Ordnen Sie die folgenden Tiere evolutionsgemäß einer chronologischen Reihenfolge zu:
- Fisch
- Salamander
- Frosch
Die Antwort ist meistens folgende: 1) Fisch, 2) Frosch, 3) Salamander. Dabei steckt da selbstverständlich ein gedanklicher Fehler drin. Bei allen handelt es sich um rezente, also heute lebende Tierarten, und keine stammt von einer der anderen ab. Richtig wäre folgende Reihenfolge:
Fisch Frosch Salamander
Oder auch:
Salamander Fisch Frosch
Die Reihenfolge ist beliebig, Hauptsache ist dass alle nebeneinander stehen. Der Grund warum eine Abfolge von Wasser zu Land aber so intuitiv erscheint, ist weil es so in der Schule, in den Medien und zuletzt in einer Zeitschrift, die ich in der Bahnhofsbuchhandlung gefunden habe, gelehrt wird: GEOkompakt, Nr. 23: Evolution. Klar, dort handelt sich dabei nicht um rezente Arten, sondern vernünftigerweise um deren Urahnen, die aus dem Wasser steigen um an Land ein neues Heim zu gestalten. Aber selbst bei vorsichtigem Umgang mit dem Thema besteht die Gefahr einer Vereinfachung bis hin zur Karikatur.
Auf die Gefahr hin eine uralte Diskussion loszutreten: Evolution ist kein gerichteter Prozess vom Einzeller im Wasser bis hin zur Krone des Lebens, dem Mensch. Es gibt immer noch Einzeller im Wasser, und den Mensch gibt es erst seit ein paar Millionen Jahren. Diese Richtungsweisung findet sich auch in dem neuen GEO Sonderheft. Den Überschriften nach beginnt es mit „Der ersten Zelle”, und geht über das „Erfolgsmodell Skelett” und dem „Fisch mit Beinen” ans Land zum glänzenden Finale, dem „Triumph der Säuger”. Man mag den Menschen als Triumph gerne sehen, sind wir doch die ersten aller Tierarten die (unter anderem) das iPhone erfanden, aber aus evolutionsbiologischer Sicht sind die eigentlichen Herrscher der Welt … die Bakterien. Ihre Biologie erlaubte es ihnen seit ca. 4 Milliarden Jahren zu existieren. Und auch heute gibt es kaum einen Ort auf der Welt (und in unserem Körper), der nicht von Bakterien besiedelt wurde. Und nicht zuletzt: Wir alle sind Nachkommen von Bakterien. Ich denke im evolutionistischen Vergleich schneidet der Mensch hier schlecht ab.
Dieses Argument bildet den Kern des Buches „Illusion Fortschritt” von Stephen Jay Gould. Erschienen 1996 ist es immer noch höchst relevant und interessant zu lesen. Besonders wenn man Interesse an Baseball hat, denn aus diesem Bereich nutzt Gould eine faszinierende, wenngleich auch nicht in jeder Hinsicht treffende Analogie. Der kompliziertere Teil des Buches behandelt jedoch die Frage nach Komplexität und Fortschritt. Gibt es eine Tendenz zu immer fortschrittlicheren und somit komplexeren Lebewesen? Gould argumentiert, dass Komplexität ein Nebeneffekt sei. Zu Beginn war alles Leben notwendigerweise simpel. Von dort gab es nur eine Richtung: Höhere Komplexität. Und am rechten Rand der Kurve ansteigender Komplexität findet sich der Mensch. Wir sind weit vom Mittelwert entfernt, und aus statistischer Sicht sind wir noch nicht mal in der Nähe der Standardabweichung. Wir sind „ein zufälliges Ergebnis eines unvorhersehbaren Prozesses ohne Drang zur Komplexität”. Die Mehrheit des Lebens auf der Welt ist aus unserer Sicht alles andere als komplex.
Doch eben dieser Gedanke bringt uns wieder zurück zu GEO. Goulds Argument war, dass sich Lebewesen generell nicht zu komplexeren Formen hin entwickeln (er hat sogar Beispiele für einen entgegengesetzten Trend). Und dabei macht er den gleichen Fehler wie GEO – er schaut sich Evolution aus unserer Sicht an. Was ist Komplexität überhaupt? Richard Dawkins hat in seiner Kritik von Goulds Buch das Ganze wesentlich eloquenter formuliert: Komplexität ist eine „Ansammlung von Anpassungen an den jeweiligen Lebensraum”. Durch fortwährende Anhäufung von Merkmalen im Laufe der Evolution wird jedes Lebewesen zwangsläufig komplexer als seine Vorfahren. Vorausgesetzt, man betrachtet es nicht nur aus unserer Sicht.
Was mich nun an der neuen GEOkompakt stört ist die fehlende Objektivität bei der Behandlung des Themas Evolution. Große evolutionsgeschichtliche Epochen werden immer nach den Neuankömmlingen benannt („Die Zeit der Reptilien”, „die Zeit der Menschen” etc.), wobei vergessen wird dass andere Klassen weiterhin existieren und durchaus interessante Veränderungen durchmachen. Durch das Auftauchen der ersten Amphibien-ähnlichen Tiere haben Fische schließlich nicht plötzlich aufgehört, sich weiter zu entwickeln. Doch durch diese Darstellung gewinnt man als Leser immer den Eindruck, dass wir am Ende einer „Evolutionsleiter” stehen. Es ist schade dass Medien nicht mittlerweile davon Abstand nehmen und uns an der Stelle zeigen wo wir eigentlich sind, irgendwo inmitten vom faszinierenden Baum des Lebens, oder wie Gould es beschreibt: in der Komplexitätskurve ganz unten rechts.
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