Eyjafjallajökull, der Gletschervulkan, den wohl nur echte Isländer fehlerfrei aussprechen können. DAS Thema der letzten Tage – alle sind ein bisschen aufgeregt, dass so etwas bei uns passiert. Manche auch besorgt oder genervt. Lohnt es sich überhaupt, noch einen Artikel darüber zu schreiben? Allerdings. Ein kleiner Rundumschlag:
Möchte man die Ereignisse der letzten Tage zusammen fassen, fällt einem wohl nur “Wie wir wissen, wissen wir wenig” ein. Aus geologischer Sicht ein kleines Kataströphchen, scheint in unserer Vollkaskogesellschaft gleich alles aus dem Ruder zu laufen. Besonders zwei Fragen stehen seit Tagen im Raum:
- Wie schlimm wird es noch werden?
- Sind die Flugverbote gerechtfertigt?
Die Antwort auf beide Fragen ist gleich: keiner weiß das so richtig. Die letzten Ausbrüche des Vulkans dauerten teils Jahre – was aber nicht unbedingt Rückschlüsse für die aktuelle Situation bringt. Klar ist aber auch, durch das Abschmelzen der Gletscher nimmt der phreatomagmatische (Vulkan + Eis) Charakter der Explosion ab, so dass weniger feinkörnige und scharfe Asche in die Luft gepustet wird, auch wenn der gesamte Ascheeintrag ähnlich bleibt. Inwiefern das die Situation für die Luftfahrt verbessern könnte, ist aber ebenfalls noch unklar.
Für die Luftfahrt gilt wie für die Schweinegrippe: Lieber auf Nummer sicher gehen. Solange die Risiken kaum bekannt und messbar sind, ist eine umfassende Schließung des Luftraumes die einzige Wahl, auch wenn man die starke Vermutung hegt, dass die ganze Sache womöglich harmlos ist. Man stelle sich den Skandal vor, würde es zu einem Unfall kommen – dann auch noch in dem Gewissen, man hätte es leicht verhindern können – das Geschrei wäre riesig!
Sicher, eine Abwägung von Menschenleben und wirtschaftlichen Interessen ist immer schwierig, besonders, wenn die Parameter kaum bekannt sind. Ein großes Dilemma. Im Zweifelsfall gilt: Die Schließung des Luftraumes war/ist richtig – nicht etwa, weil wir gute Daten und Modelle haben, sondern gerade, weil wir keine haben.
Diesen Grundsatz scheinen leider weder Niki Lauda noch AirBerlin noch Lufthansa richtig zu verstehen. Ganz abgesehen von den unverständlichen “Testflügen” der Airlines nach dem Motto “nichts passiert, also wird schon alles ok sein”. Wie oft muss man das Mantra – Anekdoten sind keine Daten – eigentlich noch wiederholen?
Stellen Sie sich vor, ein Mathematiker will die Wahrscheinlichkeit für einen Sechser im Lotto herausfinden, kauft sich einen einzigen Losschein, verliert, und stellt fest: “Die Wahrscheinlichkeit ist 1 zu unendlich, null Prozent! Keiner kann jemals den Jackpot gewinnen!”
Selbst bei einer Unfallwahrscheinlichkeit von 1:1 Million wäre der Luftraum noch viel zu unsicher. Bei pro Tag 20 000 Flügen in Europa hieße das, jeden Tag neu Russisch Roulette mit 1:50 für den Jackpot – da würde ich nicht fliegen wollen. Kurzum: Drei Probeflüge und hinterher mit dem Finger über die Scheibe wischen und gucken, ob was hängen bleibt – das ist keine Wissenschaft, sondern bestenfalls Trial and Error, oder sogar nur PR.
Abgesehen davon wird ja auch gemessen, an allen Ecken und Enden, vom Nordkap bis nach Portugal. Die Wolke ist eindeutig da, die Ausdehnung und Materialdichte bekannt. Nicht bekannt ist die Gefährlichkeit, es gibt kaum Grenzwerte. Das ist weder neu noch überraschend, aber solange keiner Testreihen mit Triebwerken und Asche im Windkanal gemacht hat, hilft nur schätzen. Und diese Schätzungen sind bisher äußerst unterschiedlich.
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Auf einem ganz anderen Blatt steht bisher die Eruption selbst, bzw. eine Erweiterung auf den Nachbarvulkan Katla. Aus geologischer Sicht ist die bisherige Eruption äußerst klein und harmlos, um mehrere Größenordnungen kleiner als die Eruptionen von Mount St. Helens oder Pinatubo der letzten Jahrzehnte. Bricht ebenfalls die Katla aus, wäre das schlagartig anders – aber wahrscheinlich immer noch keine “echte” Katastrophe globalen Ausmaßes. Ein kühler Sommer, weitreichende Flugverbote, schwere Einbußen für viele Industriebereiche, aber wohl wenig Gefährdung für Leib und Leben.
In der Vergangenheit brach Katla zwei Mal wenige Monate nach dem Nachbarvulkan aus – was aber nichts heißen muss. Bisher legen verschiedene Beobachtungen keinen Ausbruch nahe, auch typische Tremors fanden bis jetzt nicht statt. Allerdings sind präzise Beobachtungen durch den Ausbruch direkt nebenan auch nicht ganz einfach. “Es ist schwieriger denn je, in den Vulkan hinein zu sehen”, erzählt die Geophysikerin Kristin Vogfjord einem AP-Reporter, “vermutlich erzeugten Spannungsverschiebungen in der äußeren Kruste aufgrund des Magmaflusses die vorherigen Eruptionen.”
“Der Vulkan kann morgen ausbrechen, oder in hundert Jahren, keiner weiß es” fügt der Bürgermeister von Vik, Svenn Palsson, hinzu. Für den Fall der Fälle werden Evakuierungspläne nochmals durchgegangen, im Ernstfall bleiben manchen Anwohnern nur Minuten für die Flucht.
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Auch an Bildern und Videos ist inzwischen Fantastisches hereingekommen. Wer möchte, kann sich am (nicht ganz ernst gemeinten) Bilderquiz Island oder Mordor? versuchen. Auch die Galerien von Boston Big Picture sind wie immer einen Klick wert. Äußerst sehenswert ist auch dieses Video, man beachte die Schockwellen!
(Image courtesy to Boston.com)
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