“Die Digitalisierung verändert alles.”
“Die klassischen Medien kämpfen ums überleben.”
“Die Bevölkerung ist zunehmend wissenschaftsfeindlich.”
Wirklich?
Ist “die Bevölkerung” das? Die Bevölkerung – also alle – ist das überhaupt eine sinnvolle Kategorie und ist so eine absolute Aussage über alle vielleicht ein guter Weg die wahre Ursache zu verdecken? Müssen die klassischen Medien wirklich kämpfen? Drohen ARD und ZDF Bankrott zu gehen? Haben ZEIT, Welt und Süddeutsche keine Leser*innen mehr? Ändert die Digitalisierung wirklich alles, auch die Freiheit von Kunst und Wissenschaft? Die unantastbare Menschenwürde? Werden sich Hunde und Katzen paaren können? Um es mit den Worten von Wilson aus Hör mal wer da hämmert zu sagen: „Ich denke nicht, Tim.“
Immer diese…
…generalisierten, absoluten Aussagen – oder um es mit einer weiteren Popkultur-Referenz auszudrücken: „Nur ein Sith kennt nichts als Extreme!“, was den Jedi-Ritter Obiwan eigentlich selbst zu einem Sith macht. Auch wenn man mit Star Wars und den Jedi nichts anfangen kann, ist das ein schönes Beispiel wie man sich durch eine starke Vereinfachung selbst austrickst. Zum Glück sind wir Wissenschaftler*innen. Wir sind kritisch und hinterfragen gerne; das gehört zur Ausbildung. Natürlich wissen wir, dass die Digitalisierung sehr viel verändert, aber natürlich nicht das Verhalten von Tieren, die Grundrechte, die Sonne, die Farbe des Hirnrnels oder die Tatsache das sich manche Betriebswirte mit Schweinebauch-Futures beschäftigen. Uns ist auch klar, dass „Die Digitalisierung ändert ein bisschen was“ eben keine Aussage ist, die Aufmerksamkeit erregt, die eine Emotion auslöst. Das bringt das Wissenschaftler*innen-sein so mit sich. Würden wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, würde ich schelmisch grinsen und Sie würden wissend nicken – schließlich ist ihnen sofort aufgefallen, dass ich weiter oben „Himmel“ mit RNRN geschrieben habe. Wir sind alle ziemlich clever, und ich meine das vollkommen ohne Ironie. Wir müssen clever sein. Jeder von uns arbeitet, wenigstens teilweise, mit seiner Wissenschaft an der Forschungsgrenze, da wo man niemanden fragen kann, weil es noch keiner weiß. Und wir tun das trotz so widriger Umstände wie Drittmittelaquise, Verwaltungsarbeit, Lehrverpflichtungen, dem Druck zu Veröffentlichen und vielen weiteren Stöckchen, die einem das Hochschul- und Wissenschaftssystem in die Speichen stecken will.
Das Tagesgeschäft
Man hat ziemlich viel zu tun als Wissenschaftler*in, ziemlich viel was eigentlich gar keine Forschung ist, aber trotzdem gemacht werden muss – es muss ja alles seine Ordnung haben. Und plötzlich soll man für Geld von der EU auch noch ein Kommunikationskonzept vorlegen, eine Strategie wie man sein Forschungsvorhaben und die Ergebnisse an die Öffentlichkeit vermittelt. Auf Bundesebene wird so etwas auch gerne gesehen, wenn auch noch nicht so explizit verlangt, wobei von dort immer mehr Töne in Richtung Dialog mit Bürgern*innen und sogar Bürger*innenbeteiligung zu vernehmen sind. Das klingt bedrohlich in unseren Ohren, nicht wahr? Sehen wir der Realität ins Gesicht: Wissenschaftler*innen haben viel mehr mit Garth aus Wayne‘s World gemein als wir zugeben wollen.
Ich könnte jetzt mit der moralischen Keule um die Ecke kommen, und sagen, dass es sich für ein steuerfinanziertes Ding wie Forschung gehört, dass man da auch offen legt was man getan hat und der Steuerzahler*in über den Prozess und spätestens das Ergebnis zu informieren hat. Ich mag diese moralische Keule eigentlich nicht, weswegen ich den vorherigen Satz auch mit „Ich könnte…“ eingeleitet habe. Das macht die moralische Keule weniger schmerzhaft und trotzdem schlägt sie zu. Hin und wieder ist ein Perspektivwechsel keine schlechte Idee.
Der Kern der Sache
Aber nachdem ich jetzt knapp 560 Wörter um den heißen Brei herum geschlichen bin, möchte ich dieses wenig respektvolle und prätentiöse Spiel mit Sprache sein lassen. Ich habe sehr viel meiner Forschungsarbeit nach außen kommuniziert und dadurch viele Vorteile und schöne Erlebnisse erfahren. Ich habe angefangen Twitter zu nutzen und musste überrascht feststellen: Dieses soziale Medium bringt mich als Wissenschaftler weiter. Ich kann mich mit anderen aus meinem Forschungsfeld sehr gut vernetzen, ich knüpfe neue Kontakte ohne direkte Begegnungen im echten Leben, ich kann Konferenzen folgen ohne anwesend zu sein und ich erfahre früher von Veröffentlichungen in meinem Feld als das die Alerts bei diversen Journalen für mich leisten. Ich begann zu bloggen und stellte fest, dass ich längst nicht alles aus meinem Feld weiß, dass ich oft Schwierigkeiten habe die grundlegenden Dinge präzise und einfach zu erklären, dass ich mir das ein oder andere wohl lieber nochmal genauer durchlese. Ich bin dadurch reflektierter und besser geworden was das Erklären angeht, aber auch was die Herangehensweise bei der Forschung selbst betrifft, besonders im interdisziplinären Kontext. Ich habe mich wiederholt vor ein Laienpublikum gestellt und über meine Arbeit in der Wissenschaft erzählt, aber auch andere spannende Dinge aus der Forschung genommen und sie in eine Geschichte gepackt, der man gerne zuhört. Neben interessierten Nachfragen und Anerkennung dafür habe ich vor allem festgestellt, dass mir dies dabei hilft festzustellen worüber ich noch nicht ausführlich genug nachgedacht habe. Einige Funktionen und Prozesse des Mikroskops, das ich im Rahmen meiner Doktorarbeit gebaut habe, würden heute nicht existieren, wenn ich nicht gezwungen gewesen wäre mein Projekt in sehr einfachen Worten einer Vielzahl von Laien zu erklären. Erst das Nachdenken über die Vereinfachung hat mir gezeigt an welchen Stellen noch Verbesserungen möglich sind, die das Projekt selbst voranbringen konnten. Als Wissenschaftler*in muss man hinterfragen – vor allem sich selbst. Ein paar Schritte nach außen gehen hilft dabei.
Jede/r Wissenschaftler*in ist anders, jede/r hat andere Vorstellungen und Gewohnheiten. Ich würde niemandem vorschreiben wollen Twitter, Blogs und Bühnen zu nutzen, weil das bei mir so toll funktioniert hat*. Es gibt so viel mehr Möglichkeiten, aber man muss ein bisschen offen sein, ein bisschen fragen und ein wenig Vertrauen haben in die professionellen Kommunikatoren der eigenen Einrichtung – um sich etwas leiten zu lassen. Ob die Bühne, Twitter oder anderes wirklich nicht zu einer Persönlichkeit passen, kann man erst wissen, wenn man es ausprobiert hat. Und selbst wenn man feststellt, dass dieses oder jenes nichts für einen selbst ist, vergessen sie niemals: Extreme Aussagen sind der Weg zur dunklen Seite der Macht.
Fußnoten:
* toll funktioniert = ich bin zufrieden.
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