Drüben bei Martin auf Hier wohnen Drachen gab es sie ja schon ein paar Mal, die Fermi-Probleme. Bei der Vorbereitung einer Vorlesung bin ich heute auf ein biologisches Fermi-Problem gestoßen, dessen Ergebnis mich selbst überrascht hat. Zuerst mal für die, die Martins Artikel noch nicht kennen, ein Fermi-Problem ist eine Fragestellung, deren genaue Antwort nur sehr schwer zu ermitteln ist. Entweder weil die Rechnung kompliziert wird, oder wie bei diesem Beispiel, weil wir die Ausgangszahlen nicht genau kennen. Mit einfachen Annahmen kann man bei einem Fermi-Problem aber zumindest die Größenordnung abschätzen und so eine ungefähre Antwort bekommen.
Ich arbeite mich gerade für eine neue Vorlesung, die ich im Februar halten soll, durch das Buch “The Origins of Genome Architecture” von Michael Lynch. Im Grunde geht es darin um eine Bestandsaufnahme, was sich alles für Elemente in den Genomen von Eukaryoten (das ist die Gruppe Lebewesen mit einem Zellkern in ihren Zellen, einschließlich den Menschen, aber ausschließlich den beiden Arten von Bakterien) befinden, wie groß ihr Anteil ist und am wichtigsten, warum das so ist. In anderen Worten, was ist der evolutionäre Grund, dass es diese Elemente in dieser Form und Anzahl gibt. Nicht unbedingt ein populärwissenschaftliches Buch, aber sehr empfehlenswert für die mitlesenden Molekularbiologen. Jedenfalls stellt Lynch recht weit vorne die Frage, wie viel DNA insgesamt überhaupt auf der Erde ist. Das ist ganz sicher ein Fermi-Problem, denn wir müssen schon schätzen, wenn es darum geht, wie viele verschiedene Arten von Eukaryoten es überhaupt auf der Erde gibt. Dann noch, wie viele Individuen pro Art, wie viele Körperzellen pro Individuum und wie viel DNA pro Zelle! Es läuft also tatsächlich darauf heraus, dass wir diese Zahlen schätzen müssen. Glücklicherweise müssen wir aber nicht raten, denn für alle diese Zahlen gibt es zumindest einigermaßen zuverlässige Schätzungen aus der wissenschaftlichen Literatur, die Lynch auch zitiert (ich verzichte hier darauf, wer Details für eine bestimmte Zahl möchte kann ja in den Kommentaren fragen).
Legen wir mal los mit der Frage, wie lang die DNA eigentlich ist. Manche von euch haben vielleicht schon mal gehört, dass in jeder menschlichen Körperzelle rund 2 Meter an DNA enthalten sind. Das lässt sich ganz einfach berechnen wenn man weiß, wie lang ein Baustein in der DNA, eine Base, ist und wie viele wir davon im Genom besitzen. Nun, eine Base hat eine Länge von 0,34 nm, oder 3×10-10 m. Zählt man die Anzahl an Basen in allen unseren Chromosomen zusammen, kommt man auf etwas mehr als 3 Milliarden Basen, oder 3×109. Das ergibt dann netterweise für die Gesamtlänge genau (naja, fast…) einen Meter. Da wir allerdings jedes Chromosom doppelt haben (eins von der Mutter, eins vom Vater) haben wir tatsächlich in jeder unserer Zellen 2 Meter DNA! Allein das ist schon extrem spannend, da die durchschnittliche Größe unserer Zellen nur 10 bis 100 µm beträgt [1]!
Wir haben also pro Zelle 2 m DNA – wieviel macht das auf den gesamten Menschen aus? Eine konservative Schätzung geht von rund 1013 Zellen im menschlichen Körper aus, also kommen wir auf 2×1013 m, oder 2×1010 km, was ungefähr 130 mal der Abstand zwischen der Erde und der Sonne ist! Bei fast 7 Milliarden Menschen kommen wir für die gesamte Menschheit darum auf rund 1020 km an DNA (Bei so großen Zahlen wird es unsinnig, die Vorfaktoren noch mitzurechnen). Jetzt wird es aber spannend, denn wir wollen ja nicht nur die Länge der DNA der Menschheit, sondern von allen Eukaryoten wissen. Es gibt schätzungsweise 10 Millionen Arten von Eukaryoten, von denen wir bisher ungefähr 1/6 wissenschaftlich beschrieben haben. Die durchschnittliche Größe eines eukaryotischen Genoms beträgt ungefähr 1% des menschlichen Genoms. Wenn wir jetzt von gleich vielen Individuen pro Art ausgehen (was tatsächlich sogar eine ganz brauchbare Annahme ist), dann sollten alle Eukaryoten ohne Menschen ungefähr 105 mal mehr DNA besitzen als die Menschheit, also rund 1025 km.
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