Die Beweislast wird mit jeder Stunde erdrückender – anscheinend hat der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg im großen Stil abgeschrieben. Das ist kein Kavaliersdelikt mehr.
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In meine Schulzeit fiel nicht nur die Erfindung des CD-Brenners, der die wenigen Besitzer eines solchen Gerätes zu den Kings des Pausenhofs machte, sondern auch die Erfolgsgeschichte von Wikipedia. Ein Segen für die Pennäler, ein Schrecken für die Pauker! Ganze Aufsätze und Referate wurden zum Kinderspiel, nur das Unkenntlichmachen der blauen Hyperlinks erforderte Aufwand. Die anfangs plumpe Sprache und Detailarmut von Wikipedia war dabei sogar hilfreich – Plagiate waren nicht sofort ersichtlich. Schnell sprach sich herum, welche Lehrkräfte einen Computer bedienen konnten und über Google Stichproben durchführten (so manchem Schülerkollegen flog das Referat daraufhin mit einer saftigen Sechs um die Ohren), doch die meisten kannten “dieses Internetdings” nur vom Hörensagen.
Zum Abitur hin wurde diese Praxis immer gefährlicher, Plagiatur-Stichproben schon fast Routine. Heutzutage ist wörtliches Abschreiben aus der erstbesten Internetquelle vermutlich nahezu unmöglich. Zu gut sind die Suchmaschinen, zu sehr sind die Professoren, Lehrer, Chefs auf der Hut. Natürlich nicht immer, zudem spielen Zeitmangel und Überarbeitung der Überprüfer dem Plagiator in die Hände. Es bleibt ein Pokerspiel. Und wie es heute am Montagmorgen aussieht, wurde Karl-Theodor zu Guttenberg beim Bluffen erwischt.
Die Plagiatur einer Doktorarbeit – der höchsten akademischen Würde, für den viele Wissenschaftler Jahre ihres Lebens aufopfern – ist natürlich nicht mit einem abgekupferten Referat zu vergleichen. Aber die veränderte Situation zeigt vor allem, dass es (ganz abgesehen von der moralischen Fragwürdigkeit) immer gefährlicher wird, unerwischt davon zu kommen.
Ich möchte ehrlich sein; ich habe zu Guttenberg immer sehr geschätzt, obwohl ich kein besonderer Anhänger seiner Partei bin. Ein Lichtblick der politischen Spitze – elegant, zurückhaltend, Kompetenz ausstrahlend. Als Nicht-Politikwissenschaftler und Nicht-Politikjournalist bin ich äußerst vorsichtig darin, mir eine Meinung zu bilden meine Meinung über solch komplexe Themen wie Afghanistan oder Bundeswehr-Reformen kund zu tun. Aber sagen wir mal so: Eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist mit seiner Arbeit und politischen Leistung sehr zufrieden. Als besonderes Stück sehenswerter Politikdiskussion kann ich die semi-öffentliche Gesprächsrunde von Helmut Schmidt und Karl-Theodor zu Guttenberg der Atlantikbrücke vom März 2010 empfehlen, die Thematik ist immer noch aktuell.
Der vorherige Absatz gilt auch als Disclaimer, denn leider werden Kritiken an dem Minister vielfach als “Schmierenkampagnen” und “politischer Opportunismus” abgekanzelt. Doch die Plagiatsvorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen und sie sind ernster – viel ernster – als viele (inklusive anfangs mir) wahrhaben wollen. Ein paar vergessene Fußnoten hier und da hätte man noch mit einem leichten Schulterzucken und “Ach, was soll’s” wegstecken können. Doch was sich die letzten Tage offenbart hat, ist alles andere als trivial.
Das Internet brummt. Es ist immer erstaunlicher, mit welch brachialer Macht sich die Massen der “digitalen Boheme” mobilisieren lassen, wenn es um ein höheres, gemeinschaftliches Ziel geht. Über das Wochenende wurde jedes Wort der Dissertation mehrfach umgedreht – mit (sofern man der Analyse trauen kann) erschreckenden Resultaten: Auf gut 70% der Seiten sind Spuren von Abschreiberei zu finden.
Siebzig Prozent!
Die abschließende Untersuchung liegt vor allem in der Verantwortung der Universität Bayreuth, aber schon die Ergebnisse der Online-Kontrolleure sind erschreckend genug. Wer es selbst einmal ausprobieren möchte, kann gerne ein paar Stichproben machen. Die Seite musste erst vorgestern auf eine Wiki-Plattform umziehen, da der Andrang anders nicht zu bewältigen war. Der Inhalt wächst immer noch von Stunde zu Stunde.
An dieser Stelle sollte vielleicht erwähnt werden, dass Plagiate bei einer Doktorarbeit keinesfalls “halb so schlimm” sind, wie man vielleicht gemeinhin annehmen mag. Nach der ultimativen Summa Cum Fraude – eine Arbeit fälschen oder Ergebnisse frei erfinden – eines der schlimmsten akademischen Vergehen. Ganzen Karrieren wurden über Nacht durch Bekanntwerden von Plagiatur ruiniert. Geklaut ist geklaut. Mehr dazu drüben bei Zoon Politikon, dem Wissenschaftsfeuilleton, der Thüringer Blogzentrale oder auch bei D-Radio Kultur.
Nun steckt zu Guttenberg in der Bredouille. Letzte Woche hat er mehrfach angekündigt, keinesfalls abgeschrieben zu haben und jede Kritik abgewiegelt – das könnte sich als Fehler erweisen. Denn nach Bekanntwerden des immer größeren Ausmaßes bleiben eigentlich nur drei Möglichkeiten:
1) zu Guttenberg erzählt nicht die Wahrheit.
2) die Arbeit ist zu großen Teilen von einem Ghostwriter, und zu Guttenberg weiß selbst nicht so genau, was drin steht. Mehr dazu im Spiegel. Dann läge sogar Amtsmissbrauch vor.
3) Die bisherige Arbeit des “Guttenplag” stellt sich als Fälschung heraus. Das sollten die Universität und die Medien klären können.
Es wird also immer enger um den Verteidigungsminister. Die Aberkennung des Doktortitels ist freilich schon fast trivial, verglichen mit dem politischen Fallout. Als einzige moralische Konsequenz bleibt da eigentlich nur der Rücktritt, zumindest als Angebot an die Kanzlerin. Selbst wenn das dem Ansehen der Politik in Deutschland großen Schaden bringen wird.
In Berlin brodelte auch am Sonntagabend die Gerüchteküche. Laut Süddeutscher Zeitung hat Seehofer indirekt die Rücktrittsgedanken seines Kollegen bestätigt.
Wobei so ein Shitstorm keineswegs das Ende der politischen Karriere bedeuten muss – man erinnere sich nur an die Schwarzgeld-Affäre der CDU der späten Neunziger. Als Schäuble 2005 wieder ein Amt antrat, konnte sich kaum einer daran erinnern. Zumindest war es den meisten egal.
Ich bin keinesfalls einer von den Stammtischpolemikern, die Politiker grundsätzlich für eine korrupte Bande halten, ohne die es allen besser ginge. Politik ist wichtig, politische Talente sind rar gesät – aber eine mutmaßlich zusammengeklaute Dissertation kann und darf nicht ungesühnt bleiben.
Von den Schülern, die mit Raubkopien auf unserem Pausenhof handelten, wurde später auch einer hochgenommen – das ganze Programm, mit Hausdurchsuchung und Staatsanwalt. Danach waren die Leute mit CD-Brenner plötzlich keine Kings auf dem Pausenhof mehr.
Edit: Dieser Artikel wurde überarbeitet.
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