Chronologie des Sturms
Das Polarlicht und der Brand im Bahnhof von Brewster am 14. Mai 1921 ereignete sich, als der Sonnenfleckenzyklus Nummer 15, der von 1913 bis 1923 dauerte, schon im Abklingen war.
8. Mai 1921
Am östlichen, linken Sonnenrand taucht ein einzelner relativ großer Sonnenfleck auf, dessen Randbereich, die Penumbra, sehr dunkel ist.
12. Mai 1921
Inzwischen zerfiel der einzelne Fleck in zwei einzelne, große Flecken. Der westliche zerfällt bis zum folgenden Tag in zwei Einzelflecken, während der östliche, nachfolgende Fleck weiterhin nur eine Umbra zeigt, aber wesentlich aktiver ist. Die gesamte Gruppe befindet sich nahe dem Sonnenäquator. Die Längenausdehnung der Gruppe beträgt 12° und in der Breite erstreckt sie sich über 6° im solaren Koordinatensystem.
Innerhalb der Sonnenfleckengruppe kommt es zu mehreren Ausbrüchen, sogenannten Flares.
13. Mai 1921
An mehreren Observatorien wird gegen ca. 14:08 MEZ ein plötzlicher starker geomagnetischer Impuls aufgezeichnet. Ihm folgt gegen 20:24 MEZ ein weiterer. Beide führten zu deutlichen Störungen des irdischen Magnetfelds. In vielen Ländern Europas, in England, Frankreich, Schweden, Wales und Deutschland, sind helle Polarlichter zu sehen. In Bremen ist das Nordlicht gegen 22:30 am stärksten.
In einer Notiz, die in den Astronomischen Nachrichten erschien, berichtet K. Emde von „grünlichweiß leuchtenden Lichtbänken … dabei zeitweise fast den ganzen Himmelsraum in Norden bis zum Zenit hinauf.“ Daneben sieht er intensiv rötlich oder violett gefärbte Strahlen: „Es war, als ob unter dem Nordhorizont aufgestellte Scheinwerfer ihre Strahlenbündel senkrecht nach oben schickten, hier und da aufleuchtend und wieder verlöschend in ziemlich raschem Wechsel.“
Gegen 23:30 MEZ ist die Unruhe des irdischen Magnetfelds am stärksten.
Zusätzlich kommt es dieser Zeit zu kurzzeitigen Störungen der Telegrafenverbindungen. In Dänemark und Süd- bzw. Mittelschweden brechen die Telegrafensysteme zusammen. Auch auf der Südhalbkugel sind Systeme betroffen.
In der Fachzeitschrift Nature berichtet der berühmte englische Physiker Lord Rayleigh später von ungewöhnlich hellen Polarlichtern in den Nächten vom 13. bis 15. Mai. über England.
14./15.Mai
Nach rund circa 31 Stunden, gegen 21:30 MEZ am 14. Mai, beruhigt sich die Lage wieder. Doch das ist nur die Ruhe vor dem eigentlichen Sturm. Die erste Aktivitätsperiode hat möglicherweise erst den Weg für den eigentlichen großen Sturm am 14. und 15. vorbereitet. Die koronalen Massenauswürfe der vorhergehenden Tage fegten möglicherweise Plasma aus dem Bereich innerhalb der Erdbahn heraus, sodass nachfolgende Explosionswolken die Erde schneller erreichen.
Kurze Zeit nachdem die erste Welle zum Erliegen gekommen war, prallt um 23:13 MEZ eine weitere von der Sonne kommende Plasmawolke noch heftiger auf das irdische Magnetfeld. In den folgenden sieben Stunden baut sich ein enormer geomagnetischer Sturm auf.
In Breslau beobachtet der Astronom A. Wilkens auf dem Nachhauseweg zwischen 01:20 MEZ und 02:30 ein wundervolles Polarlicht in Form eines gestreiften Vorhangs mit intensiv roter Farbe.
Am Watheroo-Observatorium in Australien erreicht gegen 05:30 MEZ des 15. Mai die Störung des Magnetfeldes Werte knapp unterhalb des Carrington-Ereignisses im Jahr 1859. Weltweit werden die Magnetometer überlastet, als ihre Schreibnadeln über den Rand der damals verwendeten Papierstreifen ausschlagen.
Jetzt sind in vielen Regionen der Erde Polarlichter zu beobachten, auch über Gebiete mit geringer geomagnetischer Breite.
Die New York Times berichtet in ihrer Ausgabe vom 16. Mai, dass sie am Abend des 14. Mai (Ortszeit) sehr hell waren und die ganze Nacht über andauerten. Erst kurz bevor die Sonne aufging, verblassten sie:
“Das Polarlicht, das trotz des hellen Mondlichts den Himmel in verschiedene Farbtöne gehüllt hatte, behauptete sich mühelos gegen das erste Leuchten im Osten. Als das Leuchten heller wurde, schienen sich die schimmernden Strahlen und Felder aus Rosa, Gelb, Orange und schwachem Violett zu einem stahl-farbigen Bogen zu vereinen, der sich von Horizont zu Horizont erstreckte, zitterte und vibrierte, eine Zeit lang schwächer wurde und dann wieder deutlich sichtbar war.
Die stählerne Farbe verblasste zu einem schwachen Gelb, das sich mit dem charakteristischen zitternden, wellenförmigen Effekt der Aurora Borealis über das gesamte Himmelsgewölbe ausbreitete. Ein orangefarbener Farbton begann sich über das Leuchten der Morgendämmerung zu legen. Orangefarbene Wolkengebilde schoben sich allmählich über die steifen gelben Vorhänge. Dann erschien der Rand der Sonne und wusch alle seltsamen Farben aus dem Himmel.“
Alles in allem gibt es viele Berichte über helle Polarlichter mit besonders starken Aktivitäten im Abstand von jeweils einer Stunde zwischen 02:00 und 07:00 MEZ. Die Daten deuten darauf hin, dass bis zu 5 Teilstürme (substorms) auftraten. Bei einigen dieser Spitzen kam es zu weiteren Störungen in Telefon- und Telegrafensystemen.
In Karlstad, Schweden, geht gegen 3 Uhr MEZ die Telegrafenstation in Flammen auf und wird komplett zerstört.
“Die magnetischen Störungen waren bei weitem die schlimmsten, die je erlebt wurden. Auf unseren Landleitungen brannten zahlreiche Sicherungen durch und wir hatten große Schwierigkeiten mit den Unterseekabeln.
Die elektrischen Ströme im Meer, die das Polarlicht begleiteten, suchten sich die Schwachstellen in den Kabelisolierungen, drangen durch sie durch und unterbrachen den Dienst. Es ist wahrscheinlich, dass wir Schiffe aussenden müssen, um einige der Kabel hochzuholen und die Schäden zu reparieren“, erklärt Newcomb Carlton, Präsident der Western Union Telegraph Company in einem Interview mit der New York Times vom 17. Mai
Die globalen Auswirkungen dieses enormen geomagnetischen Sturms zeigen sich auch in den Schäden und Störungen der Telegrafensysteme in vielen Ländern der Erde. Telegrafenverbindungen brechen zusammen, weil starke elektrische Ströme die Anlagen beschädigten, so in Australien, Brasilien, Dänemark, Frankreich, Japan Neuseeland, Norwegen, Großbritannien und den USA.
In den lokalen Abendstunden des 14. Mai setzten starke Ströme in den Telefonleitungen das Bahnhofsgebäude der Union Railroad in Albany, New York, in Brand, dass danach wie das in Brewster bis auf die Grundmauern niederbrennt. Auch die Leitungen der Telefongesellschaft Bell System werden beschädigt, wodurch gegen 01:00 Uhr Ortszeit (06:00 Uhr MEZ) am 15. Mai, kurz vor dem Maximum des Sturms, zahlreiche Telefonleitungen ausfallen, die Brooklyn (New York City) mit Long Island (New York State) verbinden, weil Heizspulen und Ableiter durchbrennen.
Am 15. Mai berichtet die New York Times von Störungen der Stromversorgung durch starke Spannungsschwankungen in den Netzen an der Ostküste der Vereinigten Staaten, wobei auch unterirdische Leitungen betroffen sind.
Auch in den Telegrafen- und Telefonleitungen der Boston and Albany Railroad verursachen extreme elektrische Ströme in den Morgenstunden des 15. Mai (MEZ) beträchtliche Schäden an zahlreichen Stellen der 250 Kilometer langen Strecke zwischen Boston und Albany.
Am 15. Mai gegen 07:04 vormittags lokaler Zeit fällt das gesamte Signal- und Schaltsystem der New York Central Railroad auf einer Länge von 6 Kilometern in der Millionenstadt aus. Zusätzlich bricht im Kontrollturm an der Ecke 57. Straße und Park Avenue ein Feuer aus. Deshalb wird das Ereignis im englischsprachigen Sprachraum auch als „New York Railroad Storm“ bezeichnet.
Doch inzwischen gibt es Zweifel, ob diese beiden Vorfälle wirklich durch den geomagnetischen Sturm verursacht wurden, weil sie sich erst während der Abklingphase des Sturms ereigneten.
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