheinen sollten und dann über den Link “…mehr” der komplette Artikel aufgerufen wird.

    Infos, wie man ggf. weiterführende Links hervorhebt (wie es Jörg bei Diax’s Rake) macht, schicke ich per Mail.

  22. #22 Jörg
    März 7, 2009

    Infos, wie man ggf. weiterführende Links hervorhebt (wie es Jörg bei Diax’s Rake) macht, schicke ich per Mail.

    Oder man klaut es direkt bei Marc aus dem Quellcode wie ich 😉

  23. #23 Ulrich Berger
    März 7, 2009

    @ Emanuel:

    Andererseits: Wie kommen wir hier eigentlich auf Kin- und Multilevel-Selektion? Das Pfauen- Beispiel war doch mit sexueller Selektion völlig erklärbar…

    Marcus mit seinem Themenwunsch ist schuld!

  24. #24 Ingo
    März 8, 2009

    Thema Gruppenselektion:

    Sehr lesenswert ist “Narrow Roads of Gene Land” von William D. Hamilton – ER ist der eigentliche Begründer der Soziobiologie mit seinem kinship-Altruism. EO Wilson und Dawkins haben das dann nur – jeder auf seine Weise – für eine größere Öffentlichkeit aufbereitet – 10 Jahre später. (Hamilton war 1963 einsamer Doktorant, der tlw. in Bahnhofs-Wartehallen gearbeitet hat, um seine Einsamkeit nicht so zu empfinden …)

    Und Hamilton schreibt in seinen oben genannten Lebenserinnerungen, wie er sehr bald nach seiner Formulierung des kinship-altruismus von seinem Freund Price, über den er ebenfalls viel berichtet (fanatischer Christ “der Tat”, endete im Selbstmord) mit der berühmten Price-Gleichung DOCH wieder von der Richtigkeit der Gruppenselektion überzeugt wurde – gegen den Willen beider damals. Und über die Price-Gleichung haben sich inzwischen auch viele andere von der grundsätzlichen Möglichkeit von multilevel-selection überzeugt.

    Im Zusammenhang mit dem neuen Buch “Superorganism” von Hölldobler und Wilson wird das Thema ja auch wieder diskutiert. Bei Ameisenstaaten, das Standardbeispiel für kinship-altruism von Hamilton, ist es noch LÄNGST nicht geklärt, bzw. schon lange wieder in Zweifel gestellt, ob hier Verwandtschaft allein alles erklärt. Ob endgültige alternative Erklärungen inzwischen shcon gefunden sind, wird wohl ebenfalls niemand sagen. Aber es ist klar, daß Gruppenselektion dabei ebenfalls sehr gründlich mit durchdacht werden muß.

    Aber auch wenn man die heute weit verbreitete Social-Brain-Hypothese in der Anthropologie, Primatologie dazu nimmt, nach der Gehirnevolution vor allem darauf beruht, daß Probleme des GRUPPEN-Lebens gelöst wurden (Robin Dunbar und andere), wenn man berücksichtigt, daß der Mensch vor allem ein soziales Wesen ist, ein “Zoon politicon”, das sich Gruppen zugehörig fühlen möchte, kann man den Menschen und seine Evolution anthropologisch gar nicht verstehen, wenn man nicht seine starke Tendenz berücksichtigt, sich eben Gruppen zugehörig fühlen zu wollen. Das tritt auch in grundlegenden Studien über “öffentliche Meinung” zutage (“Schweigespirale” etwa von Noelle-Neumann), wo deutlich wird, WIE schwer es dem einzelnen Menschen fällt, von vorherrschenden Mehrheitsmeinungen abzuweichen (Thema: “Isolationsfurcht”).

    Diese Mechanismen werden auch – über Verängstigung und Einschüchterung – benutzt, damit Menschen sich dieser Gruppe und nicht anderen Gruppen zugehörig fühlen, noch heute. Viele Mechanismen dahingehend, wie Gruppenselektion funktionieren KANN, könnte, kann man jedenfalls auch innerhalb der Wissenschaft selbst beobachten: Der Mainstream und die Abweichler. Und wie wichtig ist vielen Leuten immer wieder ist, hier ja sich selbst in die richtigen Kategorien eingeordnet zu sehen und andere einzuordnen – anstatt einfach nach der Sache selbst zu fragen.

    Fast alle großen Neuerkenntnisse begannen bekanntlich als Abweichung, als Häresie, was natürlcih für sich genommen noch kein ausreichendes Kriterium für die Richtigkeit derselben ist – aber ein Hinweis.

  25. #25 Ingo
    März 8, 2009

    Ich finde übrigens viele Beispiele der beiden Wilson’s nicht sehr überzeugend was Gruppenselektion betrifft. Sie wird um so überzeugender meiner Meinung nach, um so mehr noch WEITERE Mechanismen hinzugenommen werden müssen und Gruppenselektion nicht ALLEIN für sich selbst dazu benutzt wird, etwas zu erklären. Steckt ja auch im Begriff multilevel drin.

    Bei sozialen Insekten z.B. kommt ja noch vieles andere hinzu. Ausgangspunkt war IMMER Verwandtschaft, wie jüngst nachgewiesen wurde. Aber auch die Mechanismen der Arbeitsteilung sind hier noch nicht endgültig zu Ende gedacht worden.

    Wenn jedenfalls Gruppenzugehörigkeit nicht einfach nur auf Zufall und Beliebigkeit beruht, sondern mit sozialen und genetischen “Markern” verbunden ist, wird sie Sache gleich viel überzeugender (meiner Meinung nach). Deshalb wäre mein Rat an Emmanuel, mit Bewertungen dieser Dinge nicht auf zu basalen Ebenen anfangen. Gruppenselektion hat, wie ich denke, vor allem zunächst etwas mit sozialer Komplexität zu tun. (Es handelt sich dabei also heute um ganz andere Dinge als “Artwohl”-Diskussionen der 1960er und 1970er Jahre.)

  26. #26 Emanuel Heitlinger
    März 8, 2009

    Danke für den ausführlichen Kommentar Ingo!

    Deshalb wäre mein Rat an Emmanuel, mit Bewertungen dieser Dinge nicht auf zu basalen Ebenen anfangen.

    Das werde ich auf jeden Fall. Ich werde das Thema natürlich von der Biologie, also von der einfachen Populations- und quantitativen Genetik her angehen.
    Ich bin mir nicht sicher wie weit ich mit diesem Ansatz kommen werde, schließlich wird es auf dem Gebiet schnell mathematisch sehr komplex… Ich werde wenn ich den betreffenden Post schreibe darauf zählen, dass du und Ulrich mich zu korrigiert, falls ich Fehler mache.

    Meine ursprüngliche Ablehnung, aus dem “Bauch heraus” , kommt aus mehreren Komponenten zustande: 1. (Zu?) viel Dawkins gelesen. 2. Ein Gespräch beim Abendessen auf einer Konferenz, bei dem ein einer der führenden deutschen Evolutionsbiologen (der viel mit Spieltheorie usw. arbeitet) und eine experimentell an Ameisen arbeitende Biologin negativ speziell auch über den “Superoganism” geäußert haben…

    Vielleicht kannst du ja wenn ich den Post schreibe einen historisch orientierten Begleitpost schreiben… und Ulrich einen aus Sicht des Spieltheoretikers…

    Das wird aber wie gesagt noch ein bisschen dauern, ich hab erst noch einige andere Themen, die ich in der Popgen Serie abhandeln will…

  27. #27 Thilo Kuessner
    März 8, 2009

    Wir reden hier über verschiedene Dinge. Ob es Gruppenselektion bei Ameisen gibt, ist natürlich auch eine interessante Frage. Aber die Leute in Binghamton um Wilson d.J. versuchen ja offensichtlich, solche Theorien auch auf den (heutigen) Menschen anzuwenden.

  28. #28 Ulrich
    März 8, 2009

    @ Emanuel:

    Wenn du dir das alles antust, dann empfehle ich Okashas (2006) “Evolution and the Levels of Selection” – habe ich (noch) nicht gelesen, aber den Rezensionen nach zu urteilen soll das ja sowas wie das aktuelle Standardwerk dazu sein. (Die sind im Volltext hier verlinkt: https://www.bristol.ac.uk/philosophy/department/staff/so.html )

  29. #29 Emanuel Heitlinger
    März 8, 2009

    @Thilo:
    Wenn es wirklich eine richtige “Theorie” ist muss sie, was die biologischen Evolution betrifft, auf Menschen und Ameisen etc… anwendbar sein.

    Dinge wie beispielsweise “gibt es Unterschiede in der Intelligenz bei Menschen aus unterschiedlichen lokalen Subpopulationen (so heißt das übrigens korrekt, nicht “Rasse”!)?”. sind ein schönen Thema um hier für etwas Traffic zu sorgen, und ich werde demnächst einfach mal ein paar Links auf eine Diskussion posten, die ich vor einigen Wochen auf Amerikanischen-Blogs verfolgt habe.

    Zweifelsfrei beantworten kann man die Frage aber immer noch nicht, vielleicht wenn es mal 1000 sequenzierte menschliche Genome gibt…

  30. #30 Thilo Kuessner
    März 8, 2009

    unterschiedlichen lokalen Subpopulationen (so heißt das übrigens korrekt, nicht “Rasse”!)

    Interessant 🙂
    Und was sind die evolutionsbiologisch korrekten Bezeichnungen für soziale Milieus oder z.B. Religionsgemeinschaften?

    Übrigens ging es mir nicht darum, über IQ-Unterschiede zwischen Subpopulationen zu diskutieren. Das mag ein sehr trafficträchtiges Thema sein, aber solche Diskussionen würde ich doch lieber den Ingos, Michaels und Heinars überlassen (oder den scilogs, wo ein Artikel über die “Auschwitz-Lüge” seit 2 Monaten der meistgelesene Beitrag ist).

    Ich wollte auch nicht in Frage stellen, daß die Evolutionstheorie im Prinzip für den Menschen wie für Ameisen gilt. Aber bei Wilsons Aktivitäten geht es doch offensichtlich um mehr als um theoretische Erklärungen, nämlich, wie oben zitiert

    education can be reformulated on the basis of evolutionary theory, resulting in […] implementation in real world settings

    und was man dann auf den Seiten der verschiedenen Projekte liest, läßt jedenfalls nichts gutes ahnen.

  31. #31 Emanuel Heitlinger
    März 8, 2009

    Und was sind die evolutionsbiologisch korrekten Bezeichnungen für soziale Milieus oder z.B. Religionsgemeinschaften?

    Ich kann mir eigentlich nicht vorstelle, dass die genetisch genug isoliert sind um nen biologischen Namen zu verdienen…. Für den Gene-flow der diesen Kategorien zur biologischen Nichtexistenz verhilft genügen denke ich schon sehr wenige Konvertiten oder soziale Auf/Ab-steiger

    Das education can be reformulated Zitat und die ganze EVOS Seite find ich nicht besonders klar… kein Plan was die Vorhaben.

    Und die Sache mit den Unterschieden in menschlichen Charaktereigenschaften könnte man schon auch mal versuchen von einer rein naturwissenschaftlichen Seite anzugehen, also einfach darzustellen, was man im Moment sicher anhand der Daten darüber weis und wie man das besser erforschen könnte… ich mein absichtlich ohne sich Gedanken über die Geschichte dieser Frage zu machen, oder über die Schlüsse, die andere daraus ziehen.

    Ich denk dabei z.B. nicht nur an Intelligenz sondern auch beispielsweise an ein Paper darüber, dass anscheinend bei Beduinen bestimmt SNPs in Genen häufiger sind die unruhiger machen(auch in anderen Tieren) müsste man sich dabnn halt einfach ganz genau anschaune wie fundiert das is…. bei einem Post von mir wär dann halt der Teil der sich mit den Methoden beschäftigt sehr viel ausgeprägter als bei den von dir genannten Bloggern…

  32. #32 Ingo
    März 8, 2009

    Naja, Emmanuel, thilo spielt auf Forschungen von Religionswissenschaftler Michael Blume an, wonach religiöse Menschen durchgehend mehr Kinder haben als Atheisten. Und Kinderzahl ist ja eine ziemlich eindeutige biologische Kategorie. Und wenn da menschliche Gruppen und Mileus sich unterscheiden, dann IST das halt so, so sehr sich da Thilo grimmig die Zunge bei abbeißen mag vor Ärger. (Dazu braucht man nämlich noch nicht mal Mathematik zu studieren, um diesen simplen Zusammenhang zwischen Mileu und Biologie zu kapieren.)

    Und Thema Auschwitz, Thilo: Da HAST Du eben Gruppenselektion auf allen Ebenen voll in action … 🙂 Kannst das wie ein Biologe über die Petrischale gebeugt verfolgen, SIND halt bloß keine Bakterien, sondern Menschen mit 1200 gramm Gehirn oder so, bei denen man manchmal nur nicht weiß, wo sie die gelassen haben.

  33. #33 Ingo
    März 8, 2009

    Emanuel, übrigens habe ich auch an und an sporadischen Kontakt mit “namhaften” Evolutionsbiologen (die Wilsons sind ja wohl übrigens auch welche). Und nach meinen Erfahrungen wissen die vieles oft SEHR gut, vieles aber oft auch SEHR schlecht. Habe diesbezüglich neulich mal auf meinem Blog die “Quantensprung”-Kolumne von Axel Meyer ausgewertet, wo ich genau diese Beobachtung auch machen konnte. – Man muß sich halt letztlich doch immer selbst sein Urteil bilden, zumal NIEMAND ganz frei ist in seinen Urteilen von vor- oder unwissenschaftlichen Einflüssen. Dazu ist ja Wissenschaft für sich da und darin liegt ihre Stärke, diese andere Einflüsse mehr und mehr auszuschalten.

  34. #34 Emanuel Heitlinger
    März 8, 2009

    Eine evolutionsbiologisch relvante Größe ist die Religionszugehörigkeit nur, wenn sie genügend vererbt wird: Meine Eltern waren religiös, ich bis nicht…

    Und Thema Auschwitz, Thilo: Da HAST Du eben Gruppenselektion auf allen Ebenen

    Quatsch das hat aber sowas von überhaupt nichts mit Evolution zu tun. Selektion ist die unterschiedliche Fortpflanzung von Individuen aufgrund bestimmter Merkmale, ich weiss nicht wie du das mit dem Holocaust in Verbindung bringen willst…

  35. #35 Ingo
    März 8, 2009

    Ne, ja, das war ein bischen kurz ausgedrückt. Ich meinte nicht den Holocaust selbst, sondern die DISKUSSION, bzw. Gesetzgebung darüber. Ist aber langes Thema.

    Aber natürlich stellt das kulturelle Merkmal Religiosität einen Selektionsfaktor dar, wenn sie regelmäßig mit höherer Kinderzahl einhergeht. Außerdem hat Genetiker Dean Hamer auch schon erste Gensequenzen gefunden, die mit der Neigung zu Religiosität korrelieren, deren Erblichkeit aufgrund von Zwillingsforschung schon naheliegend genug war.

    Außerdem kann man es z.B. schön anhand des genetischen Profils der aschkenasischen Juden oder der Amish-People erforschen, wie sich ein kulturelles Merkmal wie Religiosität eben auf die Genetik und damit auf die Humanevolution auswirkt. Gen-Kultur-Koevolution im Sinne von Charles Lumbsden und EO Wilson, bzw. anderer Autoren.

    Eine ähnliche Koevolution wie bei vielen anderen genetischen Merkmalen des Menschen, etwa Rohmilch-Verdauung, Alkohol-Unverträglichkeit etc. pp. pp..

  36. #36 Jane
    März 8, 2009

    @Ingo: Scherze über Auschwitz liest man eher selten. Sollte auch so bleiben.

  37. #37 Marcus Anhäuser
    März 8, 2009

    @ Ulrich
    in der Biologie nach Gruppenselektion zu fragen ist ein bisschen wie in der medizin nach Homöopathie zu fragen 😉

  38. #38 Marcus Anhäuser
    März 8, 2009

    @Ulrich
    … wobei, du hast gar nicht so unrecht mit deinen einwänden. es gibt da auch eine menge reflexe.

    ich bi genselektion aufgewachsen, und in der diskssion um gruppenselektion habe ich gemerkt, dass ich das ganze thema gar nicht richtig vestanden habe, obwohl ich mir nach dawkins so sicher war….

  39. #39 Emanuel Heitlinger
    März 8, 2009

    @ Ingo:
    Selbst wenn Religiosität stark vererbbar wäre, denke ich nicht, dass die kulturellen Mechanismen die einen Menschen zwingen in eben dieser Religion zu verbleiben (nicht zu einer andern zu konvertieren etc.) stark genug sind um eine wirklich konstante Gruppe zu generieren. Diese bräuchte man ja als Grundlage von wie auch immer gearteter Gruppenselektion (der ich schonmal generell misstraue).
    Die Trennung genügt vielleicht um ein paar hochvariable neutrale genetischen Marken etwas in den Gruppen divergieren zu lassen. Ein positive selektiertes Allel, das in einer Gruppe entsteht, würde m.E. zwangsläufig früher oder später auch in die ande religiöse Gruppen gelangen.

    Im Übrigen weiß ich nicht warum alle so stark an diesen haarlosen Primaten interessiert sind, es gibt so viele andere Tiere bei denen man sich mit ähnlichen Dingen ohne Auschwitz-Problematik beschäftigen kann.

    Ich meinte nicht den Holocaust selbst, sondern die DISKUSSION, bzw. Gesetzgebung darüber

    …macht in deinem Gruppenselektions-Satz auch keinen Sinn…

    Aber vielleicht sollten wir das lassen bevor wir Godwins law bestätigen.

  40. #40 Ronny
    März 9, 2009

    Ich verstehe zwar nur Bahnhof aber klingt interessant 🙂

    Zitat Jane: Besonders doof ist diese Fred-Feuerstein-Schiene, bei der das angeblich angeborene Verhalten von Männern und Frauen mit Just-So-Stories aus grauer Vorzeit erklärt wird.

    Wieso findest du das doof ? Kommt mir persönlich ziemlich treffend vor und würde seltsame Verhaltensweisen der Gegenwart erklären, z.B. warum Frauen und Männer oft verschiedene Ziele haben.
    Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren wenns nicht stimmt 🙂

  41. #41 Jane
    März 9, 2009

    @Ronny: Na dann lies doch meinen Link 😉
    Da wird das ziemlich amüsant ad absurdum geführt.
    Ich denke mal sowieso das Thema wird hier noch öfter aufkommen. Da bin ich auch schon recht gepannt.

  42. #42 Ingo
    März 9, 2009

    Lieber Emanuel,

    bloß weit weg vom “H-Word”, ja.

    Ich gehe vorerst nicht davon aus (und auch Hamer tut das keinesfalls), daß es eine genetisch vorgebahnte Neigung gäbe, bei einer BESTIMMTEN Religion oder ihrer Gruppierung zu bleiben. Hamer sprach ja nur davon, daß es Hinweise auf Erblichkeit von Religiosität ganz allgemein gäbe. (Auch Dawkins läßt es inzwischen offen, ob Religiosität ein “Neben”- oder “Haupt”produkt der Evolution ist.)

    Und der Mensch ist ideologisch/religiös sehr verformbar, das muß ebenfalls berücksichtigt werden. Aber auch diese Formbarkeit funktioniert IMMER in Gruppenzusammenhängen. Gruppen erzwingen mehr oder weniger stark Konformität durch das Ansprechen psychologischer Mechanismen (“Isolationsfurcht” etc.).

    Und wir sehen ebenfalls eine hohe Aussterberate von Gruppen: “Collapse of complex societies” (s. Jared Diamond’s Bestseller, aber besser ist: Joseph A. Tainter). Der größte Teil der komplexen Gesellschaften, die es jemals gegeben hat, sind geendet in Bevölkerungszusammenbrüchen, während Ethnogenese oft aus vergleichsweise kleinen Ausgangspopulationen heraus erfolgte (Gründerpopulationen). Beispiele: Bandkeramiker, Amische, Aschkensim, der anatomisch moderne Mensch überhaupt, die Nichtafrikaner etc. pp..

    Außerdem spielt die effektive Bevölkerungsgröße eine Rolle, wie jüngst an den Einwanderern in Quebec/Kanada und auch bezüglich der Buren in Südafrika etwa erforscht wurde, also die vergleichsweise kleine Gruppe kinderreicher Familien, von denen wir heute zum allergrößten Teil selbst abstammen (was die historische Demographie gut aufzeigen kann).

    Wir wissen noch nicht genau genug, wie hoch die “Viskosität” von Bevölkerungen in genetischer Hinsicht ist. Natürlich gibt es eine Tendenz zu geographischen Verschiebungen und Vermischungen. Aber ebenfalls gibt es eine Tendenz zur ethnischen, kulturellen und genetischen Unterscheidung nach Kriterien von Verwandtschaft. Der bekannte amerikanische Soziologe Putnam stellt eine ENTMISCHUNG der Ethnien in der Wohnstruktur der USA fest, was er positiv sieht, weil er wie andere sieht, daß alle Faktoren von prosozialem Verhalten höher sind in ethnisch entmischten menschlichen Populationen und am geringsten in ethnisch vermischten, multikulturellen Wohngebieten. Und zwar ganz unabhängig davon, was die Menschen jeweils bewußt von ihrem eigenen Verhalten DENKEN. (Das weicht nämlich oft sehr stark von dem ab, was sie tun.)

    Ob also der Genfluß zwischen den Gruppen, Ethnien groß genug ist, um Mechanismen der Gruppenselektion obsolet werden zu lassen, das ist derzeit einfach noch nicht umfassend genug erforscht und das hängt sicherlich auch schlicht von den kulturellen Entscheidungen der jeweiligen Gruppen ab. Es gibt starke sozialpsychologische Mechanismen, die verantwortlich sind für unterschiedliche Kinderzahlen von menschlichen Gruppierungen. Der Mensch vermehrt sich nur dort auch biologisch (verhindert also großflächige Bevölkerungszusammenbrüche), wo auch sonst weitgehend alles “stimmt”, wo er sich nach jeder Richtung hin wohlfühlt (insbesondere auch die Frauen), nicht in Gesellschaften, die sich in kulturellen oder sozialen Schräglagen befinden.

    (Oder konkreter, und um Ronny recht zu geben: wo sich die Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu größeren Anteilen in stärkeren Schräglagen befinden.)

  43. #43 Ingo
    März 9, 2009

    Der “New Scientist” hat übrigens wieder etwas über Gruppenselektion, finde ich aber – außer manchen gedanklichen Ansätzen – nicht so besonders:

    https://www.newscientist.com/article/mg20126981.800-the-selfless-gene-rethinking-dawkinss-doctrine.html?full=true

  44. #44 Marcus Anhäuser
    März 9, 2009

    Mal eine Frage, sie ich mir schon oft gestellt habe, aber bisher keine Antwort darauf habe.
    Auch hier wird immer wieder der Punkt angeführt, dass Menschen dazu neigen sich in Gruppen zu organisieren, ein Gruppengefühl haben, zwischen “wir” und “die andere” unterscheiden, und jeder kennt vielleicht das positive Gefühl Teil einer Gruppe zu sein.

    Das alles wird gerne als “Beleg”/Hinweis genommen, dass dies Ausdruck dafür ist, dass beim Menschen Gruppenselektion gewirkt hat (um es etwas hölzern und ungelenk auszudrücken).

    Or anders: Wir entwickeln Gruppengefühle, weil wir ein Ergebnis von Gruppenselektion sind, bei der Gruppen mit Mitgliedern, die kooperativ sind über dijenigen, mit weniger kooperativen Gruppen “gesiegt” haben.

    Aber ist das eigentlich so? Kann man das eigentlich nachweisen, kann es nicht eben auch durch Individual/Genselektion zu erklären sein, also mit Mechanismen wie Gegenseitigkeit usw.

    Könnte es sein, das wir zu leicht in die Gruppenselektionsfalle gehen, weil wir eben Gruppentiere sind? (und uns dieser egoistische Ansatz einfach wegen des Wortes so missfällt? “Egoisten sind böse”.

  45. #45 Emanuel Heitlinger
    März 9, 2009

    @Ingo:
    ich bin echt beeindruckt wie viel du über die Thematik weißt. Bei manchen deiner Aussagen (auch in deinen Stud.gen. Posts) habe ich aber den Eindruck, es würde deiner Argumentation helfen, würdest du vielleicht mal versuchen die biologische Evolution von molekularer bis organismischer Ebene besser zu verstehen.Du machst vielleicht nicht oft die wirklich offensichtlichen gravierenden Fehler, aber manchmal gehen mir deine Interpretationen einfach zu weit.
    Du schreibst irgendwo weiter oben:

    [namhafte Evolutionsbiologen] wissen vieles oft SEHR gut, vieles aber oft auch SEHR schlecht.

    Die meisten wissen wahrscheinlich im groben welche Daten beim Menschen zugänglich sin. Wenn man dann doch sehr weitreichende Interpretationen liest, die wenig biologischen Hintergrund haben, kann man als Naturwissenschaftler schon zu der Meinung gelangen, dass das vieles davon Unfug ist. Dazu muss man dann nicht unbedingt die Literatur aus dem Fachbereich kennen.

    @Markus:

    Oder anders: Wir entwickeln Gruppengefühle, weil wir ein Ergebnis von Gruppenselektion sind, bei der Gruppen mit Mitgliedern, die kooperativ sind über dijenigen, mit weniger kooperativen Gruppen “gesiegt” haben.

    Oder noch anders: wir entwickeln Gruppengefühle, weil wir ein Ergebnis von Gen-selektion sind , bei der Gene, die ein einzelnes Individuum den Kontakt mit anderen Individuen suchen lassen positiv selektiert werden. Du darfst nicht die Selektion auf eine Leben in der Gruppe mit Gruppenselektion verwechseln.

  46. #46 Ronny
    März 10, 2009

    @Jane
    Naja, in dem Link wird beschrieben dass sich die Farbgeschmäcker ändern, aber ich persönlich halte das nicht gerade für ein wichtiges genetisches Merkmal 🙂

    Mir gings eher um grundlegendes Verhalten wie z.B. warum sind Männer aggressiv oder warum gehen Männer eher fremd und warum suchen sich Frauen die stärksten Männchen (und nicht die freundlichsten). Wieso lieben Frauen schöne Häuser und Männer eher starke Autos. Da sehe ich schon Parallelen zur Tierwelt und eben auch zu (wie du formuliert hast) Fred Feuerstein. Vielleicht sind das nur scheinbare Zusammenhänge (so wie in der Alternativmedizin wo es ja auch scheinbare Erfolge gibt). Wie gesagt, ich bin Laie, aber Psychologie und Verhaltensweisen finde ich faszinierend.

  47. #47 Alexander Knoll
    März 10, 2009

    @Ronny:
    Genau das ist das Problem mit der evolutionary psychology: Anders als mit Fossilien oder Genen kann man bei Verhaltensweisen normalerweise nicht in die Vergangenheit gehen und nachsehen, wie das damals war. Uns bleibt also nur das Raten übrig, das Erfinden von netten Geschichten, die sich plausibel anhören. Es ist schon möglich, dass manche dieser Geschichten sogar stimmen – da uns aber Daten fehlen, ist das halt keine Wissenschaft!

  48. #48 Ronny
    März 10, 2009

    @Alexander
    Naja, man könnte ja versuchen ‘gut’ zu raten 🙂 die wahrscheinlichste Variante herausfinden. Astrophysiker versuchen auch die Vergangenheit des Universums zu ergründen aufgrund vom ‘derzeitigen’ Verhalten. Ob das jetzt wirklich so war kann man niemals sagen, aber eine gute Theorie kann auch Aussagen über die Gegenwart und Zukunft machen. Etwas ähnliches müsste doch auch im Bereich der Evolution der Psychologie möglich sein. Allein wenn ich mir die Religion ansehe, muss es doch irgendwie einmal geholfen haben gläubig zu sein, sonst würde sich dass doch nicht so hartnäckig weltweit halten.

    Ich werde mal Florian schreiben dass du ihn als Nichtwissenschaftler bezeichnest *g*.

  49. #49 Marcus Anhäuser
    März 10, 2009

    @Emanuel
    ja, klar, nur: Hast Du nicht auch das Gefühl, dass genau das immer wieder passiert, wenn über Gruppenselektion beim Menschen gesprochen wird?

  50. #50 Jane
    März 10, 2009

    @Ronny: Spannend finde ich es auch, so ist das nicht. Aber Alexander hat die Kritik ganz gut auf den Punkt gebracht. Man muss auch sehr sorgfältig kulturelle Faktoren ausschließen, schließlich ist das, was “typisch” männl./weibl. Verhalten ausmacht sehr stark sozio-kulturell festgelegt. Im Mittelalter mussten echte Männer z.B. emotional sein, auch weinen in der Öffentlichkeit war nicht verpönt.

    “warum gehen Männer eher fremd”

    Hi,hi,hi, vielleicht lassen wir uns einfach nicht erwischen, Stichwort Kuckuckskinder ;D

  51. #51 Ingo
    März 10, 2009

    Hm, an einer wirklich guten Defintion von Gruppenselektion hat man wohl noch viel zu knabbern. Wir stochern doch derzeit zu großen Teilen im Nebel herum, wie es immer ist, wenn man sich in unbekanntem Gelände bewegt. Aber da ist dann halt auch viel erlaubt zu denken. (Schön, wie ich finde …)

    Dawkins sagt ja, daß ALLE Gruppenphänomene über Individual-Selektion erklärt werden können, sagt, daß das nur eine Sache der Ausdrucksweise ist. Dawkins hat schon so manche Fehler in früheren Zeiten gemacht. Er brauchte lange, bis er die Ernsthaftigkeit der Handicapt-Theorie von Amoz Zahavi anerkannte, wie er auch ehrlich in den Neuauflagen von “Selfish Gene” zugibt (das sind einige der schönsten Passagen in diesem Buch).

    Also darf man auch einem Dawkins mitunter mal widersprechen.

    Für mich ist es so: Ich SEHE doch, daß in menschlicher Geschichte Selektion AUCH, ich betone AUCH auf Gruppenebene stattfindet. Vielleicht übertreibt man dieses Phänomen, vielleicht unterschätzt man dieses Phänomen, beides halte ich für plausibel. Für hoch plausibel sogar. Aber ich halte es für ganz und gar unmöglich, daß Gruppen als Einheiten der Selektion ÜBERHAUPT keine Rolle spielen sollen. (Übrigens ging ja schon der Heilige Darwin von ihr aus – was ja bekannt ist, nicht wahr, schon im Untertitel von unser aller Heiliger Schrift heißt es: “… or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life” …)

    Oder noch konkreter: Natürlich ist das Phänomen, daß religiöse Gruppen stabiler und kinderreicher sind als atheistische in vielen Aspekten möglicherweise auch über Individual-Selektion, verwandten-altruistische Motive zu erklären. Aber andererseits IST es doch eben auch die Gruppe, sagen wir die religiöse, von der Motivationen ausgehen, sich so und so oder anders zu verhalten. Es ist doch oft ganz und gar unglaublich, wie sehr man dadurch angefeuert wird, etwas zu tun, nur weil es alle anderen genauso tun. Diese Reflex des “Mitfliegens” in der großen Menge, wenn einige Graugänse auffliegen und riesige Scharen mit sich reißen. (Im Havelland in der Winterzeit überall zu beobachten.) EXAKT so reagieren doch auch noch wir Menschen. Und solche starken Motivationen sollen nicht auf Selektion ganz allgemein wirken?

    Aber natürlich: Auch das ist erst mal nur ein Indizien-Sammeln.

    Emanuel hat ganz recht: Man sollte die Dinge (auch) auf möglichst basaler Ebene klären wollen und können. – Wenn ich mal wieder gut in Fahrt bin, werde ich mir dazu vielleicht auch mal wieder versuchen, etwas zu überlegen. Ich glaube, es ist oft einfach auch wichtig, sich selbst nicht als allzu doof zu erachten und sich selbst einiges zuzutrauen – SELBST wenn es um moderne Genetik geht. 😉

    Hamilton war z.B. der Meinung, daß alle großen Einsichten OHNE Mathematik gewonnen worden sind, und daß Mathematik nur dazu benutzt wird in der Wissenschaft, um andere Wissenschaftler auf diese Einsichten aufmerksam zu machen und sie von der Ernsthaftigkeit der eigenen Bemühungen zu überzeugen. Das wichtigste bleibt gesunder Menschenverstand, bleibt, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu übersehen.

  52. #52 Alexander Knoll
    März 10, 2009

    @Ronny:
    Oh, der Unterschied zwischen Astrophysik und EvoPsych ist die vorhandene beziehungsweise fehlende Datenbasis. Astrophysiker raten also nicht, und Florian wird sicher nicht gefallen, dass du ihm sowas nachsagst 😉 (Sorry Florian, dass wir dich da so mit reinziehen…)
    Ich habe ja oben nicht komplett ausgeschlossen, dass man evolutionäre Gründe für Psychologie oder Verhalten von Menschen finden kann. Ein recht gutes Beispiel, das mir so aus dem Stegreif einfällt, ist die erhöhte Promiskuität von Psychopathen.

    There is a growing discussion among researchers to suggest there may be a genetic influence that creates a psychopathic personality. The psychopath may lack the ability to physically feel what others identify as the physical sensation of guilt. They can feel fear, anger, sadness in the moment but not guilt for what they did or what they are about to do. Some sociologists believe that a sexually promiscuous psychopath who can live off others is a survivor and may represent one of many genes for survival in the human species.

    So etwas wäre nachprüfbar – man müsste die genetischen Grundlagen für Psychopathie untersuchen, und Unterschiede zwischen Gesunden und Kranken beschreiben. Das ist heute sehr schwer, aber theoretisch machbar. Aber Achtung, dieser Fall ist keinesfalls unumstritten!
    Wie soll das jetzt mit Verhaltensweisen gehen, die größtenteils kulturell bedingt sind? In der EvoPsych werden in der Regel einfach irgendwelche Verhalten evolutionär erklärt, ohne vorher nachzuprüfen, ob sie tatsächlich genetische Grundlagen haben!
    Schau mal in diesen Artikel im Scientific American, der fasst das ganz gut zusammen.

  53. #53 Ronny
    März 11, 2009

    @Alexander
    Danke für den Link und ich glaube die Lösung ist (wie fast immer) differenziertes Denken, sodass es manchmal schon evolutionär sein kann, aber man sollte nicht immer quasi als Reflex sofort mit ‘Ha, Steinzeit’ reagieren. Mich interessiert das Thema einfach weil gewisse Muster auch über Kulturen hinaus ähnlich sind und oft scheinbar sinnlose Sachen mit hoher Vehemenz verfolgt werden. Es geht mir da primär nicht um einen Geschlechterunterschied.

    @Jane
    Aber die angebliche 10% Kuckuckskinderquote wird doch von den Frauen immer so vehement bestritten 😀

  54. #54 Emanuel Heitlinger
    März 11, 2009

    Liber Ingo,
    es freut mich, dass du dich in die Richtung biologischer Evolution weiter informieren willst, ich hoffe ich kann hier mit meinen Posts auf AWL ein klein wenig dazu beitragen. Ansonsten würde ich dir wärmstens Hartel und Clark “Principles of Population Genetics” empfehlen.
    Der einzige Abschnitt auf etwa 600 Seiten der darin (wenn auch nur ganz entfernt) mit Gruppenselektion zu tun hat sind die 1,5 Seiten über Kin Selektion.
    Du schreibst:

    Für mich ist es so: Ich SEHE doch, daß in menschlicher Geschichte Selektion AUCH, ich betone AUCH auf Gruppenebene stattfindet. Vielleicht übertreibt man dieses Phänomen, vielleicht unterschätzt man dieses Phänomen, beides halte ich für plausibel. Für hoch plausibel sogar. Aber ich halte es für ganz und gar unmöglich, daß Gruppen als Einheiten der Selektion ÜBERHAUPT keine Rolle spielen sollen. (Übrigens ging ja schon der Heilige Darwin von ihr aus – was ja bekannt ist, nicht wahr, schon im Untertitel von unser aller Heiliger Schrift heißt es: “… or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life” …)

    Wow, wie willst du denn Selektion SEHEN, mit bloßem Auge? Machst du in deinem Keller heimlich verbotene Experimente? 🙂

    Mir ist nicht klar warum du von Darwin als “heilig” und vom Origin als “Heiliger Schrift” schreibst! An Darwin Sichtweise wurde viel verbessert und verändert (Mechanismus der Vererbung, etc…) Evolutionstheorie ist nicht auf dem Stand von 1859 stehen geblieben. Über Darwin wie über einen Religionsgründer zu schreiben, bringt dich in schlechte Gesellschaft.

    Meiner Meinung nach verwechselst du auch Gruppenselektion mit der Selektion darauf in der Gruppe zu leben. SELEKTION IST DIFFERENTIELLE FORTPFLANZUNG.
    Ohne über Multi-level-selection und neuere Modelle genauer Bescheid zu wissen, kann ich dir sagen (Ich hab in den letzten Tagen auch mal etwas mehr auf Stud.gen. gelesen): Das meiste was du über Evolution schreibst ist in meinen Augen falsch und zeigt einen gewissen Grad an Unverständnis. Ich hoffe du nimmst mir die klaren Worte nicht übel.
    Gerade deshalb freue ich mich darauf mit dir weiterhin zu diskutieren.

    Die Sache mit der Mathe sehe ich natürlich auch anders, nicht nur wegen der Genauigkeit der Ausdrucksweise, sondern auch wegen einem philosophischen Grund:
    Außerhalb der Mathematik ist es schwer wirklich wissenschaftlichen Fortschritt zu zeigen, in der Mathematik sind einfach die alten Theoreme in den neuen als Spezialfall enthalten…. Da wir es schwer einen wirklichen Fortschritt abzustreiten.

  55. #55 Thilo Kuessner
    März 13, 2009

    Zur Vermischung von Biologie und Geisteswissenschaften gab es übrigens neulich einen SZ-Artikel Die Verdrehung der Arten von Richard Precht.

  56. #57 Emanuel Heitlinger
    März 13, 2009

    @ Thilo

    Der SZ Artikel fängt gut an, wird dann aber m.E. immer schlechter. Die Kommentatoren des Artikels haben m.E. Recht!

  57. #58 Ingo
    März 13, 2009

    Hallo Emmanuel,

    vielleicht gibt’s mal irgendwo irgendwie Anlaß, ins Detail zu gehen, so daß wir über den bisherigen Austausch von eher oberflächlichen “Plausibilitäts-Argumenten” hinwegkommen.

    Aber andererseits: Du schreibst “Selektion ist differenzielle Fortpflanzung”. Und wir beobachten Gruppen, die sich unterschiedlich fortpflanzen. Die Hutterer in Kanada verdoppeln sich alle 20 bis 25 Jahre. Exponentielles Wachstum. Sie sind außerordentlich scharf von der Umgebungs-Bevölkerung unterschieden. Klare Heiratsschranken. Seit mehreren hundert Jahren völlig endogam. Andere Gruppen nehmen zur gleichen Zeit zahlenmäßig alle 20 bis 25 Jahre um die Hälfte ab. Sicherlich findet man auch da völlig endogame Gruppen. (Aber es geht auch ohne 95%ige Endogamie –> “Viskosität” u.ähnliches.)

    Auch unsere Vorfahren waren mal eine kleine Gruppe von Menschen, die sich zwischen anderen kleinen Gruppen von Menschen ANDERS als diese anderen Gruppen fortpflanzten. Auf diese Weise sind die aschkenasischen Juden entstanden, die heute über 10 Millionen Menschen umfassen, die Hälfte dieser 10 Millionen stammt möglicherweise von nur 4 Frauen ab, die vor 1.000 Jahren am Rhein lebten. (Nach Studien der letzten Jahre.)

    Daß es jeweils immer DIESE Gruppe war, die so viele Kinder hatte und ANDERE zeitgliche Gruppen gewesen sind, die irgendwann weniger Kinder hatten als diese (z.B. gab es einen jahrhundertelangen anteilmäßigen zahlenmäßigen Rückgang der sephardischen Juden gegenüber den aschkenasischen), das beruht jeweils einfach immer darauf, DASS sich diese Gruppen jeweils kulturell ALS diese bestimmte Gruppe definiert haben und unterschiedlich starke Heiratsschranken zu anderen Gruppen bewußer oder unbewußter errichtet haben. Das kann alles beschrieben werden.

    Also hier behaupte ich, mit mehr oder weniger “bloßem Auge” Selektion zu sehen. Nicht im Keller, sondern täglich um mich herum: Die einen haben mehr, die anderen haben weniger Kinder. Ich glaube, an solchen Tatsachen fällt es derzeit sogar unserer Familienministerin schwer vorbeizusehen.

  58. #59 Ingo
    März 13, 2009

    Ja, es gibt höchstwahrscheinlich beides und das eine setzt das andere voraus:

    1. gibt es Selektion darauf, in Gruppen leben zu KÖNNEN

    Diese fängt bekanntlich schon sehr früh an bei den Primaten und ist von Robin Dunbar*) plausibel beschrieben worden (Social Brain-Hypothese): Die Fähigkeit zum Gruppenleben hat sich übrigens nach neuesten Ergebnissen von Robin Dunbar (2007/2008) aus der Fähigkeit von Nichtprimaten heraus evoluiert, MONOGAM leben zu können. Denn nicht korreliert Gehirngröße und Gruppengröße bei Primanten, sondern auch Gehirngröße und Intensität der monogamen Lebensweise bei Nichtprimaten im Artvergleich. All das paßt übrigens gut zu Thesen über die Beschleunigung von Evolution durch Gehirne, wie sie Allan C. Wilson formuliert hat vor einigen Jahrzehnten.

    2. gibt es – dann – Gruppenselektion.

    Letzteres geht ja, wie ich oben schon sagte, wahrscheinlich viel leichter, wenn es scharf umrissene Gruppen gibt, wenn es also soziale Komplexität gibt. (Also innerartlich unterschiedene Gruppen und nicht vornehmlich bloß eine biologische Art in Konkurrenz zu einer anderen, wie es das alte Konzept von Gruppenselektion ziemlich plumb voraussetzte.

    _______________________
    *) Anmerkung: Der Robin Dunbar lebt doch auch in Schottland, oder? Edinburgh? GLAUBE schon … – Der ist in meinen Augen SEHR innovativ im Denken. Und zwar schon über Jahrzehnte hinweg, was ja eher selten ist.

  59. #60 Emanuel Heitlinger
    März 13, 2009

    Auf diese Weise sind die aschkenasischen Juden entstanden, die heute über 10 Millionen Menschen umfassen, die Hälfte dieser 10 Millionen stammt möglicherweise von nur 4 Frauen ab, die vor 1.000 Jahren am Rhein lebten.

    Von nur vier Frauen auf rein maternaler Linie, wahrscheinlich finden sich im Genpool der gesamten Gruppe nahezu alle Menschen, die vor 1.000 Jahren lebten und überhaupt Nachkommen haben.

    Mit den Experimenten im Keller hab ich gemeint, dass man normalerweise “reine Linien” von Mäusen (oder was man gerade möchte) für Selektionsexperimente einsetzt, so kann man dann vor dem gleichen genetischen Hintergrund als Ausgangssituation wirklich Selektion “sehen”.

    Wir können uns gerne mal auf ein Paper zu menschlicher Evolution einigen und dann beide darüber schreiben. Danach können wir dann die jeweils andere Interpretation kritisieren!

  60. #61 Emanuel Heitlinger
    März 13, 2009

    Robin Dunbar ist jetzt in Oxfor, laut wikipedia. Und du hast schon recht, die Leute die mit Primaten arbeiten, haben was die Auseinandersetzung ,mit den “philosophischen Auswirkungen” ihrer Forschung angeht schon immer die Nase vorn.

    Ich werde in den nächsten Tagen mal schreiben was ich so von Volker Sommer gelernt hab. Der Mann war echt beeindruckend und hatte ne Botschaft!

  61. #62 Ingo
    März 14, 2009

    Naja, es ist vielleicht noch weitergehender: Oftmals ist es nicht nur gut, wenn man sich mit den philosophischen Auswirkungen von Forschungsergebnissen auseinandersetzt, sondern oftmals können auch bestimmte philosophische Vorannahmen sowohl forschungshemmend wie forschungsfördernd sein.

    Konrad Lorenz sagt z.B. in “Die Rückseite des Spiegels”, daß der philosophische Idealismus (Hegel, Schelling und Co.) sich außerordentlich hemmend auf die naturwissenschaftliche Forschung ausgewirkt hat, was sicherlich Mehrheitsmeinung heute in der Naturwissenschaft ist.

    Andererseits würde ich HEUTE sagen, daß oft ein ziemlich kruder und zu weit getriebener Atheismus und Materialismus nicht mehr wirklich erkenntnisfördernd ist. Wenn man z.B. den Forschungen von Simon Conway Morris oder anderen nur deshalb von vornherein ablehend gegenüber steht, weil Denkansatz und Ergebnis nicht auf den ersten Blick mit einem atheistischen Weltbild ein Einklang zu stehen scheinen, so ist das meiner Meinung nach deutlich erkenntnishemmend. So ist das nicht mehr eine wirklich ergebnisoffene Forschungshaltung.

    Die Natur selbst jedenfalls hat sich, so glaube ich ,nicht von vornherein auf ein bestimmtes philosophisches Weltbild festgelegt. Und es erscheint sinnvoll für Forschung, da möglichst ergebnisoffen zu operieren.

    Oder noch weitergehender: Ich finde es eben derzeit gerade so faszinierend ,daß auf vielen Gebieten gerade auch der biologischen Forschung nicht mehr UNBEDINGT dem “Prinzip Zufall” die Alleinherrschaft eingeräumt werden kann oder muß, wie das Stephen Jay Gould beispielsweise noch in ziemlich schlichter und simpler Argumentation annahm. Die Physik weiß längst, daß alles Geschehen ein komplexes Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit ist (Manfred Eigen bspw.). In der Biologie herrscht da noch nicht so deutliche Klarheit in der Mehrheitsmeinung der Forscher. Aber wir kommen da derzeit den Dingen vielleicht doch immer näher, erkennen immer mehr auch “Bahnungen” und “Notwendigkeiten”, “Trends” in der Evolution.

  62. #63 Ingo
    März 14, 2009

    Volker Sommer:

    Ich fand es mal sehr witzig, wie die Koryphäe der Bandkeramik-Forschung in Deutschland, Jens Lüning, in Frankfurt einen Vortrag von Volker Sommer einleitete. Lüning gab völlig unbeschwert und offen zu, daß er von den Forschungen von Sommer null Ahnung hätte. Und man hatte das Gefühl, daß er das auch nicht sonderlich schlimm fände und auch zukünftig nichts großartig daran ändern wollte.

    So viel zur interdisziplinären Forschungs- und Denkhaltung mancherorts in Deutschland. Ich muß dazu sagen, daß ich Lüning ansonsten sehr, sehr schätze, auch oder sogar vor allem auch menschlich. Aber gerade auch die Archäologie ist in ihren Anknüpfungen zur Anthropologie oft noch recht bescheiden, recht bescheiden, obwohl die Anknüpfungs-Möglichkeiten da eine immense Bandbreite aufweisen und immer größer werden.

    Manchmal ist es unglaublich, für wie wenig peinlich es manche Leute halten, wenn sie auf vielen Gebieten NICHT naturwissenschaftlich gebildet sind. Aber so ist es dann halt … (Die Gebildeten beschäftigen sich noch HEUTE viel zu wenig mit Naturwissenschaft und finden das noch nicht mal peinlich.)

  63. #64 Ingo
    März 14, 2009

    Mit den aschkenasischen Juden liegst Du übrigens falsch. Wenn eine Gruppe 1000 Jahre lang relativ endogam lebt, ist genau das zu erwarten, was ich eben sagte. Die unterschiedlichen Vermischungsraten der Aschkenasim mit der jeweils einheimischen Bevölkerung ist auch schon von unterschiedlichen Studien abgeschätzt worden – aber nicht sehr hoch. Anders kann es ja auch nicht erklärt werden, daß die Aschkenasim ein ganz spezifisches Set von Erbkrankheiten haben, die es in dieser Häufigkeitsverteilung in keiner anderen Bevölkerung der Welt gibt, ebenso – wie man vermuten kann – ein ganz spezifisches Set von IQ-Genen.

  64. #65 Ingo
    März 14, 2009

    Mir ist übrigens noch eine (vorläufige?) Defintion für Gruppenselektion eingefallen:

    Gruppenselektion liegt dann vor, wenn Fortpflanzungsverhalten auch von Gruppenzugehörigkeit bestimmt ist.

    Verwandten-Selektion liegt ja dann vor, wenn Fortpflanzungsverhalten, bzw. Aspekte desselben von Verwandtschaft mitbestimmt sind. Also wenn der “helper at the nest” die Fortpflanzungsrate z.B. erhöht oder sein Nichtvorhandensein dieselbe erniedrigt.

    Oder wenn das soziale Setting es wahrscheinlich macht, daß ältest geborene Töchter besser verheiratet werden können als ältestgeborene Töchter, steigt die Sterblichkeit ältestgeborener Söhne in bäuerlichen Bevölkerungen wie der der Krummhörn in Ostfriesland (erforscht von Eckart Voland) an. Ebenfalls vornehmlich aufgrund verwandten-selektionistischer Mechanismen.

    Aber nehmen wir ein Findelkind bei den Hutterern: sein Fortpflanzungsverhalten wird evtl. nicht nur durch seine Gene, sondern schlicht auch durch seine Gruppenzugehörigkeit bestimmt sein. (Vorausgesetzt, daß Hutterer Findelkinder wie ihre eigenen Kinder behandeln, was man annehmen darf. Und vorausgesetzt, daß das Findelkind selbst durchschnittlich viele Kinder bei den Hutterern haben wird.)

    Natürlich wird sein Fortpflanzungsverhalten AUCH von seinen Genen mit beeinflußt sein und möglicherweise auch von dem genetischen Verwandtschaftsgrad, in dem es zu den übrigen Gruppenmitgliedern steht. (Man darf annehmen, daß es eine Abstimmung der Verhaltensgenetik der Hutterer mit der von ihnen gelebten Kultur gibt aufgrund starker Selektionsprozesse in den letzten Jahrhunderten – ebenso bei den Amischen: jene, die verhaltensgenetisch nicht gut dazu paßten, gehörten sehr früh zu den “Abtrünnigen”.)

    Es können also verschiedene evolutionäre Prinzipien, Rationalitäten beschrieben werden, die zugleich Einfluß nehmen auf Fortpflanzungsverhalten: —> “Mehrebenen-Selektion”.

  65. #66 Emanuel Heitlinger
    März 14, 2009

    Gruppenselektion liegt dann vor, wenn Fortpflanzungsverhalten auch von Gruppenzugehörigkeit bestimmt ist.
    Verwandten-Selektion liegt ja dann vor, wenn Fortpflanzungsverhalten, bzw. Aspekte desselben von Verwandtschaft mitbestimmt sind.

    Sorry, aber ich muss es einfach schreiben: LÄCHERLICH (ich lach im Moment wirklich)! Das alles hat mit Selektion nichts zu tun! Lies einfach ein bisschen mit und mach dir ein Bild davon was Biologen unter Selektion verstehen.
    Du meinst mit Verwandten Selektion Kin-Selektion? Dann ist deine Definition auch LÄCHERLICH. Wenn du gerade unabhängig das Wort Verwandten-Selektion erfunden hast ist das auch LUSTIG…

    Und: Ich kenn mich zwar nicht besonders aus aber ich glaub in der Wissenschaft brauchen wir “ontologischen Materialismus”. Ohne geht’s nicht! Und was einer dann privat treibt ist mir relativ egal…

    Es wär leichter auf deine Kommentare zu antworten, wenn du sie etwas kürzer halten würdest! Sonst werden auch andere Kommentatoren abgeschreckt!

  66. #67 Ingo
    März 15, 2009

    Lachen ist erlaubt, Wissenschaft soll Spaß machen.

    Hamilton ist der Begründer der kin selection. Er hat seine Theorie, zunächst eine bloße Voraussage, unter anderem mit Hilfe der Verwandtschaftsstrukturen in Ameisenstaaten abgestützt. Er hat also gesagt, daß Aspekte von altruistischem Verhalten in Ameisenstaaten sich in diesen deshalb evolutiv halten, weil selbst wenn die einzelne Ameise keine Nachkommen hat, die genetisch Verwandten ihr eigenes Altruismus-Gen (das sie zu aufopferungsvollem Verhalten antreibt) in die nächste Generation bringen.

    Nun stellte sich aber in den letzten Jahren heraus – darauf haben unter anderem Hölldobler und Wilson hingewiesen – daß die Verwandtschaftsstrukturen in Ameisenstaaten keineswegs so gut zu den Voraussagen von Hamilton’s Theorie passen. Andererseits SPIELT offensichtlich Verwandtschaft eine Rolle, ist phylogentisch immer der Ausgangspunkt für die Evolution eusozialen Verhaltens. Auch das wurde vor ein oder zwei Jahren in “Science” dargelegt. (Hab ich auf meinem Blog damals behandelt.)

    ERGO ist es plausibel anzunehmen – und das versuchen unter anderem Hölldobler und Wilson – Aspekte des altruistischen Verhaltens von Ameisen mit gruppenselektionistischen Modellen zu erklären.

    Wenn man mir jetzt noch den Spaß erklären könnte, den ich oben gemacht habe, damit ich mitlachen könnte …

  67. #68 Emanuel Heitlinger
    März 15, 2009

    Ingo,
    erstmal gut, dass du mir meinen letzten Kommentar nicht übel genommen hast, der war etwas zu barsch ausgefallen.
    Das Lachen kam daher, dass deine Definitionen doch etwas sehr vage sind:

    Gruppenselektion liegt dann vor, wenn Fortpflanzungsverhalten auch von Gruppenzugehörigkeit bestimmt ist.

    Das kann doch nie und nimmer ausreichen! Die allgemeine Definition von Selektion hab ich jetzt ja schon oft wiederholt. Unter Gruppenselektion würde ich dann verstehen, dass eine Gruppe als solche sich besser “fortpflanzt” als andere Gruppen. D.h mehr “Tochtergruppen” hervorbringt, anderen Gruppen die Ressourcen streitig macht etc…

    Wenn du mit deiner Definition an die Sache rangehst wirds schwierig. Kleines (übertriebenes) Beispiel. “Drogenabhängige” als Gruppe -> deren Kinder haben auch ne hohe Chance Drogenprobleme zu bekommen-> dies beeinflusst das Fortpflanzungsverhalten -> deine Definition von Gruppenselektion: FAIL

  68. #69 Ingo
    März 16, 2009

    Versteh’ ich nicht: Drogenabhängige werden sogar ein recht gutes Beispiel sein.

    Die Evolution wird derzeit sicher GEGEN Menschen mit genetischer Ausstattung selektieren, die sie dazu geneigt macht, in der heutigen gesellschaftlichen Umwelt drogenabhängig zu werden.

    Der neue Selektionsfaktor ist: Erreichbarkeit der Drogen und tlw. gesellschaftliche Akzeptanz derselben.

    Gruppenselektion kommt aber – nach meiner Definition – nur ins Spiel, wenn die Drogenabhängigen drogenabhängig werden und dadurch weniger Kinder als andere haben, WEIL sie durch Gruppenverhalten dazu beeinflußt werden. Und nur so weit. Aber das wird ja durchaus auch der Fall sein.

    Gruppen sind um so besser zu definieren, um so MEHR Aspekte von Sozialverhalten sie gleichzeitig einheitlich beeinflussen – etwa durch gemeinsame Muttersprache, die sich auf viele Aspekte von Sozialverhalten auswirkt (sehr unbewußt über Wahrnehmungen z.B.) oder durch gemeinsame Religion (die ja auch wiederum gleichzeitig viele Aspekte von Sozialverhalten beeinflußt).

    Es muß übrigens nicht nur um Ressourcen-Einschränkung ANDERER Gruppen gehen bei Gruppenselektion, sondern es kann auch schlicht nur um das Überleben statt Aussterben von Gruppen geben. Gruppen evoluieren oft in neue “Nischen” hinein, wo sie ansonsten eigentlich gar keinen anderen Gruppen Leben streitig machen. Bestes Beispiel dann, wenn sie sich arbeitsteilig spezialisieren und auf diese Weise auf kleinerem Raum MEHR Menschen Leben ermöglichen. Arbeitsteilung ist wohl “die” Art und Weise überhaupt, neue “Nischen” zu schaffen für menschliches Leben, weshalb sie evolutionär von nicht geringer Bedeutung sein könnte (–> Thema meiner Doktorarbeit …).

  69. #70 Ingo
    März 16, 2009

    Es gibt übrigens einen südamerikanischen Indianerstamm, der sogenannte Selbstmörder-Stamm der Suruaha, bei dem sich der größte Teil der Erwachsenen bewußt das Leben nimmt durch zu hohen Drogenkonsum, und der DENNOCH seit mindestens hundert Jahren nicht ausstirbt, da trotzdem immer wieder viele Kinder geboren werden.

    Hab hier darüber mal geschrieben:

    https://studgendeutsch.blogspot.com/2008/01/ein-unglaubliches-buch.html

    (Tatsächlich definiert sich dieser Stamm durch seinen Stolz, sich durch Drogen selbst das Leben nehmen zu können, davor nicht Angst zu haben. Alte Menschen, die es nicht schaffen, werden von den jungen verspottet. Das wäre alles wunderbar geeignet, um daran Gruppenselektions-Mechanismen zu studieren, wie ich denke.)

  70. #71 Emanuel Heitlinger
    März 16, 2009

    M.E. Vermischst du hier soziale Komponeten mit ein klein wenig Biologie (eigentlich nur der Sprachgebrauch…) und heraus kommt eine sehr krude Mischung…

  71. #72 Ingo
    März 17, 2009

    Ich rede ständig über das, was Du wolltest, über Dinge, die Einfluß nehmen auf Fortpflanzung IN Gruppenzusammenhängen.

  72. #73 Emanuel Heitlinger
    März 18, 2009

    Ja aber deine Definition von Gruppenselektion lässt m.E ALLES als Gruppenselektion gelten.

    Selektion auf Gen- oder Individuenebende genügt in all deinen Beispielen doch vollkommen als Erklärung. Die “Gruppe” ist in deinen Beispielen einfach eine andere Art von Umwelt…
    Individual oder Gen-Selektions Modelle sind doch wohl sehr viel “sparsamer” …

  73. #74 Ulrich Berger
    März 19, 2009
  74. #75 Emanuel Heitlinger
    März 19, 2009

    Danke da ist ja für uns beide was dabei

    There is widespread agreement that group selection and kin selection — the post-1960s orthodoxy that identifies shared interests with shared genes — are formally equivalent
    und für Ingo
    Whereas geneticgroup models are vulnerable to the fact that individuals can migrate from group to group, reducing the between-group variance on which selection works, cultural models have the advantage that human migrants can adopt the cultures of the groups to which they migrate.

  75. #76 Ingo
    März 21, 2009

    Wow, wow, wow. – Vielen Dank, Ulrich Berger, für den Hinweis auf diesen Aufsatz. Da merkt man wieder mal, wofür Scienceblogs gut sind.

    Könnte Gefahr bestehen, daß man die Bedeutung dieses Aufsatzes überschätzt? Gute Gedanken können ja vorliegen, wenn sie aber in der falschen Form präsentiert werden, ist es (fast) so, als würden sie gar nicht vorliegen. Ich habe Marek Kohn immer schon für einen GANZ hervorragenden Wissenschafts-Autor angesehen. Aber wie er DAS jetzt hier präsentiert. Das ist absolute Spitzenklasse betreffs Wissenschafts-Journalismus. Der WEISS, wovon er hier redet.

    Da steckt ganz schön viel Denkfutter drin. Wilson&Wilson waren mir in ihrem letzten Beitrag einfach zu weitschweifig. Aber hier hat man mal vieles gut auf den Punkt gebracht und sogar weitergeführt.

    Ein toller Satz z.B.:

    “… how the division of a population into groups affects the frequencies of different types of individuals in the population.” (S. 296)

    Was steckt allein in diesem einen Satz drin! Ähm, ich möchte meinen, da ist (unter anderem) inhaltlich auch schon so einigermaßen eine ähnliche Definition drin, wie ich sie oben gegeben habe. (Räusper … – Nur mal so tollkühn in den Raum gestellt – und um Emanuel zum Widerspruch zu reizen … 😉 )

    Aber dann auch wunderschön gefaßt dieses (S. 297):

    “… by the 1960s, many
    naturalists and biologists had come to see
    the relationship between what is good for the
    individual and what is good for the group as
    unproblematic. They assumed that individuals
    would subordinate their own interests to those
    of the species.”

    “Unproblematic”! GENAU. Exakt das war der Fehler, gegen den sich Bill Hamilton auflehnte. Und mit Recht. Aber wie es so typisch ist: er ging zu weit in seiner Auflehnung (zumindest im ersten Schritt, er war ja einer der ersten, der seinen eigenen Fehler bald wieder korrigierte …, wenn es sich auch erst jetzt paradigmatisch beginnt durchzusetzen).

    Und ebenso dies:

    “Sometimes selection
    between groups is weak and sometimes it
    is very strong, they [Wilson&Wilson] argue; the balance between
    levels of selection should be evaluated case by
    case.”

    Exakt so isses! Möchte man sagen. Und das kommt dann noch besser heraus bei dem, was Paul Rainey sagt, nach dem nämlich – sinngemäß – Keimzellen “Täuscher” sind und “Somazellen” die Altruisten sind (in mehrzelligen Organismen und in Biofilmen). Erst durch diesen Text geht mir auf, wie wichtig tatsächlich in diesem Zusammenhang die Erforschung von Biofilmen ist. Denn hier können ja die Täuscher einfach “weglaufen”. Das geht ja “so” bei Dictyostelium beispielsweise nicht (mehr).

    Hier wäre es also WIEDER einmal das Prinzip Arbeitsteilung, das das grundlegende Prinzip ist. Und am besten angepaßt sind jene “Gruppen”, “Organismen”, “Superorganismen”, die ein gutes Gleichgewicht haben zwischen Täuschern und Altruisten (S. 298), die also “switchen” können:

    “… selection will work to optimize
    the rates at which cheaters arise (…)
    evolution will produce systems that
    can switch between …”

    … (intensiverem) Gruppenleben (mat forming) und weniger intensivem Gruppenleben.

    Denn wenn kein mehrzelliger Organismus mehr an Keimbahn-orientiertem Verhalten interessiert ist/wäre (und das gilt für viele “Organismen” des Typs Homo sapiens sapiens heute auf der Nordhalbkugel), dann nehmen die Gefrequenzen dieses Typus halt ab. Andererseits beruht alle Mehrzelligkeit und alle gesellschaftliche Komplexität ja auch auf der Fähigkeit, mal von Keimbahn-orientiertem Verhalten abstrahieren zu können.

    Klasse. Klasse. Klasse.

    Da ist auch der Weg zu philosophischen Deutungen Richtung Menschenbild gar nicht so weit: Wenn Menschsein sich NUR durch die Gruppe definieren würde (“Du bist nichts, deine Gruppe ist alles”), wäre es mindestens totlangweilig, meist aber sogar inhuman. Wenn sich Menschsein NUR durch das Ego des einzelnen definieren würde (“Du bist alles, deine Gruppe/Gesellschaft ist nichts”), wäre es ebenso mindestens langweilig aber eher wohl doch ebenso inhuman. Menschliche Freiheit und das wenig Langweilige an menschlichem Leben verwirklicht sich auf individueller und gesellschaftlicher Ebene dadurch, daß zu jeder Zeit und in jeder Generation beim “switchen” zwischen beiden Verhaltenstendenzen zu einem neuen, guten, evolutionär angepaßten Gleichgewicht gefunden wird, bzw. gefunden werden muß.

  76. #77 Ingo Bading
    März 21, 2009

    In diesem “Nature”-Aufsatz wird auf S. 298 “relatedness” als eine “nonrandom association of genes” bestimmt. Die Kürze und Allgemeinheit dieser Definitionen sind schon irgendwie faszinierend, zu denen die Leute gelangen, um zu sagen, daß alle Gruppenselektion Verwandtenselektion ist.

    WENN dem aber so wäre, warum versuchen wir dann vor allem auf der Ebene menschlicher komplexer Gesellschaften so viel mit dem Prinzip Gegenseitigkeit zu erklären? In ihm ist genetische Verwandtschaft ganz unwichtig. Und deshalb ist es vielleicht auch gar nicht einmal ein so basales Prinzip in der gesamten Evolution? “Why is Reciprocitiy so rare in Social Animals?” fragte Peter Hammerstein vor einigen Jahren. Ähnlich etwas später Marc Hauser.

    Nur: Man möchte vermuten, mindestens 70 bis 80 % des gegenwärtigen Hirnschmalzes bei der Erforschung von sozialem Verhalten des Menschen wird seit mehr als 20 Jahren auf das Prinzip Gegenseitigkeit und eben NICHT auf das Prinzip “nonrandom association of genes” verwendet.

    Der einsame Frank Salter mit seinem “On genetic interest” wird nämlich seit Jahren so gut wie gar nicht rezipiert, obwohl er es als einziger ist, der auch noch vergleichsweise NIEDRIGE durchschnittliche genetische Verwandtschaft in modernen Gesellschaften als wesentlich für die Strukturierung altruistischen Verhaltens überhaupt in diesen Gesellschaften bewertet wissen will (–> “ETHNIC genetic interest”)? Exakt DAS hat allein Frank Salter in den letzten 20 Jahren getan, nämlich die “nonrandom association of genes” in den Vordergrund zu stellen bei der Erklärung von menschlichem Sozialverhalten in modernen Gesellschaften.

    Und genau das taten die sonstigen Vertreter des traditionellen Verwandtenaltruismus ansonsten bisher ja eben NICHT.

    Das muß man sich erst einmal klar machen: Diese “nonrandom association of genes” haben fast alle, die sich mit verschiedenen Versionen von Gegenseitigkeits-Altruismus (nach Trivers) und dem dabei notwenigen Schutz gegen Trittbrett-Fahrer beschäftigen, seit 20 Jahren so gut wie gar nicht in den Blick genommen. Und mir scheint, der tiefere Grund für die Auseinandersetzungen um das Thema Gruppenselektion dreht sich darum, daß man nämlich dann auch konsequent sein müßte, und diese “nonrandom associations of genes” in den Vordergrund der Altruismus-Erklärung stellen MÜSSTE. Was aber bislang – wie gesagt – auch von Vertretern des Verwandten-Altruismus – mit der Ausnahme von Frank Salter – selten besonders konsequent getan worden ist.

    Und exakt gegen dieses Tabu (?) wohl insbesondere richtet sich das Reden von “Gruppenselektion” und oftmals die Eiertänze, die darum herum aufgeführt werden.

    Man möchte ja sogar meinen, daß dann sogar die Version KULTURELLE Gruppenselektion noch eher ein Kompromißvorschlag zwischen Vertretern sehr extremer Ansichten wäre, als es diese sehr KRUDE Definition von ALLER Gruppenselektion als Verwandtenselektion zu sein scheint, an die sich bisher, wie gesagt, bei der Erklärung von menschlichem Altruismus jedenfalls nur wenige gehalten haben, weil sie eben wohl als zu einseitig empfunden worden war.

    Dabei erscheint es doch durchaus plausibel, daß auch GELERNTES Verhalten, also Kultur, auf Altruismus Einfluß nimmt und nicht NUR genetisch gesteuertes Verhalten. Und zwar um so intelligenter die Lebewesen, um so mehr und um so variabler. Und wie die Biofilme zeigen, kann auch einfach schon räumliche Nähe und Ferne der Gruppenbildung dienen. Und wie die sozialen Insekten zeigen, muß auch hier Gruppenzugehörigkeit nicht in jedem Fall von “nonrandom association of genes” bestimmt sein.

    Aber schön ist auch das Ende des Artikels: Es handelt sich hier insgesamt um Wissenschaft über das “Artwohl”, nämlich über das Wohl unserer eigenen Art. Also Wissenschaft aus gen-egoistischen Interessen heraus. – – – Wow!

  77. #78 Emanuel Heitlinger
    März 22, 2009

    Ja Ingo,
    Ulrichs Tip ist ein sehr guter Ausgangspunkt zur weiteren Recherche! Und ich werde mich auch über das Thema weiter informieren! In einem halben bis dreiviertel Jahr werde ich dann auch mit der Popgen Serie soweit sein das Thema wieder aufzunehmen.

    Solange bitte ich dich dich noch zu gedulden! Wie du sicher bemerkt hast will ich in einer Diskussion klare Standpunkte beziehen, da sollte ich dann einfach etwas besser Bescheid wissen! Ich will dann ja nicht nur deine Standpunkte kritisieren, sondern auch Alternativen haben!

  78. #79 Ingo
    März 22, 2009

    Ja, klar. Volles Verständis. Wer so in Daten badet, wie Du, dem gegenüber bringe ich alles Verständnis entgegen und Hochachtung. Lese die praktischen Seiten auch mit GROSSEM Interesse, obwohl ich dazu so gut wie gar nichts sagen kann (derzeit).

    Aber ich finde, selbst wenn viele Leser GLAUBEN sollten, Deine Beiträge richteten sich nur an ein “Fachpublikum”, daß sich Dein Blog ganz entscheidend abhebt von vielem, was sonst so für wichtig gehalten wird in der Scienceblog-Szene.

    Ich finde es überhaupt erstaunlich, wie wenig Wissenschaftler noch Scienceblogs dazu nutzen, einfach ihre Wissenschaft selbst zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen und stattdessen eigentlich nur die “was vom Tage übrig blieb”-Seite der Wissenschaft auf Wissenschaftsblogs reflektieren.

    Aber naja, ich glaube, da wird sich wohl auch noch manches ändern künftig. Tobias bringt ja auch Nature-Hinweise dazu, daß die Bedeutung von Blogs noch steigen wird auch für die eigentlichen INHALTLICHEN und Sach-Diskussionen in der Wissenschaft.