Fassen wir zusammen: Der Neandertaler hatte rote Haare und Sommersprossen, wurde schneller erwachsen und hatte vermutlich Sex mit Menschen. Die Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie warten alle paar Monate mit wunderbaren Neuigkeiten über unseren Urahnen auf. Ob sie wissen, dass sie gerade dabei sind ein Stück Pop-Kultur zu erschaffen?
Gerade wurde mit ein Buch zugeschickt, dass ich wie im Sog verschlungen habe. Es hat den simplen Titel “Die Außerirdischen“, stammt von dem Italienischen Journalisten Tommaso Pincio und hat sich nicht mehr oder weniger zum Ziel gesetzt, den größten Mythos des 20. Jahrhunderts zu beschreiben.In einem ungeheuren Parforce-Ritt jagt er den Leser von den Weiten des Universums über Rosswell, die “Men in Black”, streift diverse Verschwörungstheorien und endet bei “Matrix”. Pincio erzählt die Kulturgeschichte des Pop-Mythos vom Außerirdischen und zugleich erfahren wir dadurch etwas darüber, wer wir sind, welche Wünsche und Ängste wir haben.
Wunderbar. Zumal im Schreibstil Pincios und seinen ausschweifenden Gedankenkaskaden stets sein bewegtes Leben spürbar wird: Er war / ist unter anderem Comic-Zeichner, Teppichverkäufer, Galerist, Romancier und “Rolling Stone”-Autor. Wir wissen schon nach wenigen Kapiteln, dass es keinerlei Rolle spielt, wie die Aliens wirklich ausgesehen haben. Es ist auch nicht so wichtig, ob sie eine Kohlenstoff-Lebensform oder gar aus Silizium bestehen. Ja: Es ist sogar irrelevant, ob sie irgend wo da draußen existieren – obwohl statistisch alles dafür spricht. Egal: Nur der Mythos zählt. Und der ist von einer ungeheuren Kraft.
Warum nur musste ich an dieses Buch denken, als ich wider einmal eine Meldung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie las? Vielleicht, weil auch der Neandertaler für mich so ein Mythos ist. Ja, er hat physisch existiert. Ja, ich lese gerne, ob er rote Harre hatte, seine Zähne schneller wuchsen und wie es ums ein Sexleben bestellt war. Aber mindestens ebenso wichtig ist der Neandertaler für mich eine Metapher: Für irgendwas in unserer fernen Vergangenheit, mit dem Homo Sapiens einst Kontakt hatte – oder auch nicht. Der aber trotzdem mindestens so weit von uns entfernt ist, wie die sagenhaften Aliens. Nicht durch den Raum, sondern durch die Zeit getrennt die aber ebenso unüberwindlich ist wie die stellaren Räume. Deshalb werden uns diese vielen interessanten Meldungen aus Leipzig auch den Neandertaler nicht näherbringen. Aber vielleicht erfahren wir etwas über uns. Zumindest wenn sich ein Schriftsteller wie Picino der Sachne annimmt.
Lieber Tommaso Pincio: Wenn Du wieder Lust auf ein neues Buch hast: Der Neandertaler und seine Rezeption durch uns Nachgeborene warten auf Dich!
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