Der dreistachlige Stichling ist ein Fisch, der für Evolutionsbiologen fast so wertvoll ist wie Drosophila und die Wanderratte. Ein Hauptunterschied ist dabei aber dass diese Fische wertvoller sind, wenn sie nicht bis zur Unkenntlichkeit gekreuzt werden. Unsere Laborratte ist mittlerweile eine Unterart der Wanderratte Rattus norvegicus und von den Taufliegen (nicht Fruchtfliegen, wie häufig angenommen wird) gibt es so viele Mutanten dass man leicht vergessen könnte welches doch jetzt der Wildtyp war. Nein, Stichlinge werden meist direkt aus der Natur genommen, denn dort haben sie ein paar außergewöhnliche Eigenschaften angenommen.
Stichlinge sind bis zu 10 cm große Meeresfische. Aber nach der letzten Eiszeit begannen sie Süßgewässer zu besiedeln. Im Meer besitzen sie meist eine Art Rüstung, mit Stacheln auf der Rückenflosse und Knochenplatten anstatt von Schuppen. Zur Paarungszeit nehmen viele Arten beeindruckende Farben an, mit denen sie um die Weibchen werben. Findet ein Männchen seinen Partner, folgt er ihr meist in eine Art Höhle in der er sie durch Anstoßen zur Eiablage animiert. Dann verschwindet das Weibchen und der Stichling befruchtet die gelegten Eier. Der Herr ist es hier auch der sich um die Brutpflege kümmert indem er durch Wedeln genug Sauerstoff beschafft.
Schon Niko Tinbergen führte Versuche an dem Stichling durch. Das war 1952. Mittlerweile hat sich dieser Fisch zu einem Modetier für Evolution und phänotypische Plastizität entwickelt. Denn Stichlinge sind ausgeprägte Wanderer. Da eine unterschiedliche Umwelt viele veränderte Faktoren mit sich bringt (z.B. andere Temperatur, stärkere Regenwahrscheinlichkeit, neue Raubtiere), haben Stichlinge sich so entwickelt, dass sie je nach Umwelt unterschiedliche Phänotypen ausprägen. Besonders Prädatoren beeinflussen das Verhalten aber auch morphologische Veränderungen (etwa die Intensität der Färbung) variieren sobald ein Stichling von Salz- ins Süßwasser gelangt. Diese von der Umwelt kontrollierte Plastizität erlaubt ihnen das Überleben in variablen Lebensräumen und deshalb auch das Wandern in neue Gebiete.
Doch phänotypische Plastizität alleine hat es den Fischen nicht erlaubt, den Sprung vom Meer in die Seen zu machen. Letztes Jahr hat Rowan Barrett von der Universität in British Columbia, Kanada, entdeckt dass ein Gen, das bei Süßwasser-Unterarten die Knochenplatten reduziert, außerdem für die Tendenz zur Wanderung verantwortlich ist. Tiere mit einem bestimmten Allel dieses Gens wandern eher zu anderen Gewässern, wobei es sich dabei nicht um eine Präferenz für höheren oder geringeren Salzgehalt handelt. Das Wandern alleine macht den Unterschied.
Oben: Marine Stichlinge (das bunte Männchen ist unten); Unten: Rowan Barrett und Kollegen testen wie kalt das Wasser ist. (Quelle: Rowan Barrett, UBC)
Nun hat Barrett ein Experiment gemacht, von dem die Vancouver Sun (hoffentlich nicht die kanadische Variante der berüchtigten The Sun) behauptet dass es „eine der schnellsten evolutionären Reaktionen” zeigt, die von Wissenschaftlern bisher beobachtet wurden. (Was die Zeitung meinte ist dass es einer der schnellsten Fälle von in der Natur beobachteter phenotypischer Adaption ist.) Barrets Team transferierte Stichlinge aus dem Meer in einen Süßwassersee und untersuchte welche Tiefsttemperaturen die Fische aushielten. Innerhalb von drei Generationen hat sich der Mittelwert der Kältetoleranz um 2,5 °C nach unten verlagert. Dabei ist es nicht phänotypische Plastizität, sondern starker Selektionsdruck, der dafür gesorgt hat, dass der dreistachlige Stichling im Experiment sich an eine neue Umgebung anpassen kann.
Der Unterschied ist ganz einfach der: In einem Fall sind verschiedene Allele in der Population, die mitunter für variable Kältetoleranz verantwortlich sind, und bei einem starken Selektionsdruck verschiebt sich die Allelfrequenz innerhalb der Population bei der Umsiedlung in einen neuen Lebensraum, i.e. ins Süßwasser, hin zur stärkeren Toleranz. Phänotypische Plastizität hingegen braucht keine verschiedenen Allele; der individuelle Fisch hat die Fähigkeit, seinen Phänotyp zu ändern. Das passiert durch verstärkte Genregulation, gesteigerte Hormonproduktion und andere physiologische Prozesse.
Während in diesem Experiment die Stichlinge sich über ganz wenige Generationen an neue Temperaturen angepasst haben, heißt das jedoch nicht dass sie gegen starke Klimaschwankungen immun sind. Die experimentelle Süßwasser-Population, so sagt Barrett, ist nach der dritten Generation in einem der kältesten Winter seit Temperaturaufzeichnung komplett umgekommen. Drei Generationen haben also anscheinend nicht genügt um sich auf solch einen verhängnisvollen Temperatursturz vorzubereiten.
Rowan Barrett hat übrigens in der letzten Woche seinen Doktortitel offiziell bekommen. Dazu sage ich nur: Glückwunsch!
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