Letzte Woche war ich auf dem Meeting “Chromosome Dynamics and Genome Stability” in Villars-sur-Ollon in der Schweiz. Eigentlich war das sogar ein Schweiz-Japan Meeting, auf dem ich gar nichts zu suchen gehabt hätte, aber eine Einladung schlägt man nicht aus. Dank Wucherpreisen des Hotels und swisscom hatte ich die drei Tage über keinen Internetzugang, ein Liveblogging der Vorträge war deshalb leider nicht möglich (das hatte ich eigentlich vor, hab aber klugerweise keine Ankündigung gemacht). Das war aber vielleicht sogar gut so, denn die meisten Vorträge waren aufgrund des relativ eng gefassten Themas des Meetings zu speziell, um darüber einfach so ein paar Sätze zu schreiben [1]. Ich habe mir deshalb einen Vortrag herausgepickt, den ich für allgemein und spannend genug halte, und dessen Ergebnisse weitgehend bereits publiziert sind. Ich will ja schließlich nicht die Kollegen verärgern.
Michael N. Hall vom Biozentrum der Uni Basel erzählte uns etwas von einem Protein namens TOR, das ursprünglich in der Bäckerhefe als Zielmolekül der Antibiotikums Rapamycin identifiziert wurde; daher auch der Name Target Of Rapamycin. Heute wissen wir, dass dieses Protein in allen Organismen mit Zellkern, den Eukaryoten, vorhanden ist und in den Zellen wichtige Entscheidungen über Wachstum und Metabolismus reguliert: Aufgrund von Wachstumssignalen wie Nährstoffen von außerhalb der Zelle hemmt TOR Programme, die den Zellzyklus anhalten und fördert dafür Programme, die ein Wachstum der Zelle fördern.
Eine solch zentrale Rolle im Wachstum der Zelle schlägt sich auch in den zahlreichen Krankheiten nieder die entstehen, wenn Elemente des TOR-Signalwegs ausfallen. Neben zahlreichen Entzündungserkrankungen und Krebs kann ein Ausfall auch zu Fettsucht und Diabetes führen. TOR begleitet den Organismus über sein gesamtes Leben: Während der frühen Entwicklung im Embryo ist die genaue Kontrolle des Zellwachstum entscheidend für das spätere Funktionieren des Körpers, und die Alterung eines Organismus ist zellulär auf das Einstellen der Zellteilung zurückzuführen (manchen dämmert langsam, worauf ich mit dem Titel hinaus wollte…).
Während die Funktionen des TOR-Signalweges innerhalb der Zelle relativ gut beschrieben sind, beschäftigt sich Michael Hall mit dem Effekt dieser Signale in der Zelle auf die Koordination des Wachstums von Organen und ganzen Organismen. Vor ein paar Jahren wurde nämlich die spannende Entdeckung gemacht, dass die Taufliege Drosophila melanogaster einen generell kleineren Körper hat, wenn die Aktivität von TOR in ihrem Fettgewebe herabgesetzt wird. Diese spannende Beobachtung war für Michael Hall der Anlass, einen ähnlichen Versuch in Mäusen zu machen.
Dort führt ein Komplettausfall von TOR zu so großen Defekten, dass die Mäuse bereits früh in der Embryonalentwicklung sterben. Darum musste eine gezieltere Lösung her: Hall und seine Kollegen schalteten den TOR-Signalweg nur im Fettgewebe der Maus aus, so wie es bereits in Drosophila gemacht wurde – und bekamen tolle Ergebnisse!
Im Vergleich mit unveränderten Wildtyp-Mäusen waren die TOR Knockouts (nur im Fettgewebe, aber ich spare mir jetzt den Zusatz) leichter; bekamen sie eine sehr fettreiche Nahrung als Futter (high-fat diet, HFD), dann wurden sie sogar nicht fettleibig, ihre Wildtyp-Geschwister schon. Diese fettreiche Nahrung wird unter anderem eingesetzt, um Entstehung und Entwicklung von Diabetes erforschen zu können. Und genau wie erwartet erkrankten die Wildtyp-Mäuse irgendwann an Diabetes, wenn sie nur das fettreiche Futter bekamen. Die TOR-knockout Mäuse dagegen nicht! Und das ging einher mit den für Diabetes typischen Markern wie eine erhöhte Konzentration von Glucose, Insulin und Cholesterin im Blut. Bei all diesen Werten waren die TOR Knockouts auf HFD vergleichbar mit den Wildtyp-Mäusen, die normal ernährt wurden. Und das alles, obwohl die Knockout-Mäuse weniger aktiv sind.
Die Frage ist nun: Warum? Mehrere Faktoren konnte die Gruppe bereits ausschließen. TOR Knockouts fressen nicht weniger, es gibt auch keine Unterschiede in der Zusammensetzung der Fette. Trotz der geringeren Bewegung scheinen diese Mäuse aber mehr Energie in Form von Wärme zu erzeugen. Letztlich konnte nun festgestellt werden, dass dies hauptsächlich auf eine gesteigerte Aktivität des Gens UCP1 zurückzuführen ist.
Dieses greift in den Ionenhaushalt der Mitochondrien, den “Kraftwerken der Zelle”, ein. Genauer, es entkoppelt die dort vorhandenen Konzentrationsunterschiede von Ionen von der Synthesemaschinerie für ATP, der Energiewährung der Zelle. Da die vorhandene Energie nun nicht mehr verwendet werden kann, um Arbeit zu verrichten, wird sie als Wärme freigesetzt.
Ganz zum Ende seines Vortrages ging Michael Hall noch kurz auf einen weiteren Aspekt von TOR ein, der den Titel dieses Posts inspiriert hat. Von verschiedenen Organismen wie Drosophila und dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans wissen wir, dass ein Ausschalten von TOR zu einer verlängerten Lebensspanne führt. In diesem Sinn erinnert die Wirkung von TOR an ein länger bekanntes Phänomen aus der Alterungsforschung: Tiere, deren Kalorienzufuhr reduziert wird (calorie restriction genannt), leben länger als normal ernährte. Da wie gezeigt TOR in den Energiehaushalt nicht nur der Zelle, sondern des gesamten Organismus eingreift, ist ein ähnliches Ergebnis nicht sehr überraschend.
Spannend wird TOR hier aufgrund seiner Entdeckungsgeschichte: Wie oben geschrieben ist es das Zielmolekül von Rapamycin [2]. Dieses ist jedoch ein Stoff, der schon seit Jahren als Immununterdrücker bei Organtransplantaten eingesetzt wird, er ist also für Menschen relativ sicher, und seine Wirkungen und Nebenwirkungen sind bekannt. Warum also nicht einfach Rapamycin in kleinen Mengen zu sich nehmen und länger leben, anstatt lebenslang dafür hungern zu müssen?
Solche Überlegungen sind laut Michael Hall aber verfrüht. Rapamycin hat keinen guten Effekt auf Mäuse; sie werden diabetisch und haben stark erhöhte Fettspiegel, also genau dem Gegenteil vom Ausschalten von TOR im Fettgewebe. Dies ist nicht wirklich überraschend, weil TOR in anderen Geweben als den Fettzellen durchaus andere Effekte haben kann: Die Insulin-produzierenden Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse teilen sich seltener, Muskeln bauen ab.
Diese Ergebnisse sollten im Umkehrschluss aber auch bedeuten, dass die tollen Ergebnisse der calorie restriction nicht unbedingt auf Säugetiere im Allgemeinen und den Menschen im Speziellen übertragbar sind. Vielleicht sollte man also mit dem Kauf von Resveratrol-Nahrungsergängzungsmitteln noch warten, und auch die Rotweinflaschen können endlich wieder in Maßen genossen werden. Der Traum vom längeren Leben aus der Pille muss jedenfalls noch ein wenig warten.
[1] Was nicht heißen soll dass die Vorträge langweilig waren, ganz im Gegenteil. Wenn man aber ungefähr wissen muss, was geschätzte 50 Proteine alles wo und wann machen, bevor man erzählen kann was jetzt an Nummer 51 so toll ist, dann ist das nichts für einen kurzen Post.
[2] Rapamycin wurde ursprünglich im Bakterium Streptomyces hygroscopicus entdeckt, in einer Bodenprobe von der Osterinsel, die auch bekannt ist als – Rapa nui!
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