Technische Schaubücher der frühen Neuzeit
Bis 25. Mai 2008 zeigt die Bibliothek des Deutschen Museums in der Sonderausstellung »Theatrum Machinarum« Höhepunkte der Buchkunst.
Einem Höfling, der 1578 am französischen Königshof Jacques Bessons gerade frisch gedrucktes Theatrum instrumentorum et ma-chinarum in die Hand nahm, hat dieses Buch eine völlig neue Welt eröffnet. Sein Autor, ein 1540 in der Dauphiné im Südosten Frankreichs geborener »Ingenieur« und Mathematiker, war jedoch bereits fünf Jahre zuvor verstorben. Das großformatige Werk enthielt über 80 wertvolle Kupferstiche. Nur sehr selten war die um 1440 erfundene Kupferstichkunst bisher für die Buchillustration verwandt worden. Künstler wie Albrecht Dürer, nutzten diese Technik für die Gestaltung graphischer Werke. Doch in Büchern wurde fast ausschließlich der in seinen Darstellungsformen wesentlich gröbere Holzschnitt verwendet. Erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts zog der Kupferstich langsam in die Buchkunst zuerst Italiens und dann Frankreichs ein. Er ermöglichte wesentlich detailgenauere Illustrationen und bedeutete gerade für Werke der Naturwissenschaften und Technik einen immensen Fortschritt.
Doch es war nicht allein die noch ungewohnte Art der Illustration, die den Höfling zum Erstaunen gebracht haben wird. Viel mehr noch werden die Motive der Stiche Bewunderung ausgelöst haben: komplizierte Schöpfwerke zur Bewässerung, Bremsen für die noch seltenen Kutschen oder raffinierte Mühlen mit horizontalen Wasserrädern. Technische Geräte, die der Leser meist nur aus Erzählungen kannte, waren darin ebenso zu sehen wie noch nicht verwirklichte technische Erfindungen, so eine Vorrichtung zum Heben von Schiffswracks. Dabei waren diejenigen, die Bessons neu erschienenes Werk zu sehen bekamen, an Kostbares gewöhnt. Denn derartig aufwändig ausgeführte Werke wie das von Jacques Besson konnten sich nur sehr vermögende Buchliebhaber leisten.
Bis dahin waren technische Utopien lediglich in wenigen, vor allem im 15. Jahrhundert in Italien entstandenen technischen Handschriften zu finden. Die fantastischen, oftmals visionären Maschinenentwürfe Leonardo da Vincis stehen in der Tradition dieser Handschriften. Jacques Besson hatte in mehrjähriger Arbeit mit seinem Theatrum instrumentorum et machinarum ein Buch geschaffen, das sowohl an diese Tradition spätmittelalterlicher Handschriften anknüpfte, als auch Anregungen aus den wenigen bisher gedruckten technischen Büchern aufnahm. Dazu zählten Vitruvs De architectura libri decem, das seit 1486 mehrmals gedruckt worden war ebenso wie Georg Agricolas 1556 veröffentlichtes Werk De re metallica.
Die Verbindung von zeitgenössischen Artefakten und technischen Utopien, wie sie bei Besson erstmals zu finden ist, stellte in der sich langsam entwickelnden technischen Literatur etwas Neues dar. Bücher dieser Art werden heute als »Maschinenbücher« oder »Maschinentheater« bezeichnet. Die zeitgenössische Benennung als »Theatrum machinarum« ist ein Hinweis auf die zentrale Rolle, die den Abbildungen in diesen Werken zukommt. Über gut 200 Jahre sollten in Frankreich, Italien, Deutschland und den Niederlanden diese reichhaltig illustrierten, den heutigen Betrachter faszinierenden Werke entstehen. Die Maschinenbücher vermittelten Konstruktionsideen, die, wenn überhaupt, meist erst sehr viel später verwirklicht wurden und trugen mit ihrem Ideenreichtum sicherlich zu einem größeren Interesse an technischen Sachverhalten bei.
Die frühen 1578, 1584 und 1588 von Jacques Besson, Jean Errard und Agostino Ramelli in Frankreich veröffentlichten Werke setzten die Maßstäbe und manche der darin enthaltenen Stiche finden sich auch in deutschen Maschinenbüchern. Ebenso wie Besson lebten und wirkten auch Errard und Ramelli in höfischer Umgebung und schrieben für diese ihre Werke. Das äußerst seltene Buch Errards enthält eindrucksvolle Illustrationen, die den Schiffstransport auf Schienen oder von Schaufelrädern angetriebene Entwässerungspumpen zeigen. Doch das zweifellos bekannteste Maschinenbuch ist Ramellis Le diverse et artificiose machine, das nicht weniger als 194 Kupferstiche enthält, 20 davon nehmen sogar eine Doppelseite ein. Das Werk des Festungsbauers Ramelli gestattet es dem Leser, durch aufgebrochenes Mauerwerk auf die Mechanik von Wasserhebewerken und Mühlen zu blicken, Geheimnisse der barocken Automatentechnik aufzuspüren und in das Innere von Schwimmpanzern zu sehen. Der begleitende Text in Französisch und Italienisch erläutert die technischen Details der einzelnen Illustrationen, erlaubt jedoch meist nicht den Nachbau der dargestellten Geräte. Dies war häufig gar nicht möglich, da Ramelli fantastische Anlagen ersonnen hatte, deren Bau praktisch nicht umsetzbar war. Andere Geräte, wie das heute seltsam anmutende Bücherrad, wurden allerdings auch verwirklicht.
Die Bücher dieser französischen »Ingenieure« fanden bald in Italien Nachahmer. Das Land ist die Wiege der technischen Literatur, die meisten spätmittelalterlichen Handschriften waren ebenso hier entstanden wie einige frühe technische Drucke. Vittorio Zonca, Fausto Veranzio und Giovanni Branca publizierten 1607, 1615 und 1629 drei in Inhalt und Qualität sehr unterschiedliche Maschinenbücher. Zonca, Architekt und »Ingenieur« in Padua, stellte vor allem technische Objekte im heimatlichen Venetien dar. Durch ihn kennen wir die Schiffsrutsche am Brenta-Kanal und wissen, wie eine zeitgenössische Buchdruckerwerkstatt aussah. Anders als Zonca, der kaum utopische Entwürfe darstellt, zeichnet sich Veranzios Werk durch eine Fülle innovativer technischer Ideen aus: ein Fallschirmspringer, neuartige Brückenkonstruktionen – eine Hängebrücke und eine Eisenbogenbrücke – sowie Schwimmreifen, als »mobiles« Hilfsmittel zur Querung eines Flusses, finden sich darin. Bis zur Verwirklichung vieler der bei Veranzio zu findenden Konstrukte sollte es mehr als dreihundert Jahre dauern. Das gilt auch für den bei Branca abgebildeten Dampfbläser, der mit Dampf eine Turbine an
treibt. Doch bleibt dieses Werk vor allem hinsichtlich der Illustrationen, die hier als Holzschnitte ausgeführt wurden, ganz deutlich hinter den bisherigen Maschinenbüchern zurück.
Vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges erschienen auch in Deutschland drei Maschinenbücher. Mit ihren französischen und italienischen Vorbildern konnten sie sich jedoch kaum messen. Die Ausführung der Kupferstiche und die Typographie waren von geringerer Qualität, damit waren die Werke aber auch billiger. Dies und die deutlich ausführlicheren Begleittexte machten sie jedoch gerade für Techniker attraktiver. Nachdem Heinrich Zeising 1607 bis 1612 sein sechsteiliges Maschinenbuch mit dem Ziel, »diese Kunst der Machination etwas gemeiner zu machen«, veröffentlicht hatte, folgten wenige Jahre später die Werke des aus Frankreich stammenden Salomon de Caus (1615) und das posthum veröffentlichte Maschinentheater Jacopo Stradas (1617/18). Mit dem von Andreas Böckler verfassten Theatrum machinarum novum erschien 1661 das letzte der klassischen Maschinenbücher.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen mehrere Werke auf den Markt, die sich im Titel ebenfalls als „Theatrum machinarum” bezeichneten. Im Gegensatz zu den früheren Maschinenbüchern geht es jetzt ausschließlich um die Darstellung des zeitgenössischen Stands der Technik, – utopische Entwürfe oder Perpetua mobilia sind nun nicht mehr Thema. Das bekannteste dieser Werke stammt von Jacob Leupold, der sein Maschinenbuch als technische Enzyklopädie konzipierte. Leupold behandelt in den elf Teilen, die er bis zu seinem Tod 1727 publizierte, vor allem den Bau von Brücken, Hebezeugen und Mühlen. Zeitgleich erschienen auch in den Niederlanden mehrere Bücher, die sich nahezu ausschließlich mit dem Mühlenbau befassten. Wie nicht anders zu vermuten, stehen der Entwässerung der Polder dienende Windmühlen im Vordergrund der Darstellung. Diese späten, in Deutschland und den Niederlanden veröffentlichten Maschinenbücher, die oft auch als Mühlenbücher bezeichnet werden, bilden die Brücke zwischen der technischen Literatur der Spätrenaissance und des Barocks auf der einen Seite und den technischen Büchern der Zeit der Frühindustrialisierung auf der anderen Seite. Die äußerst detailreichen Stiche der holländischen (Wind-) Mühlenbücher ähneln bereits einer Maschinenzeichnung und wenden sich an eine fachlich gebildete Leserschaft – ganz anders als die phantasievollen Illustratoren der frühen Maschinenbücher, die auch dem Laien – wie unserem Höfling vom Beginn – beim Betrachten eine willkommene Zerstreuung boten.
Dr. Helmut Hilz leitet die Bibliothek des Deutschen Museums
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