Mindestens einmal während eines Sonnenfleckenzyklus kommt es zu einem starken geomagnetischen Sturm mit kräftigen Polarlichtern auch außerhalb der Polarregionen. Der berühmteste ist das Carrington-Ereignis im September 1859. Aber auch das 20. Jahrhundert kann mit einem ähnlich intensiven, aber wenig bekanntem Naturschauspiel aufwarten. Vor 100 Jahren trafen mehrere Explosionswolken von der Sonne unseren Planeten und richteten zahlreiche Schäden an. Doch bevor wir in die Details gehen, begeben wir uns in die Kleinstadt Brewster im Bundesstaat New York.

Polarlicht über New York, Mai 1921

Polarlicht über New York am 14. Mai 1921. Quelle: Wilson, L.J. (1921)

Es war spät geworden an diesem Samstag, dem 14. Mai 1921, und es war nicht gut gelaufen für Alexander L. Addis, Catcher des Baseballclubs der New York Trust Co. Seine Mannschaft hatte eine 28:1-Niederlage einstecken müssen. Kurz vor Mitternacht traf er mit dem Zug der Central New England Railroad vom Prospect Park in Brooklyn kommend im Bahnhof des Städtchens Brewster im Bundesstaat New York ein. Als Addis sich auf dem Weg vom Bahnhof zu seinem Haus befand, begann die Glocke der nahegelegenen Baptistenkirche zu läuten und löste einen Feueralarm aus. Vom Hügel über dem Bahnhof sah er blaue Flammen aus Spalten im Dach des Bahnhofgebäudes lodern. Auch der Fahrkartenschalter am Gebäude brannte.

Bahnhof von Brewster, NY

Bahnhof von Brewster, NY. Das abgebildete Gebäude wurde 1931 eingeweiht. Quelle: Pinterest

Wie sich später herausstellte, war wenige Minuten zuvor die Schalttafel im Fahrkartenschalter plötzlich in Flammen aufgegangen. In aller Eile gelang es dem diensthabenden Bahnangestellten das vorhandene Bargeld, Fahrkarten und weitere Wertgegenstände an sich zu nehmen. Bevor er das Gebäude verließ, konnte er auch noch den einzigen anwesenden Bewohner des Gebäudes. Leonard Sloat, wecken.

Alexander Addis eilte zum Brandherd, konnte aber nichts unternehmen, bis die örtliche Feuerwehr unter dem Kommando von Chief Morehouse eintraf. Der erschien kurz darauf mit seinem neuen Kleinwagen, aber das Löschfahrzeug hatte ernsthafte Probleme den Brandherd zu erreichen. Aus irgendwelchen Gründen kam es nicht um die Kurve von der Railroad Avenue auf die Straße zur brennenden Station, sondern landete mit der gesamten Ausrüstung im Straßengraben. Die später durchgeführte Untersuchung des Fahrzeugs ergab, dass die Kupplung abgenutzt und das Fahrzeug deshalb ins Schleudern geraten war. In der Not versuchte man einen Schlauch an einem nahegelegenen Hydranten anzuschließen. Aber bis man endlich einsatzbereit war, stand das Bahnhofsgebäude schon lichterloh in Flammen.

Während das Gebäude bis auf die Grundmauern niederbrannte, bot sich den herbeigeeilten Schaulustigen aber ein weiteres, großartiges Schauspiel. Polarlichter in allen Farben und Formen tanzten über dem Himmel in zuvor nie gesehener Intensität. So berichtete es der Brewster Standard in seiner Ausgabe vom 20. Mai 1921.

Hatte das eine, der Brand, und das andere, die Polarlichter, etwas miteinander zu tun? Schauen wir uns die Ereignisse etwas genauer an, die sich nun zum hundertsten Mal jähren.

Sturm im Weltraum

Schwabe

Samuel Heinrich Schwabe, deutscher Astronom (1789 – 1875). Quelle: Wikipedia

Bekanntlich gibt es eine Verbindung zwischen Polarlichtern – in unseren Breiten auch Nordlichter genannt – und der Häufigkeit von Sonnenflecken. 1843 entdeckte der Botaniker und Astronom Samuel Heinrich Schwabe (1789 – 1875), dass die Anzahl der sichtbaren Sonnenflecken in einem etwa 11-jährigen Rhythmus schwankt. Zeiten mit vielen Flecken, d. h. hoher Sonnenaktivität, wechseln sich mit Perioden geringer Aktivität ab. Häufigkeit und Intensität von Polarlichtern zeigen ein ähnliches Muster, wobei die intensivsten nach einem Sonnenfleckenmaximum auftreten.

Polarlichter entstehen nach extremen Ausbrüchen im Bereich von aktiven Sonnenflecken auf der Sonne. Dort wird das solare Magnetfeld komprimiert und verstärkt. Dadurch kann weniger heiße Sonnenmaterie zur Oberfläche aufsteigen. Weil der Nachschub an Wärme hier behindert wird, kühlt das Plasma im Bereich eines Sonnenflecks ab und er erscheint dunkler als seine Umgebung, weil er weniger Licht abstrahlt. In einer Sonnenfleckengruppe ist die Polarität des größten Flecks derjenigen des kleineren Flecks oder mehrere kleineren entgegengesetzt. Zwischen den Flecken spannen sich dann Magnetfeldbögen. Wenn die magnetischen Spannungen darin zu groß werden, können sich die Magnetfeldlinien schlagartig neu verbinden. Dabei werden große Energiemengen freigesetzt und es kommt gelegentlich zu extremen Explosionen, die große Mengen Sonnenmaterie mit Geschwindigkeiten vom mehreren tausend Kilometern pro Sekunde in den Weltraum schleudern können, sogenannte koronale Massenauswürfe (CME – engl. Coronal Mass Ejection). Treffen diese Wolken auf das die Erde umgebende Magnetfeld kann dieses stark gestört werden. Gleichzeitig treten intensive Polarlichter während dieser geomagnetischen Stürme auf. In extremen Fällen entstehen in der Hochatmosphäre und am Boden starke elektrische Ströme, die die elektrische Infrastruktur unserer Zivilisation stark schädigen können.

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Kommentare (10)

  1. #1 Mars
    6. Mai 2021

    ein guter Bericht, der mir die unrasierten Nackenhaare wieder bewusst werden lässt, da sie sich aufstellen.

    auch wenn uns derzeit Corona, längerfristig noch der Klimawandel beschäftigt, lese ich von diesem Thema viel zu wenig – vermutlich weil das Fleckenminimum erst durchschritten ist.
    Hat das irgendein Politiker (der etwas mitentscheiden kann) sowas auf dem Schirm?

    nicht jeder hat ein Ersatzhandy oder Radio in der zugelöteten Blechdose … nur was soll das dann noch nutzen?

    ich glaube ja – auch wenn ich wirklich kein Prepper bin – dass uns da noch sehr viel mehr bevorsteht, so wie unsere Welt derzeit elektronisch verknüpft ist.

    Da macht Corona noch eine kleine Welle, vermutlich sind dann nicht nur Bitcoins nutzlos ???

    gerne mehr, viel mehr zum Thema
    …. das sollten ganz viele Menschen lesen.

  2. #2 Frank
    Bautzen
    6. Mai 2021

    Danke für diesen wunderbar geschriebenen Artikel! !!!

    Wer sich die aktuellen Messwerte von Hobbystationen ansehen möchte, selbst ein Magnetometer zur Beobachtung bauen möchte (Elektronikkentnisse von Nöten) oder noch weiteres Hintergrundwissen (in Englisch) gut zusammengefasst lesen möchte (erstes PDF unter “SAM”) :
    http://www.sam-magnetometer.net/

    Auch den Links dort folgen. Z.B. zu

    http://www.sam-europe.de/de/index_de.html

    Viel Spaß!
    Frank

  3. #3 Dr. Webbaer
    7. Mai 2021

    Hab’s mir durchgelesen, sehr interessant, danke, Herr Zekl.
    Interessant für mich auch die Frage, warum sich sogenannte Sonnenflecken anscheinend gut beforschen lassen, denn von der Sonne würde ich diesbezüglich sozusagen “Chaos” erwarten.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  4. #4 Birgit
    7. Mai 2021

    Sehr guter interessanter Artikel. Vielen Dank dafür.

    • #5 hzekl
      7. Mai 2021

      Hallo Birgit,

      vielen Dank.

      Bleib gesund
      Hans

  5. #6 Christian Berger
    7. Mai 2021

    Man muss sagen, dass wir allerdings Stück für Stück dabei sind die Gefahr zu bändigen. Lange oberirdische Telegraphenleitungen mit großen Abstand gibt es heute nicht mehr. Man verlegt Leitungen heute meistens unterirdisch. Lange Leitungen für die Nachrichtentechnik baut man inzwischen fast ausschließlich aus Glas.

    Was ein Problem wäre, wäre ein Ausfall von GPS, weniger wegen der Navigation, sondern weil sich sehr viele Systeme ihre Zeit davon holen. Hat man kein GPS mehr, so fallen nach und nach Mobilfunknetze und Rundfunknetze aus. Dagegen könnte man aber mit einem einfachen “Glasfaser Zeitnetz” was dagegen machen.

    Das Stromnetz wird auch stetig immer dezentraler, was auch in solchen Situationen hilft.

  6. #7 sowhat
    8. Mai 2021
  7. #8 Gabriele Richter-Uchtmann
    Munster
    11. Mai 2021

    Vielen Dank, Hans Zekl, für den interessanten Artikel! Über mögliche Folgen eines starken Sonnensturms für unsere heutige Welt wird wenig geschrieben. Ich habe mal etwas über Gefahren für Transformatoren und die immer noch reichlich vorhandenen Überlandleitungen gelesen.
    Gibt es da etwas Aktuelles?

  8. #9 Dietrich Pilsecker
    Gera
    11. Mai 2021

    Danke für diese Information !
    Wir hatten von diesen Ereignis und solchen Erscheinungen bisher keine Kenntnis.
    Einfach Toll !
    Mit freundlichen Grüssen aus Gera !
    D. u. R. Pilsecker

  9. #10 Skeptikskeptiker
    12. Mai 2021

    Wenn man davon ausgeht, dass ein Sonnensturm vom Ausmaß des Carrington-Events heute ein jahrelangen wirtschaftlichen Komplett-Lockdown zur Folge hätte, wird in der Richtung recht wenig vorgesorgt. Dazu gibt es einige Untersuchungen und – zugegebenermaßen effektheischende – Dokumentationen. Es gibt zwar durch die Sonnenbeobachtungssatelliten eine gewisse Vorwarnzeit von einigen Stunden, aber wer würde denn im Falle ein vorsorgliches Herunterfahren aller Systeme verantworten wollen, nach dem Motto: “Wird schon nicht so schlimm werden.”
    Und wenn es vor 160 Jahren passierte, muss man wohl davon ausgehen, dass es nicht so selten auftreten wird.