Mit ein wenig Verspätung will ich nun auch noch ein paar Gedanken zum diesjährigen Medizin-Nobelpreis für Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak loswerden.
Zunächst gibt es eine einfache Antwort, warum das Thema Telomere und die drei Preisträger auf so vielen Listen zu finden waren: Es gibt einen inoffiziellen “Nobelpreis” für die Life Sciences (für die Biologie gibt es ja keinen echten), den Lasker Award. Den erhielten die Preisträger genau in der Konstellation und für das Thema Telomere 2006. Da ungefähr die Hälfte der Lasker-Preisträger wenige Jahre später auch den Nobelpreis erhielt, war es also gar nicht so schwierig, auf Blackburn, Greider und Szostak zu kommen.
Dann, die Struktur der Telomere. Zentral gibt es da natürlich die kurze DNA-Sequenz, die an den Chromosomenenden zigfach wiederholt vorkommt, sich bei jeder Zellteilung verkürzt und vom Enzym Telomerase wieder verlängert werden kann. Einfach nur so ein blankes Stück DNA am Chromosomenende ist das aber nicht! Betrachtet man erst mal nur die Telomer-DNA, dann findet man ganz am Ende etwas merkwürdiges: Einer der beiden Stränge der DNA wurde von einem Enzym im Zellkern zurückgeschnitten, so dass ein einzelsträngiger Bereich bleibt. Der liegt aber nicht einfach frei, das Chromosomenende legt sich in eine Schlaufe (der sog. T-Loop) und der Einzelstrang drängt sich zwischen die zwei Stränge im doppelsträngigen Bereich (der D-Loop). Natürlich werden dabei dann die Basenpaarungen im Doppelstrang aufgelöst, dass der eingedrungene Einzelstrang neue Basenpaarungen eingehen kann. Bildlich lässt sich das viel leichter verstehen, ich hab deshalb mal schnell die digitalen Pinsel geschwungen:
Das schützt die Chromosomen davor, vom Ende her durch DNA-abbauende Enzyme angegriffen zu werden. Aber es passiert noch etwas anderes mit der DNA an den Telomeren, ganz unten auf der Ebene einzelner Basenpaarungen. Normalerweise passen von den vier DNA-Basen A, C, G und T immer A und T bzw. C und G zueinander, weil die Struktur der Moleküle Wasserstoffbrücken zwischen diesen Basen erlaubt. Doch Telomere sind sehr reich an der Base Guanin, und das kann neben der herkömmlichen Watson-Crick-Basenpaarung mit C auch die alternative Hoogsteen-Basenpaarung (benannt nach Karst Hoogsteen) mit anderen Guaninen eingehen. Vier Gs können einen sogenannten G-Quadruplex bilden, der das Ausbilden von sehr stabilen Schleifen ermöglicht:
Quelle: Harold f/Wikipedia
Zoomen wir jetzt wieder ein wenig raus, dann sehen wir, dass die Telomere nicht einfach nackte DNA sind – es sind jede Menge Proteine daran gebunden, die ebenso wichtig sind. Fehlen sie, treten in der Zelle nämlich sehr schnell Problem mit den Telomere auf! Deshalb werden sie auch kollektiv als “Shelterin” bezeichnet – sie schützen die Telomere vor Angriffen, und stabilisieren ihre Struktur.
Zuletzt möchte ich noch auf einen weiteren spannenden Aspekt der Telomerbiologie eingehen. Nach Bekanntgabe des Nobelpreises wurde viel geschrieben über die wichtige Rolle der Telomere in der Replikation, genauer über das Problem mit den freien Enden von linearen Chromosomen, die dabei immer kürzer werden. Das ist natürlich sehr wichtig, und die Verkürzung der Telomere wenn die Telomerase nicht aktiv ist spielt auch eine bedeutende Rolle bei der Alterung von Zellen. Erbkrankheiten wie das Werner Syndrom führen zu einer beschleunigten Alterung der Patienten aufgrund von Problemen mit den Telomeren. Doch nicht nur das end-replication problem bringt Kreationisten in Erklärungsnot. Dass wir in unseren Zellkernen lineare Chromosomen haben, ist auch aus einem weiteren Grund eher blöd: Die Zelle könnte denken, dass es etwas zu reparieren gibt. Denn die schlimmste Art von Schaden, der an der DNA auftreten kann, ist ein Doppelstrangbruch. Die einfachste Möglichkeit, so etwas zu reparieren, ist einfach die Enden wieder miteinander zu verbinden. Dieser Mechanismus existiert, er ist aber nicht sehr sauber und es gibt fast immer Mutationen, z. B. durch den Verlust von DNA von den freien Enden her. Aufgrund von linearen Chromosomen hat die Zelle aber plötzlich das Problem, dass ständig mehrere Doppelstrangbrüche vorhanden sind! Wie soll sie denn unterscheiden, was ein echter DSB und was nur ein Chromosomenende ist? Würde sie fälschlicherweise die Chromosomenenden für DSBs halten und “reparieren”, dann würde man Ringchromosomen oder auch lange Ketten von Chromosomen erhalten. Alles nicht so toll für die Zelle, die sich ja irgendwann auch wieder teilen will [1]. Oder, auch blöd, ein richtiger DSB tritt auf, und ein freies DNA-Ende wird mit einem Telomer verknüpft. Es ist jedenfalls nicht so einfach, die Zelle davon abzuhalten die Telomere reparieren zu wollen. Das ist übrigens eine der Aufgaben des Shelterins, der Schutzproteine an den Telomeren.
Eine zweite Möglichkeit, DSBs zu reparieren ist die homologe Rekombination. Hier nimmt sich die Zelle normalerweise homologe (gleiche) Sequenzen von anderswo aus dem Genom, um die Sequenzinformationen zu kopieren. Das ist etwa dann praktisch, wenn man von Basenverlusten am Bruch ausgeht; so muss diese Sequenz nicht verloren sein. Üblicherweise stammt diese kopierte Sequenz von den ähnlichsten Stellen im Genom, den Schwesterchromatiden (exakte Kopien jedes Chromosoms, die zwischen Replikation und Zellteilung da sind) oder den homologen Chromosomen (wir haben jedes Chromosom doppelt, eins vom Vater, eins von der Mutter). Die Telomere haben aber an jedem Chromosom die gleiche Sequenz – man kann sich leicht vorstellen, wie das zu Problemen führen kann!
Auf diesem Weg kommt übrigens Jack Szostak ins Spiel. Ursprünglich hatte er seine wissenschaftliche Arbeit mit der Erforschung der homologen Rekombination in der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae begonnen. Er ist der Erstautor auf einem der meistzitierten Paper dieses Gebiets, in dem er und mehrere Kollegen einen Mechanismus vorschlagen, wie die homologe Rekombination von einem DSB aus ablaufen kann [2]. Dies war dann auch die Grundlage, die Szostak und Blackburn zu einer Zusammenarbeit brachten: Sie konnten zeigen, dass man in die Bäckerhefe lange lineare DNA-Moleküle einbringen kann, die nicht (wie sonst üblich) instabil sind und verloren gehen – wenn man an die Enden Telomersequenzen setzt! Das ermöglichte nicht nur die Einführung von sog. Yeast Artificial Chromosomes, die eine wichtige Rolle in der Biotechnologie spielen, es zeigte auch schon früh, dass die Telomersequenzen zwischen Organismen sehr ähnlich sein müssen: Die Telomerstücke, die Blackburn für Szostaks Hefeexperimente lieferte, stammte aus ihrem Modellorganismus, dem Wimperntierchen Tetrahymena.
Anstelle eines Abgesangs, in denen ich die Bedeutung der Telomere in den Life Sciences hervorhebe (die zweifelsohne sehr groß ist, aber in den letzten Tagen eh schon oft genug zur Sprache kam), empfehle ich lieber einen tollen Vortrag von Elizabeth Blackburn auf iBioSeminars.com – 2 Stunden zur Rolle von Telomeren und der Telomerase, von der Frau die sie entdeckt hat!
[1] In ganz seltenen Fällen kann das auch mal gutgehen. Schimpansen haben ein Chromosomenpaar mehr als Menschen. Die Schimpansen-Chromosomen 2a und 2b sehen aber jeweils einer Hälfte des menschlichen Chromosoms 2 extrem ähnlich. Schon früh wurde deshalb postuliert, dass unser Chromosom 2 aus einer Fusion der beiden Chromosomen 2a und 2b hervorgegangen ist. Und siehe da: Man findet an der möglichen Fusionsstelle – mitten in Chromosom 2 – Sequenzen, die nach Telomer aussehen!
[2] Dieses DSBR-Modell (für double strand break repair) ist zwar heute nachweislich überholt, es ist aber immer noch das zentrale Modell, an dem sich alle neueren messen müssen.
» von Alexander Knoll
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