Für den millionenschweren Juwelenraub im KaDeWe in Berlin letzten Januar wurden vor wenigen Tagen Zwillinge festgenommen. Das beste Beweisstück war ein liegengelassener Handschuh, von dem DNA-Spuren sichergestellt werden konnten, die letztlich den Zwillingen zugeordnet wurden. Auch auf Aufnahmen einer Überwachungskamera ist einer der Täter zu sehen. Doch jetzt mussten die Tatverdächtigen wieder freigelassen werden: Welcher der beiden Zwillinge auf der Aufnahme zu sehen ist, können die Ermittler nicht unterscheiden. Und auch die genetische Unterscheidung ist mit den forensischen Standardmethoden nicht möglich, die DNA Spur könnte von beiden stammen. Da nach deutschem Recht aber Beweise eindeutig einer Person zugeordnet werden müssen, sind diese Beweis nichts mehr wert, und die Verdächtigen sind auf freiem Fuß.
Abgesehen von zahlreichen weiteren kriminalistischen Ansetzpunkten könnte die sichergestellte DNA aber immer noch die eindeutige Identifikation eines der beiden Zwillinge ermöglichen – wenn man sie mit anderen als den Standardmethoden untersucht.
Was wird eigentlich von den Forensikern untersucht, wenn eine DNA-Spur sichergestellt wird? Zur Feststellung des genetischen Fingerabdrucks werden keine Gene untersucht, sondern mehrere kurze, nichtkodierende DNA-Abschnitte auf den Chromosomen, die in unterschiedlich vielen Wiederholungen vorliegen können: die sogenannten Minisatelliten und short tandem repeats (STRs). Hier wird dann auch nicht die Sequenz untersucht, sondern die Länge dieser Bereiche, die von der Anzahl der Wiederholungen abhängig ist. Individuen unterscheiden sich in der Länge dieser Bereiche voneinander und können dadurch einer bestimmten DNA-Spur zugeordnet werden. Durch Abgleich mehrerer dieser Wiederholungen wird die Wahrscheinlichkeit einer fälschlichen Identifizierung eines Unschuldigen verringert (statistisch gesehen sollte mit der heute untersuchten Anzahl von Markern auf der Welt nur ein Mensch mit genau diesem Längenmuster leben).
Da gibt es nur ein Problem, das nun zur Freilassung der verdächtigen Zwillinge führte: STR-Bandenmuster werden vererbt; dieser Umstand wird beispielsweise in Vaterschaftstests genutzt. Kinder werden einen Teil ihres Bandenmusters mit der Mutter, andere Fragmentlängen aber mit ihrem Vater gemeinsam haben. Eineiige Zwillinge weisen in der Regel ein identisches STR-Bandenmuster auf. Und genau das ist das Problem der Ermittler: Durch den Vergleich der STR-Muster können sie die DNA-Spur nicht eindeutig einem der beiden Brüder zuordnen, die Spur ist wertlos.
Ich könnte mir jedoch Möglichkeiten vorstellen, wie auch eineiige Zwillinge auf DNA-Ebene voneinander unterschieden werden können. Im KaDeWe-Fall wird offenbar gerade eine epigenetische Analyse diskutiert. Damit werden Veränderungen an der DNA und assoziierten Proteinen (wie Histonen) zusammengefasst, die zwar nicht in einer Änderung der DNA-Sequenz resultieren, aber dennoch zu Änderungen in der Genexpression führen. Dieser Prozess setzt erst nach mehreren Teilungen eines befruchteten Eis ein, und dauert das gesamte Leben über an.
Eineiige Zwillinge entstehen aus einer Zygote, wenn diese sich früh in der Entwicklung in zwei Embryonalanlagen aufteilt. Alle späteren epigenetischen Änderungen in den Körperzellen werden darum auch zwischen eineiigen Zwillingen nicht gleich sein. 2005 konnte eine spanische Forschergruppe genau dies zeigen: Mario Fraga und Kollegen zeigten, dass mit zunehmendem Alter von eineiigen Zwillingen auch die epigenetischen Unterschiede zunahmen. Das Problem für die Ermittler dürfte hier aber sein, dass ohne standardisierte Untersuchungsverfahren möglicherweise epigenetische Beweise nicht vor einem Gericht standhaben.
Die in diesem Fall sichergestellte Probe wurde in einem Handschuh gefunden, die DNA stammt also wohl von Hautzellen. Es gibt eine Möglichkeit, auch eineiige Zwillinge durch Sequenzunterschiede zu identifizieren. Dies setzt jedoch die Isolation der DNA aus Blutzellen voraus und ist in diesem Fall nicht möglich. Ich will trotzdem kurz etwas über diese Möglichkeit schreiben, weil sie so spannend ist.
Einen wichtigen Bestandteil unseres Immunsystems stellen die B-Lymphozyten. Das sind diejenigen weißen Blutkörperchen, die die Erreger in unserem Körper durch die Produktion von Antikörpern bekämpfen. Um spezifische Antikörper gegen die riesige Anzahl an möglichen Erregern (plus weiteren für die Zukunft) bereitstellen zu können, müssten wir in unseren Körperzellen Millionen von Antikörpergenen haben, von denen dann in den B-Zellen jeweils eines aktiviert wird. Dies kann aber nicht stimmen, der Mensch besitzt nach den aktuellsten Schätzungen nur ungefähr 23000 Gene. Es wurde darum unter Immunologen sehr heftig diskutiert, wie die B-Zellen dieses riesige Repertoire an Antikörpern erreichen können. Den Durchbruch im Verständnis schaffte Susumu Tonegawa, als er in den 1970er und 1980er Jahren in mehreren Arbeiten zeigen konnte, dass sich DNA-Abschnitte in den B-Zellen junger und erwachsener Mäuse voneinander unterschieden: Ganze Bereiche waren an andere Stellen bewegt oder sogar entfernt worden – das Resultat von Rekombinationsvorgängen. Dafür erhielt Tonegawa 1987 den Medizinnobelpreis.
Heute ist der genaue Mechanismus als V(D)J-Rekombination beschrieben. Antikörper bestehen aus mehreren Aminosäureketten, und jede dieser Ketten wird auf diese Weise in jeder B-Zelle neu erzeugt. Dafür gibt es einen bestimmten Bereich in der DNA, wo sich mehrere Elemente mit der Bezeichnung V (variable), D (diversifying) und J (joining) befinden. Während der V(D)J-Rekombination in der B-Zell-Entwicklung werden nun nach und nach immer mehr dieser Elemente aus der DNA entfernt, bis zum Ende jeweils eins der V, D und J-Elemente miteinander verbunden sind. Da dieser Prozess zufällig abläuft, ergibt sich aus der großen Zahl von Kombinationsmöglichkeiten heraus die enorme Kapazität der Antikörper, praktisch jeden Erreger erkennen zu können – ohne dass dazu unzählige Gene benötigt würden!
Wichtig für das Thema hier ist der Umstand, dass diese V(D)J-Rekombination in jeder B-Zelle während ihrer Entwicklung, also im Laufe eines Menschenlebens, unabhängig abläuft. So wird bei eineiigen Zwillingen zwar der V(D)J-Genlokus in den meisten Körperzellen gleich aufgebaut sein, er wird sich aber in den aktuell vorhandenen B-Zellen unterscheiden. Bei Vorliegen von Blut an einem Tatort wäre es für Ermittler also möglich, die Spur zweifelsfrei einem Zwilling zuzuordnen.
Literatur:
Fraga, M. (2005). From The Cover: Epigenetic differences arise during the lifetime of monozygotic twins Proceedings of the National Academy of Sciences, 102 (30), 10604-10609 DOI: 10.1073/pnas.0500398102
Tonegawa, S. (1983). Somatic generation of antibody diversity Nature, 302 (5909), 575-581 DOI: 10.1038/302575a0
Bildquellen:
Minisatelliten-Bandenmuster (von PaleWhaleGail auf Wikipedia)
Rolle der Epigenetik (B.Kleine auf Wikipedia)
V(D)J-Rekombination (gustavocarra auf Wikipedia)
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