Das wird also mein Beitrag zum Parasiten-Tag, ins Leben gerufen von Bierologie. Mein Parasit ist aber weder Tier noch Pflanze, er ist noch nicht einmal ein Lebewesen. Vielmehr handelt es sich bei meinem Parasiten um ein Gen, das sich über einen interessanten Mechanismus in der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae ausbreiten kann.
Die Geschichte wird umso interessanter, weil dieses Gen seit seiner Entdeckung zu einem sehr nützliches Werkzeug in der Erforschung der DNA-Reparatur und -Rekombination wurde. In Zukunft könnten angepasste Varianten dieses Gens beziehungsweise seines Proteinprodukts in der gerichteten Veränderung von DNA-Sequenzen eingesetzt werden, beispielsweise in der Gentherapie von schweren Erkrankungen des Menschen.
Bevor ich über I-Sce I, den heutigen Parasiten im Genom erzähle, möchte ich noch kurz zwei wichtige Dinge klären.
Introns und Spleißen
In den Eukaryoten, also allen Lebewesen mit einem Zellkern (dazu gehören unter anderem Tiere, Pflanzen und Pilze), sind die für ein Protein kodierenden Bereiche eines Gens (die Exons) unterbrochen von nichtkodierenden Bereichen (den Introns), die vor der Herstellung des Proteins entfernt werden müssen. Dies geschieht beim sogenannten Spleißen; hier erkennt ein großer Proteinkomplex die Introns in der mRNA, entfernt sie und hängt die Exons aneinander. Die herausgetrennten Introns werden normalerweise abgebaut. Es war darum eine große Überraschung, als das Gen für I-Sce I ausgerechnet in einem Intron (eines anderen Gens) entdeckt wurde.
Mitochondrien
Eukaryoten haben in ihren Zellen besondere Kompartimente für die anfallenden Aufgaben. Die Energieerzeugung wird von den Mitochondrien erledigt. Wir wissen heute, dass die Mitochondrien (und die für die Photosynthese verantwortlichen Chloroplasten der Pflanzen) ursprünglich frei lebende Bakterien waren, die in eine primitive eukaryotische Zelle aufgenommen und “domestiziert” wurden. Sehr gute Beweise für diese Endosymbiontentheorie sind die mitochondriellen Proteine, die nämlich deutlich einen bakteriellen und nicht eukaryotischen Ursprung haben. Wo kommen diese bakteriellen Proteine her? Ganz einfach, Mitochondrien besitzen ein eigenes kleines Genom, das sie über Milliarden von Jahren erhalten haben. Oder anders ausgedrückt: In jeder unserer Zellen befinden sich mehrere Mitochondrien mit bakterieller DNA, ohne die wir Menschen (und alle anderen Eukaryoten) nicht überleben könnten!
Die zweite Überraschung: Bakterien besitzen normalerweise keine Introns in ihren Genen. I-Sce I sitzt jedoch im Intron eines mitochondrialen Gens mit bakteriellem Ursprung!
Um es zusammenzufassen: Bei dem molekularen Parasiten I-Sce I handelt es sich um ein funktionsfähiges Gen innerhalb eines Introns eines anderen Gens, das sich dazu noch in einem Mitochondrium befindet und eigentlich kein Intron haben sollte. Kommt ihr soweit noch mit? Gut, denn ich habe ja immer noch nicht erklärt, warum es sich bei I-Sce I um ein parasitäres Element handelt.
Huckepack im Genom
Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, in deren Mitochondrien I-Sce I vorkommt, hat keinen Nutzen von diesem Gen. Es gibt Stämme, die I-Sce I besitzen, und andere Stämme, denen das gesamte Intron mit I-Sce I fehlt. Die Hefe profitiert auch nicht vom Protein I-Sce I – was das macht, werde ich gleich erklären. Noch vor der Funktionsaufklärung war aber bereits bekannt, dass sich dieses Element in der Hefepopulation ausbreiten kann: Bringt man zwei Hefestämme zusammen, von denen einer das Intron mit I-Sce I besitzt und der andere nicht, dann wird man immer Nachkommen erhalten die in ihren Mitochondrien das I-Sce I Intron tragen, und zwar immer an der gleichen Stelle. I-Sce I nutzt dazu die Zellmaschinerie der Hefe aus: Für dessen Funktion muss nämlich unbedingt ein Protein hergestellt werden, das nur mit Hilfe von Transkription, Spleißen und Translation durch die Hefe gebildet wird.
Martialischer Mechanismus
Die Frage war dann: Auf welche Weise kopiert sich I-Sce I in ein mitochondriales Genom, noch dazu an einen festen Platz? Die Antwort war eher überraschend: Indem es die DNA beschädigt! Das I-Sce I Protein ist eine sogenannte Meganuklease. Mit Nukleasen bezeichnet man allgemein Proteine, die die DNA schneiden können. Recht bekannt sind hier die Restriktionsendonukleasen, oder weniger zungenbrecherisch Restriktionsenzyme, die ein sehr wichtiges Werkzeug der Molekularbiologie sind. Und genau wie die Restriktionsenzyme schneidet I-Sce I die DNA an einer bestimmten Sequenz. Der Vorsatz Mega- bezeichnet nur die Eigenschaft von I-Sce I, eine besonders große Erkennungssequenz zu besitzen. Während normale Restriktionsenzyme einen Abschnitt von 6-8 Basenpaaren erkennen, ist es bei I-Sce I eine Basenabfolge von 18 Nukleotiden! Eine zufällige DNA-Sequenz müsste fast 70 Milliarden Basen lang sein (418), dass die Erkennungssequenz von I-Sce I darin vorkommt, das entspricht dem 23-fachen des menschlichen Genoms! Es ist also extrem unwahrscheinlich, dass I-Sce I überhaupt irgendwo schneiden kann.
Abb. 1:Kristallstruktur von I-Sce I gebunden an DNA, erstellt aus dem Eintrag 1R7M der Protein Data Bank.
Natürlich gibt es genau eine Stelle, an der I-Sce I schneiden kann: Im mitochondrialen Genom der Bäckerhefe, und zwar in den Stämmen, denen das Intron mit dem I-Sce I-Gen fehlt. Durch den Schnitt entsteht ein Doppelstrangbruch der DNA, den die Zelle unbedingt reparieren muss, um überleben zu können. Die Zelle weiß aber nicht, ob und wieviel DNA zwischen den Bruchenden war. Und jetzt kommt der Trick: Die Reparatur erfolgt durch die homologe Rekombination, bei der DNA-Moleküle mit ähnlicher Sequenz (=homologe Sequenzen) die Sequenzinformation für das Verschließen des Doppelstrangbruches liefern. Wie praktisch, dass rein zufällig eine homologe Sequenz zur Verfügung steht, die an der Stelle, wo das erste Molekül gebrochen ist, das Intron samt I-Sce I trägt. Die Hefezelle kopiert somit freiwillig und unwissend dieses parasitäre Element in ihr Mitochondrium!
Abb. 2: I-Sce I erzeugt einen Doppelstrangbruch, der durch homologe Rekombination repariert wird. Dabei wird das I-Sce I-Gen in die Bruchstelle kopiert.
Anwendung in der Grundlagenforschung
Die Eigenschaften von I-Sce I machten es ideal, um die Mechanismen der Doppelstrangbruchreparatur im Detail zu untersuchen. Durch die sehr große Erkennungssequenz kann I-Sce I (rein statistisch) nicht in einem natürlichen Genom der meisten Organismen schneiden. Die Forscher haben dadurch die Möglichkeit, eine Schnittstelle für I-Sce I an einer gewünschten Stelle im Genom ihres Modellorganismus einzufügen, und dann I-Sce I drauf loszulassen. Das erzeugt einen Doppelstrangbruch an der bereits bekannten Stelle, und man kann mitverfolgen, wie die Reparatur über die Zeit verläuft. Oder man schaltet einzelne Gene der DSB-Reparatur aus und sieht nach, ob und wie die Reparatur dann noch verläuft.
In der Bäckerhefe wurden auch die Grundlagen der homologen Rekombination so erforscht: Zusätzlich zum oben beschriebenen Aufbau bringt man noch ein DNA-Molekül dazu, das zwei homologe Bereiche zu den Schnittenden hat, und dazwischen einen Marker, der bei der HR mitkopiert wird (so wie das I-Sce I-Element verbreitet wird). Und auch hier kann man dann die Rolle einzelner Gene in der HR untersuchen.
Mögliche Anwendung in der personalisierten Medizin
Das ist noch ein wenig Zukunftsmusik, zugegeben. Interessant ist die Idee aber trotzdem:
I-Sce I ist kein Einzelfall, es gibt eine ganze Famlie von Meganukleasen, die alle unterschiedliche Erkennungssequenzen für den Schnitt haben. Verschiedene Forschergruppen versuchen zu verstehen, wie die Proteinsequenz der Meganuklease die Erkennungssequenz beeinflusst – mit dem Ziel, Meganukleasen für jede beliebige Sequenz erzeugen zu können.
Das wäre dann eine große Hilfe für Ansätze der Gentherapie, also dem Heilen von Krankheiten mit genetischer Grundlage durch Einbringen eines funktionsfähigen Gens. Bisher erfolgt die Integration eines eingebrachten Gens in das Genom einer menschlichen Zelle noch zufällig; man kann nicht bestimmen, wo genau das Gen im Genom landen wird. Das hat mögliche Probleme zur Folge, eventuell sogar ein Entarten der veränderten Zelle und dem Entstehen von Krebs in dem therapierten Patienten. Mit Hilfe einer gerichteten Meganuklease könnte man nun gezielt das mutierte Gen schneiden und dadurch die Wahrscheinlichkeit für eine gezielte Integration des funktionsfähigen Gens an seinem natürlichen Ort erhöhen!
(Das ist übrigens eine Anwendung, die auch schon für die Zinkfingernukleasen angedacht ist. Momentan sind beide Techniken, also Zinkfingernukleasen und rekombinante Meganukleasen, vielversprechend in ihrem Potential. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich eine der beiden Methoden durchsetzt, oder ob sich bevorzugte Anwenungen für beide auftun.)
Im Grunde haben wir also diesen genetischen Parasiten gezähmt; ein Element, das sich ganz egoistisch im Genom der Bäckerhefe ausbreitet, dient heute als Arbeitstier der Grundlagenforschung. Und er hat ein großes Potential in der personalisierten Medizin der Zukunft. Wenn das mal jemand den Forschern erzählt hätte, denen vor Jahrzehnten ein merkwürdiges Verhalten von langweiligen Mitochondrien einer einzelligen Pilzart aufgefallen war.
Jacquier, A., & Dujon, B. (1985). An intron-encoded protein is active in a gene conversion process that spreads an intron into a mitochondrial gene Cell, 41 (2), 383-394 DOI: 10.1016/S0092-8674(85)80011-8
Grabher, C., & Wittbrodt, J. (2007). Meganuclease and transposon mediated transgenesis in medaka Genome Biology, 8 (Suppl 1) DOI: 10.1186/gb-2007-8-s1-s10
Cabaniols, J-P & Pâques, F (2008). Robust Cell Line Development Using Meganucleases. In: Davis, GD & Kayser, KJ: Chromosomal Mutagenesis. Methods in Molecular Biology 435:31-45. DOI: 10.1007/978-1-59745-232-8_3
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