Als ich das erste mal tote, markierte Zellen auf* meinem Mikroskop hatte, habe ich diese Zellen “gemessen”. In meiner Physik-Diplomarbeit war meine Hauptbeschäftigung das Messen. Ich hab mich mit anderen Leuten um Mess-Zeit an Mikroskopen arrangieren müssen, musste Messungen auf Servern hin und her schieben, als Speicherplatz knapp wurde, und die Frage “schreibst du schon oder misst du noch?” hing wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf, auf jeden Fall gegen Ende meiner Diplomarbeit. Jeder Experimentalphysiker wird bestätigen: Wenn man im Labor ist, ist man meistens am Messen. Und dann fand ich mich in einem Labor wieder, in dem Biologen “Bilder machen”.
Das mag jetzt irgendwie nach Wortklauberei klingen. Da ist ein Physiker und der sagt “messen”, da ist ein Biologe der sagt “Bilder machen”. So what? Andere Ausbildungen, anderer Wortschatz – nicht wirklich überraschend. Ich habe vermutlich deswegen auch lange nicht darüber nachgedacht, sondern das einfach so hingenommen. Aber da ist noch mehr.
Verständnislos
In meiner Doktorarbeit habe ich ein Mikroskop gebaut, gewartet, programmiert, benutzt, umgebaut und erweitert, aber dann mit dem Kopf geschüttelt, wenn mein Betreuer** vorbei kam und so etwas sagte wie “Ich will mal durchschauen, schalt mir das mal auf die Okulare!”. Der Physiker in mir rebellierte dagegen. Wir hatten eine Kamera an unserem Mikroskop, die einzelne Photonen detektieren konnte, die Optik war für die Ausgabe (fürs messen!) auf den Kamera-Port optimiert, die Lichtquelle leuchtete nur den Bereich aus, den die Kamera auch aufnehmen konnte – es gab keinen Grund durch die Okulare sehen zu wollen. Ich bin manchmal ein sehr starrsinniger Mensch. Natürlich habe ich auf die Okulare geschaltet, aber ich habe meiner Verständnislosigkeit über diesen Wunsch stets Ausdruck verliehen.
Am Anfang meiner Doktorarbeit habe ich nie durch die Okulare geschaut. Wozu auch? Am Kamerabild hatte ich die Kontrolle über den Kontrast, konnte Helligkeiten ablesen, Bilder vergleichen, eine quantitative Aussage treffen. Das Kamerabild war klar, auswertbar und in Graustufen, man wurde nicht beeinflusst von den verschiedenen Färbungen. Egal ob die Probe in blau, grün oder rot angefärbt war, die Bilder der Kamera waren vergleichbar. Das man die Bilder später farbig machte, zur Darstellung in einer Präsentation oder so, war tatsächlich nur etwas, dass man später halt machte.
Messen als Mission
Meine Aufgabe war eine Hochauflösungstechnik zu verbessern, einen Ansatz zu finden, mit dem wir Strukturen in zwei Farben und 3D messen konnten, mit der dSTORM*** Technik. Dabei waren die Bilder aus dem Mikroskop nur die Rohdaten. Mit einer speziellen Lösung, auf den Proben, wurden fluoreszierenden Farbstoffe dazu gebracht zu blinken. Ich machte davon Filme, Belichtung alle 0,03s, 20 000 Bilder waren ein Datensatz. Nach jeder Messung war ich um vier bis acht Gigabyte Speicherplatz, auf meiner Platte, ärmer. Diese Datenmengen wurden dann in frei verfügbare Programme**** gesteckt, die aus dem Blinken der Farbstoffe auf die Position der Moleküle schlossen. Die langen Text-Datein der Postionen steckte ich dann in meine eigene Software, die am Anfang ziemlich langsam und, offen gesagt, sch…schon nicht ganz so effizient war. Ich habe gemessen, den Computer rechnen lassen und dann aus Zahlen ein Bild ausgerechnet. Eigentlich habe ich nicht einmal ein Bild ausgerechnet, ich habe Messdaten dargestellt.
Irgendwann, im laufe der Doktorarbeit, musste ich Dinge in Zellen markieren, die ich bisher noch nie selber angefärbt hatte. “Hier, nimm den Antikörper, der funktioniert ganz gut, macht schöne Bilder wenn du ihn 1:100 einsetzt.” Das machte schon, von der Aussage her, Sinn, aber bei “funktioniert ganz gut” und “macht schöne Bilder” rebellierte der Physiker in mir. Irgendwann lernte ich auch meine eigenen Zellen zu kultivieren. “Nimm einen Milliliter davon um die Zellen abzulösen, wenn die Lösung älter ist, nimm ein bisschen mehr.” Der Physiker rebellierte in mir. “Und? Fühlen sich deine Zellen wohl?” Der Physiker in mir gab auf.
Interdisziplinäres Arbeiten
Nichts hatte mehr mit Determinismus zu tun – das war mein Gefühl. Manche Dinge in einem Biolabor sind eher wie Kuchen backen. Achte darauf, dass du alle Zutaten beisammen hast, schau auf dein Rezept und dann mach einfach nach Gefühl. Das klang schlimm für den Physiker in mir, aber eigentlich war es gar nicht so willkürlich und unwissenschaftlich, wie es sich zunächst angefühlt hat. Meine Proben waren keine standardisierten Objekte, ich habe sie aus Zellen hergestellt, die ich für diesen Zweck züchten musste. Stoffwechsel, anwachsen lassen, vermehren über einige Tage, waschen, fixieren, anfärben und so viele Dinge mehr – man kann bei so vielen Variablen nicht über alles die Kontrolle behalten. Manchmal steckte eine Woche Arbeit in einem kleinen Deckgläschen. Nach jedem Schritt schaute man auf seine Zellen, lernte dazu, wurde erfahrener und bekam ein Gefühl dafür, ob die Zellen gut aussahen.
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