Es ist Sommer. Es ist heiß. Sehr heiß. Es regnet kaum. Gestern war ich wandern. Und da fiel mir ein mal mehr die ausgetrocknete Natur auf. Der Klimawandel ist real. Ich möchte mich jetzt gar nicht darüber aufregen (das tue ich schon oft genug), dass die meisten Menschen lieber wegsehen und leugnen. Stattdessen möchte ich euch darüber erzählen, wie Pflanzen es schaffen, sich an veränderte Umweltbedingungen, egal ob Hitze oder Kälte, Starkregen oder Dürre, anzupassen. Beziehungsweise, wie ein großer europäischer Forschungsverbund versucht, diese Frage zu beantworten; und wie die Bioinformatik dabei hilft.
Epigenetik – Die Metaebene der Genetik
Aber was ist Epigenetik überhaupt? Die griechische Vorsilbe “epi-” in diesem Zusammenhang richtig zu übersetzen, finde ich schwierig. Man könnte wohl so etwas wie “zusätzlich” oder “oberhalb” sagen. Unter Epigenetik fasst man all die genetischen Prozesse zusammen, die über die “klassische” Genetik hinaus gehen, das heißt, die nichtauf Nukleotidebene in der DNA-Sequenz kodiert sind. Stattdessen finden epigenetische Veränderungen auf Chromatinebene statt. Chromatin ist ein Komplex aus DNA und speziellen Proteinen (hauptsächlich Histonen), aus dem die Chromosome im Zellkern gebildet werden. Verändert werden sowohl die Histone als auch die Nukleotide, wobei die Veränderungen umkehrbar und eher mit einer Art chemischen Markierung gleichzusetzen sind. Man könnte epigenetische Veränderungen auch als “weiche Veränderungen” bezeichnen, die mehr Anpassungsfähigkeit ermöglichen, aber auch rückgängig gemacht werden können. Die klassische Genetik sorgt hingegen für “harte Veränderungen”, die nicht umkehrbar sind.
Die komplexen epigenetische Prozesse steuern die Funktion bestimmter Gene und erhöhen damit die Flexibilität des immer gleichen Erbguts. Epigenetik beeinflusst unter anderem, dass aus totipotenten Stammzellen, aus denen wir anfangs bestehen, durch Zelldifferenzierung bestimmte Körperzellen mit festgelegten Funktionen werden, obwohl das Erbgut in allen Zellen gleich ist. So braucht zum Beispiel eine Muskelzelle andere Gene als eine Nervenzelle. Dabei werden auf unserem DNA-Strang bestimmte Gene abgeschaltet, indem sie epigenetisch markiert werden. Es bleiben nur die Gene benutzbar, die für die Aktivität der jeweiligen Körperzelle wichtig sind.
Wir sind mehr als die Summe unserer Gene
Mit der Epigenetik kam auch die Einsicht, dass die Eigenschaften eines Lebewesens nicht rein durch das vererbte Genmaterial unveränderbar bestimmt sind. Im Gegenteil: epigenetische Prozesse können sogar durch Umweltfaktoren beeinflusst werden. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür sind Bienen. Ob sich eine Biene zur Königin oder Arbeiterin entwickelt, wird epigenetisch über die Nahrung bestimmt. Die Larven zukünftiger Königinnen erhalten Gelée royale. Die Larven, die mit Pollen gefüttert werden, entwickeln sich zu Arbeiterinnen. Die unterschiedliche Nahrung sorgt für unterschiedliche Markierungen auf der DNA und entscheidet somit über das Schicksal der Larven.
Aber auch das menschliche Genom verändert sich im Laufe unseres Lebens auf epigenetischer Ebene. Das kann man vor allem an genetisch eineiigen Zwillingen nachweisen. Dabei hat man unter anderem festgestellt, dass Zwillinge im Alter epigenetisch umso verschiedener sind, je unterschiedlicher ihre Leben verlaufen sind.
Der Einfluss des Klimas
Zurück zu den Pflanzen. Auch für Pflanzen spielen Umweltfaktoren eine große Rolle. In verschiedenen Umgebungen und unter verschiedenen klimatischen Bedingungen flexibel zu sein, ist (nicht nur für Pflanzen) von großem Vorteil. Um die Anpassungsfähigkeit von Pflanzen zu verstehen, müssen wir auch die epigenetischen Markierung auf der DNA untersuchen. Eine Form dieser DNA-Markierungen sind Methylierungen. Dabei werden kleine Methylgruppen an einen bestimmten DNA-Abschnitt gehängt und das Gen damit stillgelegt. Wird die Methylgruppe wieder abgelöst, kann wieder auf die Erbinformation zugegriffen werden. Auf diese Art könnten Pflanzen zum Beispiel auf extreme Trocken- oder Hitzeperioden reagieren.
Ein Großteil unseres derzeitigen Wissens über DNA-Methylierung bei Pflanzen bezieht sich auf die Acker-Schmalwand. In der Landwirtschaft gilt sie als Unkraut, in der Genetik hat sie sich aber als Modellorganismus etabliert — “die Fruchtfliege der Botanik”. Modellorganismen sind nützlich, aber so wie sich nicht alles Wissen von Fruchtfliege auf Mensch übertragen lässt, sind eben auch nicht alle Pflanzen gleich. Bisher ist unklar, wie wichtig epigenetische Unterschiede für die Anpassungsfähigkeit natürlicher Pflanzenpopulationen unter verschiedenen Umweltbedingungen sind.
44 Wissenschaftler_innen schließen sich zusammen
EpiDiverse ist ein großer europäischer Forschungsverbund, in dem sich Bioinformatiker_innen, Molekularbiolog_innen und Ökolog_innen aus sieben Ländern zusammengeschlossen haben, um epigenetische Veränderungen an drei Wildpflanzenarten zu untersuchen: Schwarz-Pappel, Wald-Erdbeere und Acker-Hellerkraut. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie epigenetische Mechanismen zur Reaktion auf Stress durch veränderte Klimabedingungen und zur langfristigen Anpassung an solche beitragen. Dabei schauen sich die Forscher_innen unter anderem die epigenetischen Unterschiede der Pflanzen entlang des Klimagradienten an, aber auch, wie die Pflanzen epigenetisch auf Klima-Stress reagieren. Untersucht werden die genomischen Grundlagen (Bioinformatik), die molekularen Mechanismen (Molekularbiologie) und die ökologische Bedeutung der Veränderungen (Ökologie).
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