Der Knackpunkt ist der Detektor. Wenn das menschliche Auge aus dem Spiel ist und eine Kamera eingesetzt wird, spielt vor allem die Pixelgröße des CCD- oder COMS-Chips in der Kamera eine Rolle und evtl. auch noch zusätzliche Linsen vor dem Sensor. Damit kann ich dann ausrechnen, welche Dimension ein Pixel im Digitalen Bild meiner Probe hat. Zum Beispiel: Ich benutze ein 4fach Objektiv und habe eine Kamera dahinter mit einer Pixelgröße von 3 µm. Damit errechnet sich die Größe eines Pixels in meinem Mikroskopiebild zu 3 µm / 4 = 0,75 µm oder 750 nm. Wenn man schon so weit ist, kann man sein Mikroskopiebild auch mit einem Maßstab (oder scale bar) ausstatten – denn wenn man an der Vergrößerungsangabe festhalten wollen würde, müsste die Angabe korrekt “4fache Vergrößerung bei 3 µm Pixelgröße im Detektor” lauten.
2. Problem: digitale Bilder
“Warum soll man denn keine Vergrößerung bei digitalen Bildern angeben?” – Weil sich das auf das menschliche Auge bezieht und niemand Einfluss darauf hat, wie das Bild später angezeigt wird. Ich kann nicht kontrollieren, ob sich jemand ein Bild von mir auf seinem Rechner zu Hause anschaut, unterwegs auf dem Handy, im Zug auf dem Tablet oder ausgedruckt auf Papier im Büro. Ich habe keine Kontrolle, wie groß das Bild später wiedergegeben wird – also kann ich auch keine Aussage dazu treffen, wie es sich mit der Vergrößerung verhält.
Wenn man ein Bild beispielsweise in einer Zeitung abdruckt, und genau weiß, wie groß das Bild später im Druck sein wird, dann wäre es theoretisch OK eine Vergrößerung in “XXfach” anzugeben. Ich würde aber auch davon abraten. Nicht nur, weil es wohl keine Zeitung mehr ohne online-Version gibt, sondern auch wegen dem schwerwiegendsten Problem mit der ganzen Geschichte: der Verständlichkeit.
3. Problem: Verständlichkeit
Hier schlägt die Wissenschaftskommunikation zu. Es macht keinen Sinn jemandem eine Information zu geben (20fache Vergrößerung), zu der man eine Zusatzinformation braucht (bezogen auf 25cm entfernt vom freien Auge), um zu verstehen was damit gemeint sein soll. Selbst wenn man Kenntnis von der Zusatzinformation hat – wir Menschen sind ziemlich schlecht darin uns eine Multiplikation vorzustellen. Angaben wie “20-mal größer” oder “100-mal größer” helfen uns kaum dabei uns vorzustellen, wie groß etwas im Bezug zu unserer Umwelt ist.
Viel besser wäre es etwas anzubieten, das wenigstens die Chance hat, eine Verbindung zu unserer Alltagserfahrung herzustellen. Für Größenverhältnisse benutzen Landkarten schon seit je her einen Maßstab: “Diese Länge entspricht 1 km auf der Karte”. Wir haben gelernt etwas damit anzufangen und für das Verständnis ist keine Zusatzinformation nötig. In den Lebenswissenschaften ist es übrigens Standard, dass man Mikroskopiebilder mit einem Maßstab versieht. “Diese Länge entspricht 1 µm im Bild” ist eine Pflichtangabe für jede wissenschaftliche Veröffentlichung und jeden Vortrag. Um ein Gefühl für die kleinen Dimensionen zu entwickeln, habe ich eine Abbildung gebastelt, die eine Referenz für verschiedene Längen liefert. Weil ich glaube, dass dies sinnvoll ist, und ganz im Sinne von open science, ist diese Abbildung public domain. Nehmt und nutzt das Bild wie ihr wollt – wenn ihr Bock habt, nennt meinen Namen oder linkt hier her 😉 .
Der Maßstab
Ich füge eigentlich immer einen Maßstab in meine Mikroskopiebilder ein – vor allem aus den Gründen, die oben unter “3. Problem: Verständlichkeit” aufgeführt sind. Und das ist überhaupt nicht schwierig zu machen. Forschungsmikroskope sind in der Regel bereits kalibriert und liefern die Option einen Maßstab in ein Bild einzufügen. Wenn man diese Funktion nicht zur Verfügung hat, kann man einen Maßstab unter das Mikroskop legen und selbst nachmessen, beziehungsweise sein Mikroskop selbst “kalibrieren”. Dafür braucht man nur eine Referenz, die man unter das Mikroskop legt. Für geringe Vergrößerungen kann man einfach die Millimeter-Striche auf einem Lineal oder Geodreieck nehmen. Für ein paar Cent kann man sich aber auch kleine Folien kaufen, die man unter das Mikroskop legen kann, wie im folgenden Bild gezeigt.
Wenn man eine solche Folie statt der Probe unter das Mikroskop legt (oder auf die Probe 😉 ), kann man mit einfachen Bildanalyse-Werkzeugen (ImageJ, Fiji, etc.) die Pixelgröße im Bild bestimmen. Das habe ich bei meiner Serie Dinge unter’m Mikroskop immer so gemacht, bei jedem Bild. Verwendet man ein Schülermikroskop mit Okularkamera, muss man diese Messung sogar nur einmal für jedes Objektiv durchführen und sich die ermittelte Pixelgröße merken – daran sollte sich über die Zeit nur minimal etwas ändern. Wenn man seine Bilder mit dem Smartphone durch das Okular aufnimmt, würde ich schon dazu raten, zu jeder Probe eine eigene Kalibrierung mit so einer Folie aufzunehmen.
Auflösung Bilderrätsel
Aber jetzt will ich noch das Bilderrätsel vom Anfang dieses Artikels auflösen. Ich habe mit verschiedenen Optiken und verschiedenen Kameras Bilder einer Probe gemacht. Ich habe die Bilder nicht vergrößert oder verkleinert sondern so, wie sie waren, in meine Bildbearbeitungs-Software geladen. Ich habe lediglich die Bilder, die ich mit dem Smartphone durchs Okular aufgenommen habe, etwas beschnitten. Na? Wer hat denn richtig geraten?
Besonders beim unteren Gitter-Bild von c kann man eine Verzerrung des Bildes erkennen. Das liegt vor allem daran, dass es manchmal nicht so einfach ist, mit dem Smartphone den richtigen Winkel und den richtigen Abstand zum Okular zu erwischen. So ein Gitter ist also auch ganz praktisch, um Abbildungsfehlern in der Optik auf die Schliche zu kommen (oder einem falschen Abstand zum Okular, wenn man das Handy benutzt). Diese Gitter-Messungen würde ich niemals in einer wissenschaftlichen Arbeit benutzen, da das Gitter nicht wirklich regelmäßig ist und der Hersteller auch keine Fehlerangabe gemacht hat. Aber was will man auch von einem Cent-Artikel erwarten? Es gibt Gitter für das wissenschaftliche Arbeiten, die in Glas geätzt sind und eine sehr hohe Genauigkeit aufweisen. Aber eine solche Folie ist vollkommen ausreichend um einen ungefähren Maßstab anzugeben, damit sich Betrachter*innen die Größenverhältnisse vorstellen können.
Die verschiedenen Vergrößerungen und Größen der Bilder im Bilderrätsel sind auf die verwendeten Optiken und Pixelgrößen der Sensoren zurück zu führen. Wenn ich mein Smartphone benutze, sind Objektiv, Okular und Optik des Smartphones beteiligt – die Pixelgrößen des Sensors in meinem Telefon kenne ich gar nicht. Bei den Okularkameras ist nur das Objektiv beteiligt gewesen. Bei einigen Okularkameras sitzt noch eine Reduktionslinse vor dem Sensor, häufig mit einer “Vergrößerung” von 0,45fach bis 0,6fach (im Bilderrätsel nicht verwendet). Meiner Meinung nach illustriert das Bilderrätsel sehr schön, warum eine Angabe der Vergrößerung wenig Sinn macht. Wenn man einfach sagt, dass die runde Struktur in der Mitte der Bilder eine Breite von ungefähr 0,35 mm hat, kann man sich schon leichter etwas darunter vorstellen.
Eine Bitte
Also, liebe Wissenschaftsjournalisten, liebe Pressestellen, liebe Wikipedia-Autoren und alle, die sich irgendwie mit Mikroskopiebildern beschäftigen. Bitte verwendet Maßstäbe oder Größenangaben im Text zum Bild und nicht eine Angabe der “Vergrößerung” die besonders bei digitalen Bildern keinen Sinn macht und nicht zum Verständnis des Bildes beiträgt. Bitte.
Wer dabei Hilfe braucht, kann sich gerne bei mir melden. Entweder in den Kommentaren oder unter andre.lampe{ät]fu-berlin.de – ich helfe gerne!
Übrigens ist meine Leidenschaft für den “scale bar” mittlerweile so groß geworden, dass ich bei einem bestimmten Lied von Electric Six aus dem Jahr 2003 “scale bar” anstatt des Refrains höre. Ich lasse euch die Wahl danach zu suchen, aber Vorsicht: das bleibt im Kopf stecken 😉 .
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