Schließlich war es meine Aufgabe ein neues Protokoll zum Fixieren von Zellen zu entwickeln. Es gab bisher nur eine Anleitung, die beschrieben hat, wie mit dieser einen, bestimmten Chemikalie, Gewebeschnitte fixiert werden konnten. Ich musste das für ein paar wenige Zellen auf Glas adaptieren. Ich hatte meine Testreihen vorbereitet, verschiedene Konzentrationen angesetzt und eine Liste vorbereitet, auf der stand welche Probe, wie lang in der Lösung bleiben sollte. Nachdem alles getan war, das Experiment abgeschlossen war, ging ich in den Keller zu den Mikroskopen und machte ein paar Bilder.
Eitelkeiten
Ja, ich habe “Bilder gemacht”, und nicht gemessen. Sogar durchs Okular habe ich geschaut. Der Anblick von leuchtenden Zellen, die ich von vorne bis hinten präpariert hatte, war eine Belohnung und schön an zu sehen. Der Physiker in mir rebellierte nicht mehr. Ich hatte verstanden, dass es nicht die eine, klar definierte Herangehensweise an das wissenschaftliche Arbeiten gab, oder besser gesagt: Ich hatte jetzt eine Ahnung davon. Als ich noch Diplomand war, bezeichneten mich meine alten Physiker-Kollegen als “Molekülschubser”, weil ich in die angewandte Laserphysik gegangen bin, und sie in der theoretischen Physik waren. Das war nicht böse gemeint, ein wenig freundschaftliches Necken, könnte man sagen. Aber es gab auch immer kleine Stiche gegen die anderen Disziplinen, etwas, dass wohl jeder Student kennt. Ein Physiker sagt über Chemiker, dass diese Leute ja auch nur “Physik der äußeren Valenzelektronen” betreiben, Mathematiker sind diejenigen, die den Physikern lediglich die Sprache liefern und Biologie ist eher eine Gesellschaftswissenschaft. In der Mathematik wird zwischen angewandter und reiner [sic] Mathematik unterschieden, und die Wissenschaftler beider Teilbereiche denken natürlich, dass jeweils ihre Seite besser ist. Ich glaube auch, dass sowohl Zoologe als auch Molekularbiologe jeweils meinen, ihr Fachgebiet sei die wahre Biologie. Jeder hat so seine kleinen oder großen Eitelkeiten, jeder tut natürlich genau das richtige, jeder betreibt natürlich die einzig wahre Forschung. Wäre dem nicht so, würde man auch nicht für sein Thema brennen, eine Grundvoraussetzung um in der Forschung zu arbeiten. Leidenschaft für sein eigenes Thema ist wichtig. Aber deswegen muss man noch lange nicht alle andere scheiße finden.
Leider ist das nur menschlich. “Nicht die wirklich wahre Wissenschaft” ist eine handliche Schublade, in die man toll andere Menschen, Auffassungen und Professionen stecken kann, und dann Zeit hat über andere Sachen nachzudenken. Ich glaube das jeder irgendwo Schubladen oder irgend ein anderes internes Kategorisierungssystem benutzt. Ich persönlich würde vermutlich durchdrehen, wenn ich nicht ein bisschen vorsortieren würde. Allerdings finde ich es auch besorgniserregend, wenn man nicht ab und zu mal die Schubladen auf macht und über einen Kategoriewechsel nachdenkt.
The big picture
Überall wird das interdisziplinäre Arbeiten verlangt, und es macht vollkommen Sinn. In den Naturwissenschaften verschwimmen die Grenzen. Die Angst vor schwarzen Löchern im LHC am CERN wurde vor ein paar Jahren durchs Dorf getrieben. Man vergisst leicht, dass hier das ganz Große, die Kosmologie, und das ganz Kleine, die Teilchenphysik, plötzlich Hand in Hand arbeiteten. Astroteilchenphysik ist noch kein so altes Feld. Aber hier handelt es sich um Kooperationen zwischen theoretischen Physikern. Die sprechen wenigstens die gleiche Sprache. Ein ebenso spannendes Feld sind die Lebenswissenschaften, da wo Biologie, Biochemie, Chemie, Biophysik***** und Medizin zusammenarbeiten müssen, schaue ich persönlich mit Sorge in die Zukunft. In diesem Bereich gibt es kein CERN, kein IceCube, schlicht kein großes Projekt, dass Bemühungen bündelt, weil sich die Welt halt nur eins dieser Dinge leisten kann. In den Lebenswissenschaften sind es viele einzelne Gruppen, die miteinander im Konkurrenzkampf stehen. Da werden keine Anzeigen im täglich erscheinenden Blätterwald geschaltet, das Marketing dieser Wissenschaft sind Vermarktungsrechte für Bio-Tech Firmen und die Anzahl von wissenschaftlichen Artikeln in Nature, Science, Cell geworden. Marketing, damit eine Gruppe für den nächsten Antrag gut da steht. Nimmt man jetzt noch Befindlichkeiten der beteiligten Fachbereiche hinzu, beginnt man vielleicht pessimistisch zu werden. Biochemiker, die über Chemiker die Nase rümpfen, Biologen die einem Biophysiker mit Pipette nicht trauen, Physiker die sich über Medizinier lustig machen, wenn letztere mal eine Maßeinheit falsch haben. Kann das funktionieren?
Was noch kommt
Man hört es allen Orten: Wir brauchen mehr und bessere Wissenschaftskommunikation. Aber häufig wird vergessen, dass auch die Kommunikation zwischen den Disziplinen nichts anderes als Wissenschaftskommunikation ist. Es wird Interdisziplinarität gepredigt und es gibt so gut wie keine Ausbildung in Wissenschaftskommunikation im Bachelor, im Master oder der Doktorarbeits-Zeit. Wenn man es schafft, eine Gruppe aus Doktoranden der oben genannten Disziplinen, an einen Tisch zu setzen und nicht jeder dieser Gruppe würde zunächst grundsätzlich die Herangehensweise der anderen anzweifeln, wäre viel gewonnen. Ich glaube, dass dies zur Zeit nur in Ausnahmefällen möglich ist – aber vielleicht sehe ich da auch zu schwarz. Wer den Austausch und das Verstehen unter den Disziplinen für nicht wichtig hält, ist kurzsichtig. Wer meint, dass es nicht wichtig ist, seiner Oma erklären zu können, wie Wissenschaft geht, ist herzlos. Wer meint, dass man die Öffentlichkeit über Wissenschaft nicht informieren müsse, der vergisst das die Öffentlichkeit die Steuern zahlt, die die Wissenschaft oft erst möglich machen. Und das traurige ist: Bei vielen Wissenschaftlern liegt die Wissenschaftskommunikation in der Schublade “hinderlich” oder “lästig”. Das sind zwei andere Worte für “scheiße”.
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