Signalwege, die zur Apoptose führen.

 

Die Caspase-3 ist eine klassische dieser sogenannten Effektorcaspasen, und unter den Zielproteinen, die sie aktiviert, befindet sich das Protein CAD (Caspase-activated DNase). Das ist normalerweise inaktiv, weil ein zweites Protein, ICAD (Inhibitor von CAD), fest daran gebunden ist und es in seiner Funktion hemmt. Wird die Caspase-3 aktiv, so schneidet sie ICAD, das sich dadurch von CAD löst; die Caspase-3 hat also indirekt CAD aktiviert. CAD kommt nun seiner Funktion nach: es bindet an die DNA im Zellkern und zerschneidet sie. In viele kleine Stücke. Gleichzeitig wird natürlich die DNA-Reparatur unterdrückt, nicht zuletzt auch durch den Abbau der Proteine in der sterbenden Zelle.

Caspasen in Stammzellen?

Diese Geschichte von Schäden an der DNA, ihrer Reparatur oder dem Selbstmord der betroffenen Zelle habe ich aber nicht nur erzählt, weil sie für sich alleine schon spannend ist. Sie war als Hintergrund für sehr überraschende Forschungsergebnisse aus der letzten Woche notwendig. In der Arbeit von Brian D. Larsen und Kollegen ging es eigentlich um den Anfang im Leben einer Zelle, nicht ihrem Ende: Stammzellen sind ja in den letzten Jahren immer wieder in den Schlagzeilen, auch aufgrund der vielen Vorteile, die man sich aus medizinischen Anwendungen erhofft. Der Grund für diese Hoffnungen liegt darin, dass Stammzellen in ihrem Schicksal noch nicht festgelegt sind, sie können viele verschiedene Arten von Körperzellen bilden. Bräuchte man in Zukunft einmal beispielsweise Hautzellen, müsste man dafür nicht mehr Hautstücke anderswo am Körper entfernen, oder gar von anderen Körpern (mit der Gefahr von Abstoßungsreaktionen). Man könnte einfach Stammzellen dazu anregen, sich auf das Schicksal “Hautzelle” festzulegen und die im Labor gewachsene Haut dann transplantieren. Diese Einschränkung im Potential einer Zelle bezeichnet man als Differenzierung, und sie erfordert umfangreiche Anpassungen, welche Gene an- und welche abgeschaltet sind. Eine Hautzelle benötigt nunmal andere Proteine als etwa eine Nervenzelle.
Aus diesen Gründen wird verständlicherweise versucht herauszufinden, welche Signale und Vorgänge in der Zelle für die Differenzierung verantwortlich sind: hier muss man ansetzen, wenn man einer Stammzelle ein bestimmtes Schicksal vorgeben will.

Absichtlich die DNA beschädigen für die Weiterentwicklung

In einer Arbeit von vor wenigen Jahren wurde bereits gezeigt, dass die Caspase-3 eine zentrale Rolle in der Einleitung der Stammzelldifferenzierung spielt. Wird sie in Stammzellen ausgeschaltet, unterbleibt die Differenzierung. Das war für sich schon extrem überraschend – Caspasen sind wie gesagt normalerweise beschränkt auf die Apoptose, und gerade die Caspase-3 als Effektorcaspase steht ja am Ende der apoptotischen Signalwege, direkt vor der Aktivierung von Protein- und DNA-Abbau. Was so ein “Todesengel” so früh im Leben einer Zelle zu tun hat, war zunächst überhaupt nicht klar! Man dachte, dass die Caspase in Stammzellen, außerhalb der Apoptose, vielleicht durch spezifisches Schneiden wichtige regulatorische Proteine der Differenzierung aktiviert. Brian D. Larsen und seine Kollegen zeigten nun aber, dass die Caspase-3 zur Einleitung der Differenzierung auch genau das macht, was sie während der Apoptose macht: sie schneidet ICAD, was CAD aktiviert. Und ist die DNA-Schere CAD erst mal losgelassen, macht sie auch das, was sie am Besten kann, nämlich die DNA schneiden. Erstaunlicherweise sterben die so getrietzten Zellen nicht ab, sondern beginnen mit der Differenzierung.

Und wieso das Ganze?

Die Frage ist jetzt, wie das alles gehen soll. Und hier bleibt das Paper leider sehr oberflächlich. Die Doppelstrangbrüche, die CAD in der DNA verursacht, finden ziemlich sicher an zufälligen Stellen im Genom statt, das Protein hat keine Vorliebe für bestimmte Positionen entlang der DNA. Ein Verhalten wie bei der Ausbildung der großen Variabilität der Antikörper unseres Immunsystems, der V(D)J-Rekombination, scheint also nicht bei der Differenzierung vorhanden zu sein [2]. Die erzeugten Brüche werden auch relativ zügig (nach 24 bis 48 Stunden) wieder durch die regulären DNA-Reparaturwege geschlossen – extreme chromosomale Veränderungen zwischen Stammzellen und ihren ausdifferenzierten Tochterzellen durch fehlerhafte Reparatur wären ziemlich sicher bereits vor Jahren aufgefallen. Wozu das Ganze also, warum die Zelle gefährden durch absichtlich herbeigeführte DNA-Schäden?
Die Gruppe um die Chefin Lynn A. Megeney hat sich ein Kandidatengen, p21, herausgepickt das hier beteiligt sein könnte – ein educated guess sozusagen. Und mit p21 haben sie auch einen Treffer gelandet: Stammzellen durchlaufen den Zellzyklus, die Abfolge von Prozessen in der Zelle, die für eine Zellteilung nötig sind. Ist eine Zelle ausdifferenziert, teilt sie sich in der Regel auch nicht mehr, sie muss also den Zellzyklus anhalten. p21 ist ein solcher Inhibitor des Zellzyklus, und es wird während der Differenzierung von Stammzellen normalerweise auch aktiviert. Die Forscher konnten nun zeigen, dass diese Aktivierung ausbleibt, wenn CAD nicht funktioniert. Offenbar ist der Promotor von p21, der “Schalter” des Gens, über den dessen Aktivität reguliert wird, ein häufiges Schnittziel von CAD [3]. Die Reparatur dieses DSB in der Nähe von p21 führt dann erst zu dessen Aktivierung. Da die Forscher ganz gezielt den Promotor von p21 auf DSBs angesehen haben wissen wir leider nicht, ob noch weitere Promotoren von für die Differenzierung wichtigen Genen gezielt geschnitten und so aktiviert werden. Oder ob vielleicht sogar diese ganze recht komplexe Aktion samt vielen gefährlichen DSBs nur für diesen einen Schnitt im p21-Promotor durchgeführt wird. So unmöglich ist der Gedanke gar nicht, die Evolution ist nun mal kein Designer, sondern ein Bastler der das nimmt, was gerade zur Hand ist [4]. Zum Ende muss ich all dem allerdings auch einen kleines “aber” verpassen: die Arbeit wurde nur mit einer einzigen Zellkulturlinie durchgeführt. Es wäre also auch möglich, dass wir es hier mit einem obskuren Mechanismus zu tun haben, der nicht repräsentativ für andere Zelllinien oder den Stammzellen im Körper ist.

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Kommentare (2)

  1. #1 Tobias
    Februar 26, 2010

    Wenn der postulierte Mechanismus mit dem p21 Promotor existieren sollte wäre es dann nicht auch denkbar, dass dies gleichzeitig ein eine Art Check-Mechanismus für das Apoptose-System darstellt? Falls das System nicht funktioniert wird bei p21 nicht geschnitten, die Zelle differenziert sich gar nicht erst, und denkt somit vor ihrer eigentlichen “Geburt”, also der Differenzierung, schon an den eigenen Tod.

    Andererseits, du schreibst oben, die Schnitte Caspase-3 seien nicht spezifisch, wie soll dann bevorzugt an diesem Promotor geschnitten werden? Chromatinstruktur?

  2. #2 Alexander
    Februar 26, 2010

    @Tobias: Für so einen Check kommt mir die Reihenfolge verkehrt herum vor. Ein Teil der Apoptose-Maschinerie ist zu dem Zeitpunkt ja bereits aktiv, wird aber offenbar unterdrückt um eben keine reguläre Apoptose durchzuführen. Und das p21 war wohl echt nur ein Glücksgriff. Die haben mit einer modifizierten PCR und hochauflösenden Gelen Brüche spezifisch im p21-Promotor nachgewiesen, die im Myogenin-Promotor als Negativkontrolle nicht auftraten. Nix zu anderen Promotoren, da bin ich also noch sehr skeptisch.
    Aber eventuell könnte man das über CAD besser rausfinden (du meinst doch mit den Schnitten CAD, nicht die Caspase, oder?). Mit ChIP-seq von den Stellen, an die CAD beim Schneiden bindet könnte man eine genomweite Übersicht der Bindestellen kriegen. Jetzt echte apoptotische mit differenzierenden Stammzellen in dem Bindemuster vergleichen, voila.
    Und wie CAD ohne DNA-Sequenzspezifität trotzdem wiederholt an bestimmte Stellen wie den p21-Promotor bindet, da kann man aktuell wirklich nur spekulieren. Proteininteraktionen mit irgendwas, das CAD an die richtige Stelle holt. Es gibt Hinweise, dass CAD zwischen Histonlinkern schneidet, chromatin remodeling könnte also bestimmte Stellen bevorzugt freiräumen. Dann finden bei der DSB-Reparatur auch Veränderungen an den Nukleosomen statt, z.B. Phosphorylierung von H2AX um den DSB herum. So ein Marker könnte auch eingesetzt werden. Angeblich, das stammt aber aus apoptotischen Zellen, wird die DNA bevorzugt in der Nähe von Kontaktstellen des Chromatins mit den Kernmatrixproteinen geschnitten. Diese Kontaktstellen sind dynamisch, da spielen Dinge wie Transkription etc. eine Rolle. Viele Fragen immer noch, leider…