Die Welt des winzig Kleinen
Könnt ihr euch ungefähr vorstellen wie groß ein Molekül ist? Zugegeben, es gibt natürlich Moleküle unterschiedlicher Größe. Ein menschliches Chromosom (also ein DNA-Molekül) ist im Durchschnitt ungefähr 4 Zentimeter lang. Ein Zucker-Molekül hingegen ist ungefähr 8 Ångström groß. Ein Ångström entspricht einer Länge von einem Zehnmilliardstel Meter. Das DNA-Molekül ist also etwa hundertmillionen Mal größer als das Zucker-Molekül. Das stimmt natürlich nur, wenn man die DNA “aufdröselt”. In gepackter Form ist ein Chromosom im Durchschnitt nur ungefähr 5 Mikrometer lang. So ein Chromosom kann man sich mit moderner Mikroskoptechnologie (Fluoreszenzmikroskopen oder Elektronenmikroskopen) sogar angucken.
Elektronenmikroskope haben eine deutlich höhere Auflösung als Lichtmikroskope. Mit einem Elektronenmikroskop sieht man Dinge im Nanometerbereich, wobei 0.000000001 Meter = 1 Nanometer = 10 Ångström. Unser 8 Ångström kleines Zuckermolekül ist also sogar für diese Technologie zu winzig. Trotzdem kennen wir die Struktur von Zucker. Und das schon bevor man überhaupt Elektronenmikroskope kannte. Wie kann das sein?
Die Struktur von Zuckermolekülen hat man ganz klassisch mittels chemischer Reaktionen bestimmt. Bestimmte Reaktionen deuten auf bestimmte chemische Gruppen im Molekül hin. Eine solche Analyse ist aufwendig und langwierig. Heute kennen wir da zum Glück andere Methoden: Mittels Kernspinresonanzspektroskopie kann man zum Beispiel die relativen Abstände der Wasserstoffatome im Molekül bestimmten. Bevor man die Anordnung der einzelnen Atome und deren Verbindungen untereinander überhaupt bestimmen kann, gilt es aber zuerst einmal herauszufinden: Was steckt drin, im Molekül?
Geld ist nicht alles, aber viel Geld ist schon etwas.
Machen wir einen kurzen Exkurs zu eurer Sparbüchse: Stellt euch vor ihr wollt wissen, wie viel Geld ihr besitzt, seid aber viel zu faul die Münzen zu zählen (es sind sehr sehr viele Münzen — ihr seid Dagobert Duck und eure Sparbüchse ist eigentlich ein Geldspeicher). Was könnt ihr tun? Schnappt euch einfach eine Waage! Jede Euro Münze hat ein bestimmtes Gewicht. Exakt wird eure Berechnung, wenn ihr die Münzen vorher sortiert. Aber wie gesagt, ihr seid faul (vermutlich seid ihr Informatiker). Also brauchen wir einen Algorithmus, der uns das gemessene Gewicht zerlegt, in die Anzahl der enthaltenen Münzen, sortiert nach Münzarten. Das zugrunde liegende Problem ist als Münzproblem bekannt. Dabei geht es eigentlich um Wechselgeld: Mit welchen Münzen lässt sich ein Betrag x herausgeben? Algorithmisch gesehen steckt dahinter das gleiche Problem, wie bei unserer Geldwaage, wobei Wechselgeldbetrag=Gewicht des gesamten Geldes, Münzbeträge=Gewicht der Münzen. Das Münzproblem gehört zu den Rucksackproblemen, einer Gruppe der klassischen NP-vollständigen Probleme aus der theoretischen Informatik.
Zurück zur Natur!
Vielleicht habt ihr schon gemerkt worauf ich hinaus will? Natürlich will ich kein Geld zählen, ich arbeite schließlich nicht in einer Bank, sondern bin Bioinformatikerin. Ich will die Zusammensetzung der Elemente in einem unbekannten Molekül herausfinden, also die Anzahl der Wasserstoff-, Kohlenstoffatome, usw. Oder anders gesagt, ich will die Summenformel des Moleküls herausfinden. Um Zucker zum Backen abzuwiegen mag meine Küchenwaage noch herhalten können, um ein einzelnes Zuckermolekül zu wiegen jedoch wohl kaum. Solche winzigen Massen lassen sich mittels Massenspektrometrie erfassen.
Ich hab jetzt also die Masse meines Moleküls (oder das Gewicht meines Münzbergs). Leider ist meine Lösung nicht immer eindeutig. Würde eine 2 Cent Münze 3 Gramm wiegen und eine 5 Cent Münze 6 Gramm, und meine Waage zeigt 6 Gramm an, dann weiß ich nicht, ob ich 4 oder 5 Cent besitze. Hinzu kommt, dass die Messtechnik nicht exakt ist und wir deswegen einen Fehlertoleranzbereich beachten müssen. Dadurch ergeben sich plötzlich extrem viele Zerlegungen (Summenformeln), die die ungenaue Masse erklären könnten.
Das Problem wird schwieriger, je mehr mögliche Elemente (oder Münzen) wir betrachten. Die häufigsten Elemente in der Natur sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Es gibt aber auch noch andere Elemente, die zwar seltener vorkommen, aber gerade für die Wirksamkeit von Medikamenten oft eine Rolle spielen, zum Beispiel Chlor, Brom oder Selen — und das sind längst noch nicht alle. Das Problem wird auch schwieriger, je schwerer das untersuchte Molekül ist, also je größer die Masse, die wir zerlegen müssen. Oft gibt es hunderttausende mögliche Zerlegungen. Woher weiß ich dann, welche die tatsächliche Summenformel des Moleküls ist?
Kommentare (8)