Did you hear the one about Charles Darwin having a conversation with a follicle mite? Oh, tut mir leid, falsche Sprache. Dabei ist Englisch manchmal echt eine Sprache, die es sich zu lernen lohnt. Man denke an die beeindruckende Stimme von Captain Jean-Luc Picard persönlich, Patrick Stewart. Oder den Wortwitz von Douglas Adams. Charles Darwins “On the Origin of Species” ist auch eines dieser Bücher, die im Original zum Teil wunderschön, im alten deutsch jedoch wirklich schwerfällig sind. In der Übersetzung geht vieles vom originalen Charme verloren. Doch in manchen Fällen kommt man ohne Englischkenntnisse noch nicht einmal so weit, sich über eine Übersetzung zu ärgern. Manchmal gibt es keine Übersetzung. Das ist der Fall bei dem von mir gerade erst entdeckten Buch “The Sandwalk Adventures”, einem Gespräch zwischen Charles Darwin und einer Haarbalgmilbe in seiner linken Augenbraue.
Richtig gelesen – in der linken Augenbraue.
Haarbalgmilben der Gattung Demodex sind winzige Parasiten, die in unseren Haarfollikeln (der Einstülpung in der Haut an der Haarbasis) leben. Ungefähr jeder zweite erwachsene Mensch hat sie, und in den meisten Fällen sind sie völlig harmlos. Ganz selten wächst ihre Population so stark dass es anfangen kann zu jucken. Und genau so ein Tier fängt in “The Sandwalk Adventures” ein Gespräch mit Darwin an.
Bei dem Buch handelt es sich um einen Comic, der bereits 2003 erschienen ist. Er wurde geschrieben vom US-amerikanischen Professor Jay Hosler, der am Juniata College in Pennsylvania arbeitet und in seiner Freizeit … zeichnet. Mit seinem Verlag, Active Synapse, produzierte er mittlerweile drei Bücher zu Biologie und Evolution. Ein viertes ist gerade in Vorbereitung.
The Sandwalk Adventures
Während Charles eines Morgens, nichts Böses denkend, an einem Forschungsprojekt über Würmer arbeitet, hört er plötzlich eine Stimme. Nach anfänglicher Verwirrung stellt sich heraus, dass diese Stimme Mara gehört, einer Milbe in seiner Augenbraue. Mara und ihre Familie leben seit Generationen dort und erzählen sich Geschichten von ihrer Erschaffung durch den mächtigen Gott Flycatcher, einem jungen Charles Darwin. Als Mara genauer erfahren möchte was es damit auf sich hat, nimmt Darwin seinen Stock und geht auf seinen mittäglichen Spaziergang, um sich die Zeit zu nehmen, Mara mal genauer zu erklären, woher wir denn alle kommen.
“Unsere Geschichten wurden von Milbe zu Milbe seit Generationen weiter gegeben, seit dem Anfang der Zeit, als die Welt noch nicht geformt war. … Das war vor 350 Generation, also – da Haarbalgmilben-Generationen 2 Monate dauern – 6 Generationen pro Jahr – 350 durch 6 – vor 58 Jahren!”DARWIN:
“Nun, dann habe ich schon – mal sehen, 6 mal 14 – 74 eurer Generationen vor euren frühesten Geschichten gelebt.”
MARA:
“Äh, das sind 84 Generationen.”
DARWIN:
“Gut, gut. Was ich sagen will, ist, dass eure Welt nicht zu der Zeit begann, von der es eure Geschichten behaupten.”
MARA:
“DIE WELT IST ÄLTER ALS 58 JAHRE??!!”
Im Laufe der Geschichte fängt Mara mehr und mehr an, die Geschichten ihrer Familie in Frage zu stellen. Wenn sie an der Reihe ist, eine Geschichte zu erzählen, fällt es ihr schwer, die neuen Erkenntnisse zum “Survival of the Fittest” nicht mit einzubauen.
Prof. Hosler erzählt nicht nur von Darwins Leben und seinen Sorgen bei der Suche nach der Wahrheit, er erweckt die Evolutionstheorien Darwins auch auf unterhaltsame Weise zum Leben. Die 5 Kapitel des Buches folgen dabei dem gleichen Weg, den Darwin nahm, um seine Theorie aufzustellen. In God’s Follicle geht es um den Schöpfungsgedanken der Milben und die Erkenntnis, dass daran nicht alles so ohne Weiteres stimmt. The Stone Path handelt von Darwins Reise auf der Beagle, durch die er auf die immense Vielfalt im Tier- und Pflanzenreich aufmerksam wurde. In Darwin Saves the World lernen wir mehr über Fitness, und in The Application of Pressure lernt Mara am eigenen Leibe was Selektionsdruck bedeutet. Das Buch schließt mit dem Kapitel Legacy: Darin geht es um Darwins großes Problem zur Vererbbarkeit von Eigenschaften. Wie können Merkmale der Überlebenden an die nächste Generation weiter gegeben werden? Darwin kannte DNA noch nicht.
Das Buch funktioniert als Lehrbuch der Wissenschaft, Wissenschaftsgeschichte, Soziologie und Philosophie. Es ist vielleicht an Kinder gerichtet, doch jedes Kind wird bei einem erneuten Lesen Kleinigkeiten entdecken, die man erst nach Jahren versteht. Auch als “Erwachsener” habe ich mich bei diesem Buch köstlich unterhalten, wozu die absurden und verrückt-humorvollen Dialoge und Situationen sicher beigetragen haben. Wo sonst lernt man, dass Haarbalgmilben keinen Hintern haben, und auch keinen brauchen?!
“Ehrlich, wir sollten ihn [Darwin] Sachen fragen. Wir könnten endlich die Antworten zu den großen Fragen des Lebens bekommen.”
“Wie welche zum Beispiel?”
“Na ja, zum Beispiel warum wir keine Hintern haben.”
Am Ende ist “The Sandwalk Adventures” genau das, was drauf steht – eine Abenteuergeschichte mit zwei unerwarteten aber liebevollen Charakteren. Ich habe vielleicht sieben Jahre gebraucht, um es zu entdecken; weiterempfehlen kann ich es aber sofort.
Hier ein kleiner Comic von Prof. Hosler, der noch vor Sandwalk entstanden ist.
Wer mehr lesen möchte, kann auf Jay Hoslers Blog, Drawing Flies, in den kommenden Tagen die Abenteuer von Wilbur, der Fliege, als Webcomic verfolgen. Darin geht es um Photosynthese.
Englisch ist dabei allerdings sehr zu empfehlen.
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