Im Juli 2015 war ich beim dritten Treffen des Siggener Kreises, einer Denkwerkstatt für die Zukunft der Wissenschaftskommunikation. Schon 2013 und 2014 haben wir zusammen gesessen, immer mit einer etwas anderen Auswahl an Teilnehmern. In den vergangen Jahren sind dabei der Siggener Denksanstoß und der Siggener Aufruf mit Disskussionspapier dabei heraus gekommen.
Ich hatte beim letzten Siggener Kreis das Vergnügen Roland Fischer kennen zu lernen und zusammen mit ihm, in einer kleinen Arbeitsgruppe, über die Auswirkungen der Digitalisierung in der Wissenschaftskommunikation nachzudenken. Das ist eine ziemlich weit gefasste Überschrift und so heben wir uns die Freiheit genommen einfach eine Mögliche Zukunft auf digitales Papier zu bannen. Roland ist Organisator des Mad Scientist Festivals in Bern, das am 4. September 2015 statt findet. Jedem sei ein Besuch in Bern oder wenigstens ein Besuch der Homepage mit dem Programm wärmstens an Herz gelegt. Aber kommen wir zu dem Text, den wir gemeinsam geschrieben haben:
“ScienceBook” oder etwas Ähnliches
Mit Blick in die Zukunft, in vielleicht zehn oder zwanzig Jahren, könnte es für die Wissenschaftskommunikation so aussehen: Wenn Bücher, Artikel, Daten und Prozesse, also die Wissenschaft und ihre Ergebnisse, offen und frei zugänglich für jeden sind, wird man sich einer überwältigenden Informationsflut gegenübersehen. An Forschungseinrichtungen gebundene Wissenschaftskommunikation wird es in dieser Form nicht mehr geben, denn Wissenschaftler sind nicht zwangsläufig an die klassischen Universitäten und Institute gebunden.
Wissenschaft – insbesondere die Publikation von Forschungsresultaten – wird in Netzwerken stattfinden (womöglich einem grossen monopolistischen Netzwerk wie Facebook). In diesen Netzwerken wird es andere Bewertungs- & Filtermechanismen geben als wir sie heute gewohnt sind; was die Beste, die relevanteste Wissenschaft ist, entscheiden nicht mehr einzelne Exponenten mit der entsprechenden Expertise, das Netzwerk bewertet, filtert und sortiert sich selbst: sei es nun durch Reputationssysteme (Anzahl Klicks, Anzahl Likes, Anzahl erfolgreich durchgeführter Projekte), sei es durch algorithmische Methoden oder anderes.
In diesem Netzwerk gibt es keine festen Autoritäten die Rollen zuweisen. Jeder, der am Netzwerk teil hat, kann mehrere Rollen gleichzeitig einnehmen, sei es als praktizierender Wissenschaftler, kommentierender Interessierter, einordnender Bürger oder bewertender Meta-Experte. Ein Bürger in einem Feld der Wissenschaft kann ein Wissenschaftler in einem anderen Feld sein. Ein Wissenschaftskommunikator kann durchaus ein Wissenschaftler sein, aber auch ein Bürger der großes Interesse an einem bestimmten Fachgebiet oder Themenkomplex hat. Dabei gibt es grundsätzlich keine Einbahnstraßen in der Kommunikation mehr, alle Kanäle funktionieren in beiden Richtungen. Produzenten und Rezipienten sind nicht mehr klar unterscheidbar.
Damit werden zentrale Aufgabenfelder der Wissenschaftskommunikation obsolet: die Bestimmung der Relevanz wie der Brückenschlag zwischen den entfernten Welten von Fachleuten und Laien. Es tun sich aber auch neue Felder auf, beispielsweise beim Erzählen der großen Storylines (das große Ganze in den Blick nehmen, Einzelerkenntnisse zusammenfassen, womöglich in enger Kollaboration mit praktizierenden Wissenschaftlern) oder bei der Moderation der Kommentarforen, besonders in Fällen von großem/emotionalen Interesse. Viele dieser Aufgaben werden auch außerhalb der Institutionen geleistet, von Agenturen oder Einzelpersonen ohne offizielles Mandat.
Wie gesagt, wir skizzieren hier – die Möglichkeiten der Digitalisierung ernst nehmend – nur eine mögliche Wirklichkeit. Ob es sich um eine Utopie, eine Dystopie oder irgendwas dazwischen handelt, diese Entscheidung wollen wir dem geneigten* Leser überlassen.
Fußnoten:
* vornüber vor Schmerz oder weit nach hinten vor Entsetzen
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