Das letzte woran bei einem großen, technischen Gerät denkt ist die Software. Hat man sich gerade so ein Gerät bestellt geht man meistens sogar davon aus, dass da “schon irgendwas dabei sein wird”. Viele Mikroskope in den Lebenswissenschaften sind komplette Pakete, man hat es von einem Hersteller geordert, es wurde aufgebaut und dann wird das Ding benutzt um Bilder zu machen. Meistens ist auch eine eigene Software des Herstellers dabei, mit der man dann auch Bilder auswerten kann.

Aber das ist nicht unbedingt gut. Manche Firmen verkaufen ein Mikroskop und dann hat man eben eine Version der passenden Software. Warum sollte man denn auch mehrere Versionen haben, wenn man nicht auch mehrere Mikroskope hat? Weil man irgendwann die Bilder und Daten auswerten möchte, um seine Schlüsse zu ziehen. Ganz konkretes Beispiel aus meinem Labor: Da gibt es ein Mikroskop zudem wir auch eine Softwarelizenz haben. Wenn jemand gerade dieses Mikroskop benutzt, dann kann man sich zwar auf anderen Rechnern im Labor die Bilder anschauen, aber man kann kein einziges Bild exportieren oder irgend eine Auswertung damit machen. Wenn man das tun möchte, muss man die eine Vollversion aktivieren und in dieser Zeit kann niemand am Mikroskop arbeiten – wir haben nur eine Lizenz. Übrigens sind diese Lizenzen jetzt nicht gerade billig und müssen auch pro Jahr bezahlt werden, also arrangiert man sich irgendwie.

Ich hab in meiner Doktorarbeit ein Mikroskop gebaut. Wie funktioniert das denn da? Ja, an Software denkt man als letztes. Baut man ein Mikroskop selbst, hat man ein dickes Problem was die Software an geht. Ich habe an “meinem” Mikroskop 18 Geräte, die ich bei einer Messung über den Computer steuern muss. Fünf Laser, drei Filterräder, zwei Shutter und eine Kamera, um nur ein paar zu nennen. Da funktioniert es nicht, 18 kleine Anwendungen laufen zu haben, jede zuständig für eine Komponente. Vor allem geht das dann nicht, wenn zum Beispiel nur der grüne Laser kurz feuern soll, wenn genau der richtige Filtersatz eingestellt ist und die Kamera gerade ein Bild macht. Von der Steuerungsseite ist das eigentlich hoffnungslos, schließlich sind die Geräte von unterschiedlichen Herstellern und nicht dafür gedacht, dass sie miteinander reden.

Was tun?

Zum Glück gibt es da eine Software, die es einem ermöglicht ganz viele Geräte der verschiedensten Hersteller zu einem Mikroskop zusammen zu basteln und es zu kontrollieren. Das wird jetzt wohl kaum jemanden überraschen, nach dem oben beschriebenem Dilemma. Aber die Entstehungsgeschichte dieser Software ist ziemlich interessant. Es beginnt alles im Frühjahr 1987, der Personalcomputer hält überall Einzug, eine Mouse zu benutzen ist das “neue Ding”, Apple bringt den Mac II heraus und Microsoft arbeitet an Windows 2.0. Vor 28 Jahren verteilte der Programmierer Wayne S. Rasband am National Institute of Health (NIH) in den USA eine Software auf Diskette mit dem Namen “NIH Image” – und zwar an jeden der Bock hatte sie zu benutzen. Diese Software ist der Vorgänger von ImageJ.

ImageJ Screenshot

ImageJ Screenshot (Bild: public domain)

Mit ImageJ ist alles an Bildauswertung möglich. Das heißt, es können Abstände in den Bildern gemessen werden, Formen können erkannt werden, Spektren analysiert, Helligkeiten können ausgewertet werden und noch vielerlei Dinge mehr. Ich habe die Software schon im Studium kennen gelernt, beim Fortgeschrittenen Praktikum an der Uni Bielefeld habe ich damit die Bilder des Versuchs “Sternespektroskopie” ausgewertet. Spätestens in der Diplomarbeit, wo es um Laser und Mikroskope ging, gehört ImageJ für mich zum Standard, dass ich mich manchmal wundere, dass viele Physiker die Software gar nicht kennen – aber nicht jeder betreibt ja Forschung bei der es um Bildauswertung geht. Ist wieder so eine Tellerrand-Geschichte.

Die Firma Sun Microsystems hat 1995 die Programmiersprache Java entwickelt. Damit war es möglich einmal eine Software zu schreiben, die dann auf jedem Apple, Windows, UNIX etc. lauffähig war. Genau das tat der Programmierer von NIH Image, er begann Java zu benutzen, und das Ergebnis war ImageJ. Die Software ist open source, jeder kann also hinein schauen und verstehen wie dort was gemacht wird. Zusätzlich kann man ImageJ auch durch diverse Plug-Ins erweitern und man kann eigene Makros basteln. Dadurch ist im Netz eine große Community entstanden, die eine vielzahl von Plug-Ins geschrieben hat, für alle möglichen Fragestellungen die man an Bilder haben kann. So kamen mit der Zeit ganze Softwarepakete wie Fiji oder Icy heraus, die alle ImageJ als Grundlage haben. Alles Softwarepakete, die frei genutzt werden können. Aber irgendwann reicht es einfach nicht mehr lediglich Bilder auszuwerten. Und da ImageJ und alle Plug-Ins open Source waren, haben sich einige Menschen an der University of California, in San Francisco, zusammen gesetzt, Geld beantragt und im Prinzip ein großes Plug-In gezaubert, dass alle möglichen Geräte ansteuern kann. Und die Software heißt µManager (gesprochen Micro Manager).

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Kommentare (10)

  1. #1 Kassenwart
    11. April 2015

    @ André Lampe

    Hut ab für so viel Einsatz! Finde ich großartig!
    Hoffe man kann hier über ihren Vortrag bei der re:publica lesen (nachdem sie ihn gehalten haben)?

    • #2 André Lampe
      11. April 2015

      Das wird man hier ganz sicher lesen können!

  2. #3 Ludger
    11. April 2015

    Bei diesem Blogpost habe ich gestaunt. Die Gründe kann man an den folgenden exemplarischen Zitaten aus dem obigen Text erkennen:

    Und da ImageJ und alle Plug-Ins open Source waren, haben sich einige Menschen an der University of California, in San Francisco, zusammen gesetzt, Geld beantragt und im Prinzip ein großes Plug-In gezaubert, dass alle möglichen Geräte ansteuern kann.

    und

    Am Ende geht es um einen Wissenschaftlichen Artikel, der zeigt wie man für knapp 20 000 Euro ein Hochauflösungsmikroskop bauen kann, dessen kommerziell verfügbares Äquivalent nicht unter einer Million Euro zu haben ist.

    Menschen tun was für die Menschheit und Geld ist nicht die Hauttriebfeder. Das gibts zwar auch woanders (Linux zum Beispiel), ist aber doch bemerkenswert.

    • #4 André Lampe
      12. April 2015

      Es gibt solche Aktionen, ohne Geld als Haupttriebfeder, überraschend oft in der Forschung. Wenn man nur ein bisschen sucht, findet man schon sehr viele Beispiele. Zum Beispiel auch cellimagelibary oder ApE. Oft wird das aber gar nicht in dem Maße herausgestellt, wie diese Projekte es eigentlich verdient hätten. Wir werden auch die Software unserer Hochauflösungsmikroskopie-Technik als open source ins Netz stellen. Ich hätte da keinen Vorteil von, wenn ich das für mich behalten würde.

  3. #5 Karl Mistelberger
    12. April 2015

    > Ich hoffe, dass man ein bisschen verstehen kann, warum ich so von dieser Geschichte begeistert bin.

    Für den Ingenieur war das frühe Windows mit seiner Speichersegmentierung einfach PITA. Da kam für mich nur ein richtiges Schweizermesser in Frage.

    Spätestens seit August 95 benutzte ich Linux. Dieses Betriebssystem litt anfangs sehr unter dem Getrolle der Microsoft Code Monkeys, die mit ihren smart features eifrig Sand ins Getriebe kippten.

    Um die Jahrtausendwende begannen offene Datenformate sich durchzusetzen. Linux und seine Derivate (z.B. Android) breiteten sich aus, nicht auf dem Desktop, sonst aber überall.

    Maßgebend für den Erfolg war die Lizenzierung. Sie ermöglichte freie Benutzung, auch für Firmen, die damit Geld verdienten, verhinderte aber das weit verbreitete Foulspiel, anderer Leute Ideen in proprietäre Software umzuwandeln.

    97 Percent Of The World’s Top 500 Supercomputers Run Linux

    Und auf meinem Computer läuft openSUSE.

  4. #6 strahlenbiologe
    12. April 2015

    Schöner Artikel. Wir haben bei uns im Labor auch ein Mikroskop mit ImagJ und µmanager zusammengebaut, ein Lebendzelll-1D-FRAP an einem Widefield-Fluoreszenzmikroskop. Ein Kollege hat dafür knapp ein 3/4 Jahr gebraucht. War eine echte Mist-Arbeit. Laser, drei LEDs, UV-Lampe, Filter, Shutter, CO2, Temperatur, und nicht zuletzt der xy-Tisch; bis das alles so funktioniert hat wie wir wollten sind einige Flüche den Bach runter 😀
    Das ist halt der Nachteil von “Selbstgebasteltem”, bei Zeiss und Co. bekommst du alles out-of-the-box und ziemlich Idiotensicher in der Anwendung, dafür must du halt blechen.

    • #7 André Lampe
      12. April 2015

      Ja, das stimmt, es kann schonmal auch länger dauern und nicht gleich funktionieren. Für ein Standard WeitFeld geht es aber ganz gut. Aber vor allem will ich ja gar nicht sagen, dass man IMMER alles selber bauen muss – man kann es mal in Erwägung ziehen. Viele Out-of-the-Box Mikroskope von diversen Herstellern wie Nikon, Zeiss, Leika, Olympus, GE oder anderen sind gar nicht schlecht. Ich wollte hier heraus stellen, dass die Möglichkeit “Eigenbau” teilweise erhebliches Potential haben kann.

      Danke für deinen Kommentar und auch für das Lob! 🙂

  5. #8 Karl Mistelberger
    13. April 2015

    Nicht alles kann man kaufen. Und immer wieder einmal findet Selbstgebasteltes große Anerkennung: frequency comb synthesiser

  6. […] eure Software benutzt, dann macht sie Stand-Alone oder als Plugin für ImageJ, über das ich hier schon einmal was geschrieben habe. Im aktuellen Beispiel war es ein mittlerer, dreistelliger […]

  7. […] Am fünften Mai 2015 hab ich bei der re:publika einen Vortrag gehalten mit dem Titel “A small world made better by the internet – an example with microscopes”. Es ging darum wie der open-source-Gedanke, also frei zugängliche und offene Software, die Welt der Mikroskopie nachhaltig beeinflusst hat. Vor allem wie wichtig die Bildauswertungssoftware ImageJ für ein ganzes Forschungsfeld gewesen ist. Darüber habe ich auch schon ausführlich gebloggt: Die Frage nach der Software. […]