Wie ist ein mehr als 60 Meter hoher Turm sinnvoll für ein Museum zu nutzen? Vielleicht könnte man ihn vollständig mit Wasser füllen; Besucher im »Tauchergewand« würden dann »in eigentümlicher Weise nach oben bzw. von oben wieder nach unten befördert«. Dazu wäre lediglich das flache Turmdach als bewegliche Membran zu fertigen; Museumsbesucher würden so zu kartesischen Tauchern.

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Die Vergrößerung dieses bekannten hydrostatischen Spielzeugs war natürlich kein ernsthaft gemeinter Vorschlag. Er erschien in dem museumsinternen humoristischen Blatt »Museal-Energetische Encyclopädie« im Dezember 1912. Im Hintergrund stand allerdings tatsächlich die Frage nach der zukünftigen Nutzung des Turmes, der gerade im Rohbau fertig gestellt worden war. Denn über dessen Funktion innerhalb des Museums lagen noch keine konkreten Pläne vor. Bis zu diesem Zeitpunkt waren architektonische bzw. bauliche Überlegungen bestimmend gewesen. So war beispielsweise die imposante Höhe des Turmes nicht einem klar definierten Nutzungskonzept geschuldet. Vielmehr hatte sich der Architekt Gabriel von Seidl (1848–1913) von anderen hohen Gebäuden in der Umgebung, z.B. Kirchen, leiten lassen.

Wie der Turm letztlich zu nutzen sei, darüber ließ sich trefflich streiten. Aus der Vielzahl der mehr oder weniger originellen Vorschläge entschied man sich schließlich für das Foucault’sche Pendel im Inneren des Turmes und für die Anbringung meteorologischer Instrumente an der Außenseite:

In der ursprünglichen Vorschlagsliste war das Foucault’sche Pendel unter der Rubrik »Mechanik« eingeordnet. Doch man konnte inhaltlich noch in anderer Weise daran anknüpfen und einen Bezug zum zweiten gewählten Schwerpunkt der Turmnutzung, der Meteorologie, herstellen. Denn die mit dem Pendel nachgewiesene Erdrotation spielt in der Atmosphäre eine wichtige Rolle für die Bewegung globaler Luftströmungen. Sie wird hier meist nach dem französischen Wissenschaftler Gustave Coriolis (1792–1843) als Coriolis-Kraft bezeichnet. Doch auch unabhängig von dieser Verknüpfung des Pendels mit der Meteorologie finden sich in der ersten Vorschlagsliste zur Turmnutzung diverse weitere Vorschläge zu meteorologischen Messungen. Ein zehn Meter hohes Wasserbarometer veranschaulichte die Größe des Luftdruckes. Damit erinnerte das Museum an die historischen Anfänge des Barometers, an der die Frage stand, wieso es nicht möglich ist, mit Saugpumpen Wasser höher als zehn Meter zu pumpen. Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage führte im 17. Jahrhundert überhaupt erst zur »Wahrnehmung« des Luftdruckes und seiner Veränderlichkeit mit dem Wetter. Denn eine Erklärung lautete: Das Wasser kann in der Röhre nur so hoch gepumpt werden, bis sein Gewicht gleich dem Gewicht einer Luftsäule bis zur oberen Grenze der Atmosphäre ist. Das zum Test dieser Überlegung von dem Forscher Evangelista Torricelli (1608–1647) durchgeführte Experiment mit Quecksilber bestätigte diese Hypothese. Denn das Quecksilber stieg in einer Glasröhre, wie aufgrund der größeren Dichte des Quecksilbers im Vergleich zu Wasser zu erwarten war, nur auf ca. 76 Zentimeter.

Weitere Vorschläge zur Turmnutzung bezogen sich auf Messungen der atmosphärischen Sichtverhältnisse. Im Anschreiben an die externen Berater war auch explizit von einer Bezugnahme auf die meteorologische Station auf der Zugspitze die Rede. Die sich herauskristallisierende enge Verknüpfung von Turm und dem Thema Meteorologie war zugleich der Tatsache geschuldet, dass zum selben Zeitpunkt, zu dem die Planungen für den Turm erfolgten, auch der Bereich der Wetterkunde neu konzipiert wurde. Einige der externen Berater, die Vorschläge zur Turmnutzung machen sollten, waren daher selbst Meteorologen. Sie erhielten zwei Wunschlisten zur Bearbeitung, eine zum Turm und eine zur Meteorologie. Daher bot sich eine inhaltliche Verknüpfung an, die sich im neuen Ausstellungsgebäude auch räumlich realisieren ließ: Für die Ausstellung zur Meteorologie konnte ein Vorbau zum Turm zur Isarseite hin genutzt werden. Darüber hinaus ließ sich wiederum die enorme Höhe des Turmes gut für meteorologische Experimente nutzen. So schlug der zunehmend als enger Berater des Museums fungierende Münchener Meteorologe August Schmauß (1877–1955) beispielsweise vor, die Temperatur unten und oben am Turm zu messen. Er vermutete, dass sich auf diese Weise bei bestimmten Witterungslagen im Winter und nach klaren Nächten Temperaturumkehrungen von bis zu 3° Celsius nachweisen ließen. (Es wäre also am Boden kälter wie oben, entgegen der sonst üblichen Temperaturab­nahme mit der Höhe). Ähnlich erwartete Schmauß interessante Differenzen bei den Sichtverhältnissen am Boden und in mehr als 60 Metern Höhe.

Die stärkste Anbindung des Turmes an die Meteorologie erfolgte natürlich durch die charakteristischen Fassadenelemente Barometer, Thermometer, Hygrometer sowie Windmesser, die das Erscheinungsbild des Turmes bis zum heutigen Tage prägen. Auch wenn solche meteorologischen Instrumente bereits zum Zeitpunkt der Planungen 1912 im Vordergrund standen, begannen konkrete Arbeiten erst nach dem 1. Weltkrieg. Das Museum hatte dazu mit verschiedenen, führenden Herstellern meteorologischer Instrumente Kontakt aufgenommen. Die Aufträge gingen an die Berliner Firma Fuess für den Windmesser und das Thermometer, die Stuttgarter Firma G. Lufft für das Barometer, sowie an das Göttinger Unternehmen W. Lambrecht für das Hygrometer. Es war jedoch eine Sache, präzise und zuverlässige meteorologische Messinstrumente zu konstruieren – eine ganz andere jedoch, einen Übertragungsmechanismus von den empfindlichen Messinstrumenten zu den großen, weithin sichtbaren Anzeigen auf der Fassade des Turmes zu realisieren. Die Entwicklung dieser Übertragungsmechanismen stellte die beteiligten Firmen vor große Herausforderungen. So gab beispielsweise die Firma Lufft zu bedenken, »dass Erfahrungen über derartig große Instrumente vollständig fehlen und es daher ein Wagnis bedeute, eine solche vollständige Neukonstruktion zu liefern, zumal an Ihr Institut, wo der Besucher technisch vollkommene Instrumente zu finden erwartet.«

Alle Instrumente wurden dem Museum gestiftet. Wie der Firmenleiter Paul Fuess (1867–1944) in seinen Lebenserinnerungen berichtete, konnte er »dieses Ersuchen trotz der ziemlich hohen Herstellungskosten nicht abweisen.« Diese ‚Investition’ rechnete sich für die beteiligten Firmen jedoch in anderer Weise. Fuess war beispielsweise beeindruckt von der »feierlichen Eröffnung« des neuen Ausstellungsgebäudes »im Jahr 1925, die im Beisein von mehreren tausend Personen, Wissenschaftlern aller Art, stattfand« – und bei der eben auch die von ihm gestiftete Windmessanlage zu sehen war. Gegenüber der Firma Lufft wies das Museum darauf hin, dass es zahlreiche populärwissenschaftliche Zeitschriften sowie Zeitungen über die Turminstrumente ausführlich informiert habe. Die Firmen schätzten die von ihnen erbrachten Leistungen so hoch ein, dass sie den Museumsturm gleichsam für ihre eigenen Werbezwecke nutzten.

Als 1928, also mit dreijähriger Verspätung, noch das Thermometer zu den bereits vorhandenen Instrumenten hinzukam, hatte die äußere Gestalt des Turmes ihren Abschluss gefunden. Die ursprünglichen Hoffnungen hatten sich nun bestätigt: Das neue Museumsgebäude auf der Isarinsel hatte ein beeindruckendes, weithin sichtbares Wahrzeichen erhalten – das für alle erkennbar – , dem Thema Wetter gewidmet war.

– Dr. Christian Sichau