Drüben im Fischblog hat Lars Fischer über ein aktuelles Paper der beiden Astrophysiker Paul Davies und Charles Lineweaver geschrieben. Die spekulieren in der Zeitschrift Physical Biology, dass Krebs eine Rückbesinnung unserer Zellen in eine Zeit ist, als sie sich noch ganz egoistisch als Einzeller behaupten mussten. Lest euch vielleicht erst mal den Artikel von Lars durch, bevor ihr hierher zurückkommt. Fertig? Gut, dann könnt ihr jetzt hier nachlesen, warum die Idee ziemlicher Quark ist.
Ich bin der Meinung, dass an den Argumenten nicht viel dran ist. Ich will aber aus einer ganz anderen Richtung argumentieren, als die bisherigen Kommentatoren unter Lars Post. Es geht dabei um eine Kurzsichtigkeit, unter der heutzutage leider viele Molekularbiologen leiden, die mit tierischen Modellorganismen arbeiten, wie ich selbst in meiner eigenen Arbeit oft erfahren musste.
Davies und Lineweaver behaupten, dass frühe einzellige Eukaryoten bestimmte egoistische Phänotypen z.b. bezüglich Zellteilung, Apoptose etc. besaßen, die heute in den Metazoen (mehrzellige Tiere) bei Krebs wieder zum Vorschein kommen. Schauen wir uns doch mal einen aktuellen Stammbaum der Eukaryoten an (danke an Psi Wavefunction von Skeptic Wonder für die Abbildung)! Die vier Linien rechts unten sind die “Metazoa”. Von den restlichen Eukaryoten haben aber noch mehr Gruppen aus dem gemeinsamen einzelligen Vorläufer heraus unabhängig voneinander Vielzelligkeit entwickelt. Beispiele finden sich etwa in den Fungi (Pilze, Mitte rechts) oder den Grünpflanzen (Grünalgen und alle Landpflanzen, Chlorophytes, Charophytes und Embryophytes, oben).
Interessanterweise gibt es Krebs (in der Bedeutung metastasierender Tumore) nur in den Metazoa, also den vielzelligen Tieren. In den anderen vielzelligen Eukaryoten ist Krebs unbekannt.
Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass die nötigen Voraussetzungen zur Ausbildung von Krebs erst in der Linie zu den Metazoa hin entstanden, als zwar schon alle anderen zur Vielzelligkeit führenden Linien abgespalten waren, aber die Organismen selbst noch einzellig und “egoistisch” waren. Das ist allerdings Quatsch. Wir sind uns heute ziemlich sicher, dass die basalen Eukaryoten zwar einzellig, aber in bestimmten Funktionen (die, die Aufgaben innerhalb der Zelle betreffen) recht komplex waren. Ich will dazu zwei Beispiele aus den Pflanzen bringen. Versucht doch mal, im Stammbaum der Eukaryoten von den “Angiosperms” (die Gruppe, zu der zahlreiche gut untersuchte Modellpflanzen gehören) zu den Metazoa zu kommen. Geht nur durch die Basis in der Mitte, weil sich die beiden Linien schon sehr früh in der Evolution der Eukaryoten voneinander trennten. Würdet ihr mir also zustimmen, dass Proteine und Funktionen, die in den beiden grundverschiedenen Gruppen vorhanden waren, auch in den ersten Eukaryoten vorhanden gewesen sein müssen? Gut, das ist nämlich die wahrscheinlichste Erklärung.
Beispiel 1: Hereditäres non-polypöses kolorektales Karzinom
Das ist eine ziemlich schlimme, erbliche Form von Darmkrebs. Ursache sind Mutationen in Genen, die eine Rolle im Weg der Mismatch-Reparatur spielen. Diese Mismatch-Reparatur (MMR) gibt es nicht nur in Eukaryoten, sondern auch in Bakterien. Eines der bakteriellen MMR-Proteine ist MutS. Eukaryoten haben Homologe von MutS, genannt MSH. Allerdings, und jetzt wird es wieder relevant für die Frage hier: Vielzellige Pflanzen wie Arabidopsis und vielzellige Tiere wie der Mensch besitzen ganze sechs (!) MSH-Proteine, die jeweils miteinander und nicht untereinander verwandt sind. Sprich: Menschliches MSH2, dessen Mutation zu erblichem Darmkrebs führen kann, ist näher verwandt mit MSH2 von Arabidopsis, als mit den 5 anderen MSH-Proteinen des Menschen. Und umgekehrt. Eine solche Verwandtschaft ist nur zu erklären, wenn alle sechs MSH-Proteine bereits an der Basis der Eukaryoten, dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Arabidopsis und dem Menschen, vorhanden waren. Mutationen von MSH2 in Arabidopsis führen allerdings nicht zu irgendeiner Form von Krebs.
Beispiel 2: Erblicher Brustkrebs
Ein Teil der auftretenden Brustkrebsfälle ist auf vererbte Mutationen in einer Reihe von Genen zurückzuführen, am häufigsten Mutationen in BRCA1 und BRCA2. Und wer hätte es nach dem ersten Beispiel gedacht: Mehrzellige Pflanzen besitzen auch Homologe dieser Gene! Ja, Pflanzen haben Brustkrebsgene. Der Grund ist natürlich, dass die beiden Proteine sehr wichtige Rollen in der Reparatur von DNA-Schäden haben, etwas das in allen Zellen auftritt, auch in Pflanzen. Dabei gehen BRCA1 und BRCA2 in Pflanzen sehr ähnlichen Funktionen in der Zelle nach, wie dies für die Homologe in Tieren bekannt ist. Auch hier ist die Schlussfolgerung wieder, dass bereits basale Eukaryoten Varianten von BRCA1 und BRCA2 besessen haben müssen. Mutationen in den Pflanzen führen dort jedoch nicht zur Entstehung von Krebs!
Tatsächlich sind eine sehr große Zahl von Proteinen des Zellzyklus, der DNA-Reparatur, Rekombination, der Transkription und Translation – also alles, was für das Funktionieren einzelner Zellen wichtig ist, aber bei Mutation auch zur Entstehung von Krebs beitragen kann – in allen Eukaryoten konserviert. Zu Krebs kommt es allerdings nur in den vielzelligen Tieren, den Metazoen (und auch dort nicht in allen Arten).
Ich hab eine alternative recht simple, und deshalb letztlich sicher nicht vollständig befriedigende, Erklärung für euch, warum mehrzellige Tiere Krebs bekommen: Die Metazoa haben eine andere Art und Weise, wie sie aus einzelnen Zellen einen Körper aufbauen. Bei Pflanzen haben alle Zellen den Platz, den sie bei ihrer Entstehung eben haben. Welchen Job sie bekommen (also in welchen Zelltyp sie sich differenziieren), wird durch Signale von der Umgebung bestimmt. Bei Tieren ist das anders. Hier kommt es sehr häufig vor, dass während der Entwicklung des Organismus Zellen an einem Ort entstehen, dann aber an einen anderen Ort im sich entwickelnden Organismus wandern. Im Prinzip also ein Vorgang, wie er bei der Metastasierung von Tumoren auch passiert. Krebs ist also keine “Zurückentwicklung” der Zelle zu einem frühen einzelligen Zustand, sondern eher eine kleinere Zurückentwicklung in einen embryonalen Zustand, in dem das Wandern im Körper üblich ist.
Selbst diese Erklärung ist aber eigentlich viel zu einfach, und mitlesende Onkologen und Grundlagenforscher in der Krebsmedizin werden sich wahrscheinlich schütteln deswegen. Es muss eine ganze Reihe von Veränderungen eintreten, dass Zellen entarten: Die Zelle muss anfangen, sich unkontrolliert zu teilen. Dabei verkürzen sich die Telomere, also muss sie eine Möglichkeit finden, die Telomere wieder zu verlängern. Sie muss verhindern, dass eine ganze Reihe von Selbstmordprogrammen angeschaltet werden. Das sind immer noch alles Faktoren, die nur zur Ausbildung eines lokalen Tumors führen. Jetzt muss diese Zelle Möglichkeiten finden, sich im Körper zu bewegen. Dazu muss sie Verbindungen zwischen anderen Zellen lesen können, um sich zwischen denen bewegen zu können. Sie muss sich auf die komplett verschiedenen chemischen Umgebungen in Blut oder Lymphflüssigkeit einstellen können. Sie muss sich irgendwo im Körper neu ansiedeln können. Dort braucht sie eine Sauerstoff- und Nährstoffversorgung, muss also die Neubildung von Blutgefäßen anregen. Das sind alles Aufgaben, die ein eizelliger Eukaryot gar nicht können musste!
Komisch, gerade erst hat sich PZ Myers über den sicherlich intelligenten Physiker Michio Kaku aufgeregt, der auch demonstrierte, dass er trotz wenig Ahnung von Evolutionsbiologie meint, seine privaten Ansichten in die Öffentlichkeit trompeten zu müssen. Also, wie wärs damit: Ich schreib in Zukunft keine Paper über Astrophysik, dafür lassen die Astrophysiker es bitte, unqualifiziert über Biologie zu fantasieren, okay?
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