Ich habe nicht vor, hier Venter-Bashing zu betreiben. Genausowenig will ich rumphilosophieren, ob Craig Venter und sein Team Gott spielen. Beides kriegt man zur Genüge woanders, wenn einem danach ist. Ich werde auch nicht lange überlegen, ob hier künstliches Leben geschaffen wurde – meine Antwort dazu ist ein deutliches Nein.
Trotzdem stellt das, was Daniel Gibson und Kollegen vom J. Craig Venter Institute (JCVI) in ihrem neusten Paper in Science geschrieben haben, gleich mehrere bemerkenswerte methodische Fortschritte dar, die nicht nur dem Ziel Venters, künstliches Leben zu schaffen, weiterhelfen werden. Um genau diese neuen aufregenden Methoden soll es hier also gehen.
Es hilft vielleicht, wenn man weiß warum Venter überhaupt an künstlichem Leben arbeitet. Anders als beipielsweise dem Nobelpreisträger von 2009 Jack Szostak [1] geht es Craig Venter in erster Linie nicht um das Verständnis der Abiogenese, also dem Entstehen von Leben aus der Kombination von mehreren nicht lebendigen Komponenten. Er verfolgt eher einen Ingenieursansatz: Die heute in der Biotechnologie verwendeten Organismen sind leicht veränderte Varianten von in der Natur vorkommenden Organismen. Darum schleppen sie auch einen großen Hintergrund von Genen mit, die zwar für das freie (Über-)Leben in der Natur zwingend notwendig sind, in einem Fermenter beispielsweise zur Produktion von rekombinantem Insulin aber überflüssig, teilweise sogar störend. Die Idee ist einigermaßen simpel: Man suche nach den mindestens nötigen Genen, die ein Bakterium zum Überleben benötigt, jedoch nicht in der Natur, sondern im Labor. Dann kann man diesen Organismus als Grundlage nehmen, um ihn für verschiedenste biotechnologische Aufgaben anzupassen, wie etwa die oftzitierte Ölproduktion. Den Anfang in dieser Richtung machte Venters Team noch bevor er im Wettrennen um die Sequenzierung des menschlichen Genoms berühmt (berüchtigt?) wurde. Vor 15 Jahren veröffentlichte er ein Paper, auch in Science, in der er die Sequenzierung des Genoms von Mycoplasma genitalium beschreibt. Warum gerade diese Art? Weil M. genitalium das kleinste Genom aller freilebenden Organismen [2] besitzt. Damit ist es der sinnvolle Startpunkt, um von hier aus zu versuchen, wie viele weitere Gene man loswerden kann, wenn der Organismus nur noch im Labor überleben soll. Genau das war der zweite Schritt, über den Glass et al. 2006 berichteten – das Minimalgenom von M. genitalium kommt ohne mehr als hundert der 485 Gene aus.
Jetzt wissen wir also, warum am JCVI mit Mycoplasma-Arten gearbeitet wird. Es waren allerdings drei weitere methodische Probleme zu lösen, um Mycoplasmen für die Biotechnologie als Grundgerüst verfügbar zu machen. Diese wurden in den letzten drei Jahren nacheinander gelöst, das neueste Paper stellt im Grunde “nur” den Beweis dar, dass man die Methoden miteinander auch kombinieren kann.
1 Wie baue ich ein Genom?
Angenommen, ich möchte ein Genom von null zusammenbauen. Das bedeutet, ich muss eine Menge DNA in einer bestimmten Sequenz synthetisieren – etwa eine Million Basenpaare für das unabdingbare Minimalgenom, plus alle neuen Gene die ich für eine bestimmte neue Funktion auch dabei haben will. Die Synthese von kurzen DNA-Strängen nach einer vorgegebenen Sequenz ist heutzutage nichts neues, das ist ein Service der von zahlreichen Firmen weltweit angeboten wird. Die für den molekularbiologischen Laboralltag unverzichtbare Methode der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) käme ohne individuell synthetisierte kurze DNA-Stücke gar nicht aus: so werden Primer gebaut! Im Grunde ist das gute, alte organische Chemie. Man baut schrittweise, immer ein Nukleotid nach dem anderen, ein langsam wachsendes DNA-Molekül zusammen. Das Problem dabei ist, dass diese Methode schon bei relativ kurzen Stücken so unzuverlässig in der Sequenz wird, dass man sie einfach nicht für große DNA-Stücke verwenden kann. Es war vor zwei Jahren eine großartige Leistung des JCVI-Teams, verlässlich und wiederholbar wenige tausend Basenpaar lange DNA-Fragmente über diese Technologie zu synthetisieren. Doch damit stehen wir vor einem Problem: Wie sollen wir ein Minimalgenom von über einer Million Basenpaaren synthetisieren, wenn das Maximum, das wir aus den Maschinen kitzeln können, rund 6000 Basenpaare sind? In dem selben Paper von 2008 berichten Gibson et al. von einer cleveren Lösung, die auf homologer Rekombination beruht. Sie unterteilten das gesamte Genom in viele kleine Stücke von ungefähr 6000 bp Länge, die sie auf die bekannte Weise synthetisieren konnten. Die Stücke waren aber so gebaut, dass die Sequenzen an den Enden immer mit dem vorhergehenden bzw. nachfolgenden Stück übereinstimmten. Dann brachten sie schrittweise diese Stücke in Hefezellen ein, die dank ihrer effizienten homologen Rekombination diese Stücke über die zueinander passenden Sequenzen miteinander verknüpften. So wurde nach und nach in Hefe das Mycoplasma-Genom aus synthetisierten Stücken gebaut.
2 Wie kriege ich ein ganzes Genom in eine Zelle?
Wir haben nun also ein ganzes Genom, das wir aber gern in einer Zelle hätten, dass die Gene dort auch abgelesen werden, und die entsprechenden Proteine hergestellt werden. Wie gesagt, es geht Venter hier nicht um ein grundsätzliches Verständnis von Abiogenese. Es ist also auch kein grundsätzliches Problem seiner Arbeit, einfach eine Mycoplasma-Zelle zu nehmen, das Genom daraus zu entfernen, und das neue Genom einzubringen. Methodisch ist das jedoch recht schwer, weil das Einschleusen von DNA in eine Zelle mit zunehmender Größe der DNA immer schlechter funktioniert. Und während das für DNA-Stücke von mehreren tausend Basenpaaren eine molekularbiologische Standardmethode ist, war es 2007 für das gesamte M. genitalium Minimalgenom (über eine Million bp) eben eine große methodische Leistung. Die vom JCVI-Team Genom-Transplantation getaufte Methode nutzt dabei in der Regel verschiedene Arten von Mycoplasmen, die man voneinander unterscheiden kann. Lartigue et al. transplantierten 2007 beispielsweise das Genom von Mycoplasma mycoides in Zellen von Mycoplasma capricolum. Die Proteine von M. capricolum sorgen dabei zunächst für das Ablesen der Gene vom M. mycoides-Genom, und werden dadurch nach und nach von diesen Genprodukten ersetzt. Nach relativ kurzer Zeit ist eine solche Zelle nicht mehr von Zellen des Genomdonors zu unterscheiden.
3 Wie mache ich ein in Hefe gebautes Genom bakterientauglich?
Eigentlich könnte man meinen, dass man nun das Rüstzeug hat, um auch synthetisierte Genome in eine Empfängerzelle zu transplantieren. Wie sich herausgestellt hat, ist das leider nicht ganz so einfach. Eine weitere molekularbiologische Standardmethode ist das Schneiden von DNA-Molekülen an bestimmten, vom Forscher gewünschten Sequenzen, was durch Restriktionsenzyme bewerkstelligt wird. Ursprünglich stammen Restriktionsenzyme aus Bakterien, die sich mit ihnen gegen fremde DNA schützen: Dringt fremde DNA (beispielsweise von einem Virus) in eine Bakterienzelle, so wird sie von dem Restriktionsenzym an bestimmten, häufig vorkommenden Stellen geschnitten, so dass viele kleine DNA-Fragmente entstehen, die dann abgebaut werden können. Die Bakterienzelle muss aber ihre eigene DNA schützen, so dass das Restriktionsenzym nicht das eigene Genom kleinschnippelt. Dazu modifiziert sie ihre eigenen Schnittstellen durch das Anhängen von Methylgruppen an Nukleotide der Schnittsequenz. Die so veränderten Nukleotide können vom Restriktionsenzym nicht mehr erkannt werden, das eigene Genom ist geschützt.
Das ist dann allerdings blöd für das JCVI-Team, denn der Hefe fehlen die Methylasen, also die bakteriellen Proteine, um die Restriktionsschnittstellen im bakteriellen Genom zu methylieren. Das in der Hefe in monatelanger mühsehliger Arbeit zusammengebaute Mycoplasmagenom wird darum nur weniger Minuten nach der Genom-Transplantation von der Mycoplasmazelle fein säuberlich zerhäckselt. Dieses spezielle Problem wurde letztes Jahr von Lartigue et al. gelöst, indem das Donor-Genom kurz vor der Transplantation mit Methylasen behandelt wurde oder indem das Gen des betreffenden Restriktionsenzyms aus dem Genom der Empfängerzelle entfernt wurde. Die so geschützte DNA konnte dann problemlos in eine Mycoplasma capricolum-Empfängerzelle transplantiert werden.
Die Masse kräftig rühren…
All diese Probleme – ein sehr großes Stück DNA sequenzgenau zusammenbauen, schützen und übertragen – wurden alle separat von Wissenschaftlern des JCVI angegangen. Vor wenigen Tagen kam dann die Belohnung für die Mühen in einem weiteren Paper, das alle neuentwickelten Methoden miteinander kombiniert. Das ist eine großartige Leistung, und all die Aufwerksamkeit in den Medien auch wert.
Wie man allerdings die Frage beantwortet, ob dabei auch neues Leben geschaffen wurde, liegt vielleicht daran, wie man sie betont. Ist es ein Organismus, der vorher nie existierte? Ja, in dieser Hinsicht ist Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 wirklich neu. Die Genomsequenz dieses Mycoplasmastamms unterscheidet sich vom natürlichen M. mycoides unter anderem durch absichtlich eingebaute “Wasserzeichen” wie ein James Joyce-Zitat. Damit haben sie gleichzeitig auch vier Stellen im Genom gezeigt, an denen man problemlos neue Sequenzen einbauen kann, ohne dessen Funktion zu stören, was wichtig für eine biotechnologische Nutzung mit neuen Genen ist. Wenn man solche eher kleinen Änderungen an der Sequenz durch Einfügen oder Entfernen von Genen als Schaffung von neuem Leben bezeichnen will, dann geschieht das täglich zigfach weltweit, und es ist somit nichts besonderes mehr. Ich finde etwas anderes viel beeindruckender: Eine Idee, die vor über 15 Jahren ihren Anfang nahm, konnte nach harter, meistens sicher auch stinklangweiliger molekularbiologischer Arbeit endlich auf die Grundlage gestellt werden, um sie jetzt auszubauen. Das Faszinierende ist deshalb meiner Meinung nach nicht die Arbeit selbst, sondern die neuen Möglichkeiten, die aus ihr erwachsen. Das J. Craig Venter Institut ist in der Lage, Bakteriengenome mit Wunschsequenz zu bauen und in Empfängerzellen zu transplantieren. Jetzt darf man gespannt sein, ob sie ihr Versprechen halten, und die Biotechnologie damit umkrempeln.
[1] Szostak versucht nach seinen Arbeiten zu homologer Rekombination und zur Telomerbiologie (für die er den Nobelpreis erhielt) momentan, von Grund auf künstliches Leben zu schaffen. Dabei geht er parallel replizierende Vesikel (anstelle von Zellmembranen), RNAs mit enzymatischer Aktivität (als Speicher- und Enyzmkombination) und die Produktion und Selektion komplett neuer Proteine an.
[2] Es gibt Parasiten mit noch kleineren Genomen. Das kommt allerdings daher, dass die Gene losgeworden sind, die für ein eigenständiges freies Überleben notwendig sind. Für die Biotechnologie sind diese Arten deshalb uninteressant, man müsste schließlich immer auch den Wirt mitkultivieren.
Gibson, D., Glass, J., Lartigue, C., Noskov, V., Chuang, R., Algire, M., Benders, G., Montague, M., Ma, L., Moodie, M., Merryman, C., Vashee, S., Krishnakumar, R., Assad-Garcia, N., Andrews-Pfannkoch, C., Denisova, E., Young, L., Qi, Z., Segall-Shapiro, T., Calvey, C., Parmar, P., Hutchison, C., Smith, H., & Venter, J. (2010). Creation of a Bacterial Cell Controlled by a Chemically Synthesized Genome Science DOI: 10.1126/science.1190719
Fraser, C., Gocayne, J., White, O., Adams, M., Clayton, R., Fleischmann, R., Bult, C., Kerlavage, A., Sutton, G., Kelley, J., Fritchman, J., Weidman, J., Small, K., Sandusky, M., Fuhrmann, J., Nguyen, D., Utterback, T., Saudek, D., Phillips, C., Merrick, J., Tomb, J., Dougherty, B., Bott, K., Hu, P., & Lucier, T. (1995). The Minimal Gene Complement of Mycoplasma genitalium Science, 270 (5235), 397-404 DOI: 10.1126/science.270.5235.397
Glass, J., Assad-Garcia, N., Alperovich, N., Yooseph, S., Lewis, M. R., Maruf, M., Hutchison III, C. A., Smith, H. O., & Venter, J. C. (2006). Essential genes of a minimal bacterium Proceedings of the National Academy of Sciences, 103 (2), 425-430 DOI: 10.1073/pnas.0510013103
Gibson, D., Benders, G., Andrews-Pfannkoch, C., Denisova, E., Baden-Tillson, H., Zaveri, J., Stockwell, T., Brownley, A., Thomas, D., Algire, M., Merryman, C., Young, L., Noskov, V., Glass, J., Venter, J., Hutchison, C., & Smith, H. (2008). Complete Chemical Synthesis, Assembly, and Cloning of a Mycoplasma genitalium Genome Science, 319 (5867), 1215-1220 DOI: 10.1126/science.1151721
Lartigue, C., Glass, J., Alperovich, N., Pieper, R., Parmar, P., Hutchison, C., Smith, H., & Venter, J. (2007). Genome Transplantation in Bacteria: Changing One Species to Another Science, 317 (5838), 632-638 DOI: 10.1126/science.1144622
Lartigue, C., Vashee, S., Algire, M., Chuang, R., Benders, G., Ma, L., Noskov, V., Denisova, E., Gibson, D., Assad-Garcia, N., Alperovich, N., Thomas, D., Merryman, C., Hutchison, C., Smith, H., Venter, J., & Glass, J. (2009). Creating Bacterial Strains from Genomes That Have Been Cloned and Engineered in Yeast Science, 325 (5948), 1693-1696 DOI: 10.1126/science.1173759
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