Heute bewege ich mich weit außerhalb meines Fachbereichs, aber das Paper über das ich ein wenig erzählen will ist einfach zu gut! Man verzeihe mir daher, wenn ich zwischendurch irgendeinen Mist verzapfe, der für einen Soziologen oder Politologen offensichtlich ist.
Die Forschergruppe um Heather L. LaMarre von der Ohio State University haben im International Journal of Press/Politics einen (frei zugänglichen!) Artikel veröffentlicht, von dem ich gleich den Titel geklaut habe: “The Irony of Satire: Political Ideology and the Motivation to See What You Want to See in The Colbert Report“.
Wenn es nach mir ginge, hätte dieser Artikel einen Ig-Nobelpreis verdient. Diese Preise werden bekanntlich vergeben für Forschung, die einen erst zum Lachen bringt, und dann zum Nachdenken. Und ich gestehe gleich vorweg – Titel und Abstract des Papers haben bei mir zunächst nur den Lachnerv gekitzelt, das Nachdenken kam erst mit Lesen des Artikels.
Die Forscher haben sich mit Eindruck von Zuschauern einer amerikanischen Comedysendung beschäftigt, dem Colbert Report. Diese Sendung ist aufgemacht wie ein politisches Talk- und Nachrichtenformat, vielleicht am ehesten noch vergleichbar mit Harald Schmidts Late-Night-Shows. Der Unterschied zu Harald Schmidt ist aber, dass der Moderator Stephen Colbert die gesamte Sendung hindurch die Rolle eines Menschen mit einer erzkonservativen Einstellung annimmt, und sich auch dementsprechend seinen geladenen Gästen gegenüber verhält. Die in dieser Show verwendete Art des Humors wird als deadpan bezeichnet, eine Art von trockenem Humor frei von Mimik und Gestik, die auf eine humoristische Aussage hindeuten könnten [1].
Hat das totale Fehlen von Signalen, dass es sich um die satirische Darstellung eines konservativen Menschen statt der tatsächlichen politischen Einstellung des Moderators handelt, einen Einfluss auf die Eindrücke unterschiedlicher Zuschauergruppen? LaMarre et al. wollten es herausfinden.
Dazu wurden Studenten der Ohio State University online befragt, vor und nachdem sie diesen kurzen Ausschnitt aus einer Folge des Colbert Report angesehen hatten.
The Colbert Report | Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c | |||
Amy Goodman | ||||
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Zunächst mal die wichtige Grundlage: Egal, ob die Befragten sich selbst als liberal oder konservativ einstuften, fanden beide Gruppen den Colbert Report lustig. Das war zu erwarten, die Sendung ist schließlich sehr beliebt. Es musste jedoch geklärt werden, dass die folgenden politischen Fragen auf einer vergleichbaren Basis ruhten.
Und diese politischen Fragen sind auf den ersten Blick ein echter Brüller: In dem Video oben drückt sich Colbert sehr abwertend über liberale Gruppen aus, er vergleicht sie unter anderem mit Kommunisten (der bekanntlich schlimmste politische Vorwurf in den USA). Die Frage, ob Colbert wirklich meint, was er über liberale Gruppen sagt, bejahten konservativ eingestellte Befragte! Diese Leute fanden also das Video zwar witzig, waren aber der Meinung, dass Colbert den Humor nur vorschiebt um über liberale Einstellungen herzuziehen.
Dieses Ergebnis zog sich dann auch entsprechend durch die weiteren Fragen. Konservativ eingestellte Befragte waren der Meinung, dass Stephen Colbert politisch konservativ eingestellt sei und der Republikanischen Partei angehöre. Außerdem mag er keine Liberalen.
Liberal eingestellte Befragte sahen das Ganze genau anders herum, sie sahen Colbert weder als Konservativen, Republikaner, noch als Liberalenhasser. Und eigentlich hatten sie eh den Eindruck, dass Colbert einfach nur Spaß macht, wenn er über Liberale lästert.
Wenn nun die Lachtränen aus den Augenwinkeln gewischt sind, widmen wir uns noch ein wenig dem Nachdenken. Der Grund für diese so grundlegend unterschiedliche Interpretation der Aussagen und Handlungen von Stephen Colbert sind sicher in seinem deadpan-Stil begründet. Dieser ist so gut wie frei von Signalen, die eine Hilfestellung zur Deutung von Informationen geben könnten [2]. Dazu kommt aber noch etwas, das als biased information processing bezeichnet wird: Kann eine Information auf mehrere Arten verstanden werden, dann neigen Menschen unbewusst dazu, sie genau so zu verstehen, dass sie zu ihren Gunsten ausfällt.
Dies geht laut den Autoren sogar weit über ein falsch verstehen einer direkten Information hinaus. Ganz unabhängig davon, ob etwa eine Sendung vom Zuschauer als realistisch empfunden wird, oder ob er eine Seite in einer Diskussion unfair behandelt sieht (wie es in dem Video oben geschieht) – in unbewussten Prozessen wird die Information genau so interpretiert, abgespeichert und dann abgerufen, dass man selbst und die Gruppen, denen man angehört, möglichst positiv darstellt werden.
Dies kann man jetzt noch ein wenig weiter denken: Unser Erinnerungsvermögen ist alles andere als perfekt. Wird nun eine so verzerrt prozessierte Information später abgerufen, dann hat diese Person vielleicht schon vergessen, dass sie aus dem Mund des Komikers Stephen Colbert kam, oder dass sie im Rahmen einer Comedysendung aufgenommen wurde. Dies würde dann diese verzerrte Erinnerung nur noch verstärken, weil noch weniger Signale gegen sie sprechen.
Wie stark der Effekt des biased processing sein kann, zeigt sich an dem Einfluss, den Stephen Colberts Show auf die republikanischen Vorwahlen zur letzten Präsidentenwahl hatte. Der Kandidat Mick Huckabee war mehrmals Gast bei Colbert und wurde wie üblich jedes Mal vor den Zuschauern lächerlich gemacht. Huckabee selbst ließ das alles aber gern über sich ergehen, schließlich hatte er nach jeder Sendung Zuwächse bei seinen Unterstützern!
Zum Abschluss möchte ich zumindest noch ein klein wenig auf mögliche Probleme in dieser Studie hinweisen. Die Anzahl der befragten Studienteilnehmer war mit knapp über 300 Personen vielleicht zu klein für wirklich sichere Aussagen. Denn schaut man sich die Zusammensetzung dieser Gruppe an, dann handelt es sich fast ausschließlich um Weiße ohne eine Zugehörigkeit zu einer politischen Partei. Wenn beispielsweise nur noch die Angaben von ca. 40 Personen aus dieser befragten Gruppe aufgrund der Zuordnung “Republikaner” ausgewertet werden, um bestimmte Fragen zu klären, dann stehen die statistischen Auswertungen auf nicht sehr soliden Füßen. Universitätsstudenten geben sicherlich auch nicht gut wider, wie es über alle Alters- und Gesellschaftsschichten hinweg aussieht. Ich wünsche mir also ein Wiederholung der Studie, diesmal aber vielleicht mit Teenagern und politischen Aussagen in den Simpsons! 😉
[1] Wieso kommt eigentlich das Erklären von Humor so staubtrocken rüber? Gibt es da auch ein nach einem Menschen benanntes Gesetz? 😉
[2] Sein Kollege Jon Stewart von der Daily Show gibt humoristische Signale, und bei seinem Publikum tritt das biased processing nicht auf, wie in einer andere Studie untersucht wurde.
Bildquelle: David Shankbone vie Wikimedia Commons
LaMarre, H., Landreville, K., & Beam, M. (2009). The Irony of Satire: Political Ideology and the Motivation to See What You Want to See in The Colbert Report The International Journal of Press/Politics, 14 (2), 212-231 DOI: 10.1177/1940161208330904
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